Winkebach

Als ich noch in der Stadt gewohnt habe, habe ich meine Arme zwar auch viel benutzt, aber nur höchst selten zum Winken. Vielleicht einmal auf dem Weinfest, wenn man Freunden durch die Menschenmenge hindurch verzweifelt oder weinselig (oder beides) den eigenen Standort kenntlich machen wollte und jede andere Kommunikationsformen versagt hatte. Oder zum Abschied, wenn Familie und Freunde sich nach dem Besuch im Auto entfernten. Kurzum: Es kam gelegentlich vor, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Grundsätzlich stand ich der nett gemeinten Geste nämlich eher skeptisch gegenüber. Erwachsene Menschen, die mehr oder weniger wild mit ihren Armen in der Luft wackeln fand ich in etwa so würdevoll wie Angela Merkel applaudieren zu sehen. In meinen Augen eine merkwürdig kindliche Bewegung, irgendwie unpassend in unserem kontrollierten Alltag, geradezu absurd. Vom Coolness-Faktor ganz zu schweigen.

Tja. Und dann bin ich aufs Land gezogen. Eins kann ich Ihnen sagen: Ich habe noch nie so viel gewunken.
Wir haben die besten Nachbarn, die man sich vorstellen kann. Liebe, hilfsbereite Menschen, die da sind, wenn man sie braucht, ohne einem auf die Nerven zu gehen. Paradiesisch. Und sie alle sind, wie wir auch, gerne draußen. Deswegen sind wir schließlich ins Grüne gezogen – um Zeit im Grünen zu verbringen. Am liebsten in unserem eigenen Grün, obwohl das uns umgebende Grün ebenfalls sehr reizvoll ist. (Subjektiv betrachtet – meine kürzlich aus einem eher betonlastigen Teil der ungarischen Hauptstadt zu Besuch angereiste wunderbare Schwiegermutter kommentierte das Grün beim Einbiegen in unsere Strasse skeptisch mit den Worten „Das ist aber sehr viel Natur“.) Wie auch immer: Wir sind viel draußen. Und da die anderen das auch sind, das Dorf aber wiederum so klein ist, dass man praktisch alle Menschen kennt, die man sieht, lässt es sich nicht vermeiden: Es wird viel gewunken. In alle Richtungen. An sonnigen Wochenendtagen locker fünf Mal. Als unsere Badezimmerfliesen letztens geliefert wurde, habe ich sogar dem netten Lieferanten zum Abschied zugewunken. Das Erstaunliche daran: Es bereitet mir inzwischen das größte Vergnügen. Still und heimlich scheinen sich mit meinen Gewohnheiten auch meine Überzeugungen geändert zu haben. Jetzt freue ich mich einfach, wenn ich jemanden sehe, und wie von ganz alleine zieht eine magische Kraft mit den Mundwinkeln auch meine Hand in die Höhe und lässt sie fröhlich winken. Vielleicht liegt es daran, dass man auf dem Land weder cool noch kontrolliert sein muss. Dass hier jeder so genommen wird, wie er ist. Auf der eigenen Scholle lebt es sich eben freier. Fröhlicher. Den inneren Hipster, dem würdevolles Winken wichtig erschien, den habe ich in der Stadt gelassen. Und winke jetzt aus vollem Herzen. Willkommen in Winkebach!

Die Sprache der Banken

Banken sprechen eine Geheimsprache. Eine, mit der sie sich äußerst erfolgreich von allen Menschen außerhalb der Finanzwelt abgrenzen. Das ist im Grunde genommen kein Problem, solange die beiden Welten nicht miteinander in Berührung kommen. Wenn man dann aber plötzlich als absoluter Laie Lust bekommt, ein Haus zu kaufen, ohne das passende Klein- oder Großgeld cash aus der Tasche zaubern zu können, dann wünscht man sich plötzlich doch, man hätte diesen wundersamen Wesen aus der fernen Bankengalaxie bisher etwas mehr Beachtung geschenkt.

Zumindest ging es mir so, als ich mich letzten Sommer in einem kleinen fensterlosen Raum mit Glaswänden wiederfand, dessen Buchenoptik-Möblierung sich am besten mit den Worten schmucklos und funktional beschreiben lässt und ich in die höflich, aber aufgeregt dreinschauenden Verkäuferaugen des Bankberaters mir gegenüber blickte, hoffend, er würde aus den meinen nicht gleich die tief in meinem Herzen verankerte Überzeugung herauslesen, dass Banken allesamt Verbrecher sind. Nervös sah ich zu dem wunderbaren Mann an meiner Seite herüber, der – und zum ersten Mal dachte ich „leider“ – auch ganz und gar aus meiner Welt kommt, nicht aus der des distanziert, aber aufgesetzt fröhlich wirkenden Bankberaters, aus dessen Pupillen ich eindeutig Eurozeichen hervorblitzen zu sehen meinte.

Ich seufzte innerlich. Dieser bankenüblich verbindliche und zugleich gezwungen lockere Umgangston, die provisionsheischenden Schmeicheleien des (wie sich herausstellte externen und damit von uns und nicht vom Geldinstitut bezahlten) Mitarbeiters, die graukopierte, leicht staubige Luft, das nüchternkalte Neonlicht – das alles verursachte in mir eine ordentliche Portion Unwohlsein. Eine Stunde, einen Berg Papier, zahllose Fragezeichen über meinem rauchenden Kopf und ebenso zahllose Erklärungsversuche des Beraters später verließ ich das Büro mit den ersten neuen Vokabeln und der Erkenntnis, dass es nicht reichen würde, die rechnerischen Komponenten des Darlehens zu verstehen. Die eigene Sprache bekommt man dazuserviert, ob man will oder nicht.
Nach einem Monat, vielen vielen Stunden Recherche und noch mehreren Terminen in kleinen grauen Räumen hatte ich dann zwar immer noch zahllose Fragen, war aber zumindest in der Lage, diese im richtigen Jargon zu formulieren. Tilgungssatz, Zuteilung, Vorfälligkeitsentschädigung, annuitätisch und endfällig waren längst keine Fremdwörter mehr für mich. Ich verstand den Unterschied zwischen Sondertilgung und Sonderzahlung.
Ich fühlte mich wie eine Superheldin. Ich hatte das Tor zu einer neuen Welt aufgestoßen. Zu einer gräulich-blassen Welt, in der es nach Kopierer roch. Nun ja, mein Superheldendasein reichte, um den erstaunlich dicken Stapel Seiten des Darlehensvertrags vor dem Unterschreiben zu verstehen. Und dann hielt ich die Luft an, zog ich mich auf leisen Sohlen unbemerkt wieder zurück und ließ das Tor ganz langsam und vorsichtig wieder zufallen.

Sie haben Post.

Ach, war das nicht schön, damals …? In der guten alten Zeit, als man den Computer hochfuhr, bis zum Erscheinen des Desktops noch locker Zeit hatte, sich einen, zwei oder drei Kaffee zu machen, dann vor den Bildschirm zurückkehrte, auf das AOL-Icon klickte, sich wieder in die Küche begab und ein üppiges Frühstück verzehrte, während sich der Rechner nun mit einer lustigen Tonfolge langsam, gaaaanz langsam, in das Internet einwählte, das Postfach öffnete und eine weibliche Stimme schließlich optimistisch, mit einem Hauch von Stolz verkündete: Sie haben Post.

Ein Satz, der Vorfreude weckte. Der Überraschungen, Geheimnisse, aufregende Neuigkeiten verhieß. Wer mochte wohl geschrieben haben? Ich habe Post! Jemand hat mir geschrieben! Juchhu!

Manchmal denke ich wehmütig an diese Zeit zurück. Auch wenn ich – vor allem mit technischen Geräten – im Grunde wenig, na gut, seien wir ehrlich, eher überhaupt keine Geduld habe und es durchaus schätze, erst zu frühstücken und danach den Computer einzuschalten, um ganz ohne Wartezeit auf Desktop, Internetverbindung und Postfach zuzugreifen, ‚mal eben schnell‘ meine E-Mails zu checken, und, wenn wir schon bei der Ehrlichkeit sind, eigentlich auch erwarte, dass in einem Zeitalter, in dem Marsreisen geplant und ernsthaft an selbstfahrenden und sogar fliegenden Autos gearbeitet wird, ein Computer gefälligst auf Knopfdruck zu funktionieren und das Internet mir bitte schön immer überall ständig zur Verfügung zu stehen hat. Aber selbst angesichts all dessen denke ich manchmal nostalgisch zurück. Sie haben Post. Ja, alles war langsamer damals. So langsam, dass ich es heute nicht mehr aushalten würde. Aber es war persönlicher. Heute ist mein Postfach still, wenn ich es öffne. Es begrüßt mich nicht mehr. Das ist traurig. Darüber kann mich nicht einmal der lustige Eingangston (das Geräusch eines durch die Luft sirrenden und einschlagenden Pfeils, gefolgt von einem schnarrenden englischen „Message for you, sir“), den ich für das Ankommen neuer E-Mails eingestellt habe, hinwegtrösten. Ich hätte auch die AOL-Stimme von damals einstellen können, aber es ist einfach nicht mehr dasselbe. Denn ansonsten begnügt sich mein Postfach ja damit, mir alle ungelesenen Nachrichten in schnödem Fettdruck anzuzeigen. Direkt, einfach so. Ohne Vorwarnung. Ohne Pop-up-Fenster mit kleinem Briefumschlag, der Spannung weckt. Da kann doch gar keine Stimmung aufkommen. Gelangweilt, aber geübt klicke ich also jeden Morgen die erschreckend vielen Newsletter in den virtuellen Papierkorb, während ich noch denke, ich sollte mir eigentlich wenigstens die Mühe machen, sie abzubestellen. Aber lange bevor ich herunterscrollen und den winzig klein geschriebenen Link zum Abmelden suchen kann, hat der Finger auf meiner Maus die Mail längst ins digitale Nirwana befördert. Von den Nachrichten, die übrig bleiben, sind ein paar wichtig, viel zu wenige interessant, der Rest verteilt sich auf Rechnungen und Werbung. Private Mails sind inzwischen genauso selten wie Postkarten und Briefe, seit es auf dem Handy diesen zugegebenermaßen wahnsinnig praktischen, kostenlosen Nachrichtendienst mit dem grünen Icon gibt (Sie wissen schon, den, der inzwischen einem gewissen Mark Z. gehört, dem Herrscher über das Internet). Ab und zu schafft es eine Spam-Mail durch den Filter, aber auch deren Unterhaltungswert hat irgendwie rapide nachgelassen, seit die Filter besser geworden sind. Von dem spektakulär reichen Onkel aus Afrika, der gestorben ist und mir sein gigantisches Erbe vermachen möchte, höre ich viel zu selten.

Und dann gibt es noch eine weitere Kategorie E-Mails, die das Unpersönliche dieser Zeit auf die Spitze treibt: automatisierte Nachrichten. In der Regel kommen sie von Portalen, auf denen man sich einmal registriert hat, in meinem Fall zum Beispiel Übersetzerportalen, auf denen mich potenzielle Kunden finden können. Das klingt jetzt aufregender, als es ist. Denn gleich die Anrede macht jede Hoffnung zunichte, sorgsam aufgrund meiner einzigartigen Fähigkeiten ausgewählt worden zu sein: „Dear Translator„, heißt es da. Die tendenziell ominösen Absender, deren Signatur oft auf einen Firmensitz in einem nicht gerade für lukrative Bezahlung bekannten Schwellenland verweist, machen sich nicht einmal mehr die Mühe, die Namen der einzelnen angeschriebenen Übersetzer einzufügen. Ich bin nur noch eine von vielen. Genauso ergeht es der Mail jetzt allerdings auch, im Papierkorb meines E-Mail-Programms.

Dann fällt mir etwas auf. Noch während ich schönen Worten und feingeistigen Briefen hinterhertrauere, dämmert mir dunkel der Gedanke, dass man ja immer bei sich selbst anfangen sollte. Wann habe ich eigentlich das letzte Mal eine E-Mail verfasst, die den Namen Post verdienen würde und deren Eintreffen man mit Stolz verkünden könnte? Wann habe ich das letzte Mal liebe Menschen mit interessanten Berichten, beglückenden Zeilen, herzergreifenden Erzählungen versorgt? Ich versinke vor Scham auf meinem Bürostuhl. Ja, sicher, das Leben ist schneller geworden, hektischer. Wer hat schon die Zeit, die Energie? Wir sollten sie uns wieder nehmen, finde ich. Investieren. In schöne Worte. In richtige, altmodische, glücklichmachende Post.

Bullshit-Texte

Seit ich auf dem Land wohne, gönne ich mir ab und zu einen Tag in der Stadt und setze mich für ein paar Euro mit meinem Laptop in einen ziemlich netten sogenannten Coworking Space, also praktisch ein Büro mit kompletter Infrastruktur, aber ohne feste Mitarbeiter, in das man einfach hineinspazieren und losarbeiten kann, mitten in Wiesbaden. Die Mittagspausen nutze ich ausgiebig, um meiner trotz guter Landluft nicht ganz totzukriegenden Konsumlaune zu frönen. Ansonsten genieße ich den Kontrast, den die um mich herum sitzenden Kreativlinge und Hipster zu meiner idyllischen, lebenspraktischen Dorfwelt bilden.

Bis zu dem Tag, an dem ich mit einem fröhlichen „Morgeeeen!“ auf den Lippen die Tür des zwar raufasertapezierten, aber dafür mit den obligatorisch coolen Accessoires wie einer fetten Industry-Deckenleuchte und einem Regal aus alten Weinkisten aufgepeppten Altbauraums aufstoße, mich wohlig seufzend niederlasse, Laptop, Smartphone und Kopfhörer um mich herum ausbreite – und dann am Tisch links zwei Typen Anfang Dreißig sehe, die in einem halb gelangweilten, halb Selbstsicherheit vortäuschendem Ton Sätze hin- und herraunen, die aus meiner bescheiden genervten Sicht erheblich zu inhaltsleer sind, um überhaupt ausgesprochen zu werden. Nun ja, es hat eben nicht nur Vorteile, Kollegen zu haben, fällt mir da wieder ein. Geschieht mir ganz recht, ich wollte ja einen Stadttag, statt ganz alleine in meinem wunderschönen frisch renovierten Büro zuhause mit weitem Blick in die frühlingshaft losblühende Natur zu sitzen.

Zeit für Kopfhörer, befinde ich. Webradio jedenfalls ist eine glorreiche Erfindung. Und schon tritt das Gebrabbel angenehm in den Hintergrund. Als ich die Kopfhörer aber eine Stunde später herausnehme, komme ich leider nicht umhin, zu hören, dass die beiden inzwischen keine Allgemeinplätze mehr austauschen, sondern dazu übergegangen sind, an ihren Berichten zu feilen. Ihren englischen Berichten. Müde werfen sie Satzbrocken und Vokabeln hin und her. Da sitzen sie also vor mir, in ihren weißen Hipster-Turnschuhen und der schwarzen Adidas-Jacke mit Goldstreifen, direkt vor mir, tun wichtig und produzieren genau diese Art von englischen (Verzeihung, aber das muss ich jetzt beim Namen nennen:) Bullshit-Texten, über die Übersetzer wie ich später fluchen werden, weil ihr Unternehmen irgendwann feststellen wird, dass es trotz englischer Amtssprache ja doch ganz schick wäre, die Berichte auch alle auf Deutsch vorliegen zu haben. Ein ensure nach dem anderen wabert aus ihren Mündern, weaknesses folgen auf completeness und mir werden passend dazu die Knie weich. Komplett, sozusagen. Zum ersten Mal wird mir klar, dass diese schaurig-schönen Business-Texte, an denen mein Hirn und Herz, meine Motivation und Kreativität regelmäßig verzweifeln, nicht annähernd mit so viel Aufmerksamkeit geschrieben werden, wie ich immer vorausgesetzt habe. Irgendwie war ich nie auf die Idee gekommen, dass sich da nicht eine einzelne Person hingesetzt und voller Überzeugung all das niedergeschrieben hat, was sie zu dem jeweiligen Thema so weiß und denkt. Und sich vielleicht nur ungeschickt ausdrückt. Dass da zwei (oder wer weiß wie viele sonst noch) mäßig erfahrene, fremdsprachlich durchschnittsbegabte Wir-sind-cool-wir-sind-wichtig-Hipster in Bald-ist-Wochenende-Stimmung auf Teufel komm raus englische Vokabeln zusammenblubbern, bis am Ende ein Text auf ihrem Display steht – das war mir nicht in den Sinn gekommen. Auch wenn es im Nachhinein viel erklärt. Sehr viel. All die unfassbar umständlichen und zum Teil bis zur Sinnlosigkeit überfrachteten englischen Satzkonstruktionen zum Beispiel (und wenn ich das schon sage. Wie Sie möglicherweise gemerkt haben, habe ich eine Schwäche, um nicht zu sagen Leidenschaft für überfrachtete Satzkonstruktionen.) Wie oft hatte ich mich gefragt, was um Himmels Willen mir der Autor hiermit eigentlich sagen will. Jetzt weiß ich es: Gar nichts. Der Autor wollte einen Text fertig bekommen und pünktlich Feierabend machen. Der Autor hatte lauter englische Satzbausteine im Kopf, auf die er wahnsinnig stolz war und die er unbedingt alle noch unterbringen wollte.

Was für eine Erkenntnis. Langsam ließ ich meinen Laptop zuklappen, sammelte mein Equipment vom Tisch und entschwand in die Mittagspause, meiner Konsumlust frönen. Schmunzelnd dachte ich an mein Dorf. Da gab es auch Bullshit, aber ganz anders. Der landete wenigstens da, wo er hingehörte: auf dem Feld, nicht im Computer.

Die schönste Form der Kommunikation

Wer mich kennt, der weiß: Ich lache gerne. Und laut. Manche Menschen stört das, aber ich kann es nicht ändern. Ehrlich gesagt will ich das auch gar nicht. Mein Lachen ist ein Teil von mir, vielleicht sogar der authentischste, gerade, weil es sich nicht kontrollieren und in eine beliebige Form pressen lässt. Wem das nicht passt, der möge sich eben die Ohren zuhalten.

Ist das nicht faszinierend? Unser Lachen ist so individuell, wie wir in unserem tiefsten Inneren sind, egal, wie schüchtern, offen, introvertiert, extrovertiert, streng, schlecht oder gut gelaunt und egal, wie angepasst wir durch unser restliches Leben laufen. Unser Lachen verrät immer etwas über unser Wesen (nicht zuletzt, ob wir Humor haben, natürlich). Und ein echtes, herzliches Lachen entzieht sich jeder Kontrolle. Es lässt sich weder leiser noch lauter stellen, weder auf Knopfdruck produzieren noch abstellen. Es ist, als würde einmal kurz alles aussetzen. Vielleicht spricht man deswegen auch vom Lachanfall oder Lachkrampf. Wenn schon Anfall oder Krampf, dann bitte so. (Übrigens, kleiner Tipp am Rande: Geben Sie das einmal in die Suchleiste bei YouTube ein. Absolute Gute-Laune-Garantie!)

Was ich am Lachen so liebe, ist diese Welle positiver Gefühle, die mich dabei geradezu flutet. Der wunderbare Mann an meiner Seite nutzt das übrigens gerne, um mich von der Welle negativer Gefühle abzulenken, die mich beim Anblick unsauberen Geschirrs, das sich auf statt in der Spülmaschine befindet, wild verstreuter Socken, viel zu hoher Strafzettel oder ähnlicher Lappalien schon einmal überkommt. In der Regel klappt das recht zuverlässig, weil er mich schon ein paar Tage kennt und genau weiß, womit er mich zum Lachen bringen kann.

Faszinierend finde ich auch, dass Lachen ansteckend ist. Genau wie Gähnen zählt es zu den sozialen Ritualen, die das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken sollen. Und das tut es tatsächlich. Gemeinsam lachen bringt Menschen einander näher. Lachen ist für mich die schönste Form der Kommunikation. Einem Menschen, mit dem ich gemeinsam gelacht habe, dem fühle ich mich gleich ein Stück näher. Mit dem kann ich auskommen, egal, wie verschieden wir auch sein mögen, egal, was ich vorher über ihn gedacht haben mag. Humor verbindet. Lässt über Dinge hinwegsehen, die man am Gegenüber vielleicht nicht mag. Lässt den Anderen mit all seinen Macken sympathisch wirken. Lässt einen das Gute in ihm sehen. Bringt für einen Moment lang auch im kältesten Klotz und im arrogantesten Aufschneider das Menschliche zum Vorschein.
Vielleicht klingt Ihnen das zu einfach, zu naiv. Kann sein. Aber erstens ist es oft gar nicht einfach, einen kalten Klotz oder einen arroganten Aufschneider tatsächlich zum Lachen zu bringen – denn ich meine ein ehrliches, ein echtes, unverfälschtes Lachen, kein Mitlachen aus Höflichkeit. Kein künstlich provoziertes Lach-Yoga-Lachen. Ich meine diesen Moment, in dem das Gehirn kurz aussetzt, in dem man einfach losprustet, ohne darüber nachzudenken. Schauen Sie Ihrem Mitlachenden dabei in die Augen, erhaschen Sie einen winzig kleinen Blick in sein Herz. Und wenn er danach etwas Blödes sagt, oder, sagen wir, das dreckige Geschirr auf der Arbeitsplatte über der Spülmaschine abstellt, dann ist das gleich nicht mehr so schlimm. Denn vorher haben Sie den Zauber gespürt, waren Sie sich für einen kurzen Augenblick so nah, dass Ihnen plötzlich vollkommen klar ist, dass wir eben alle unsere Fehler haben, dass man uns eben immer nur im Gesamtpaket bekommt, dass das vielleicht gar nicht so verkehrt ist und wir es trotz allem miteinander aushalten können. Weil es da diese gemeinsame Ebene gibt. Und im besten aller Fälle macht uns das neugierig genug, nach weiteren zu suchen.

Und zweitens kann ich nur sagen – egal, wie naiv es klingt, ich zumindest komme so besser durchs Leben. Vielleicht überschätze ich den ein oder anderen damit in seinem guten Kern. Vielleicht will mich ja einer damit manipulieren. Sollte es wirklich jemand schaffen, sein echtes Lachen gezielt dazu einzusetzen, mich ihm gegenüber wohlgesonnener zu stimmen als er es verdient, nun, dann sei es eben so. Zum Glück bin ich weder Richterin noch Geheimagentin oder Bundeskanzlerin. Ich werde keinem dunklen Fürsten versehentlich zur Weltherrschaft verhelfen, weil ich einmal zu oft mit ihm gelacht habe und ihn für einen sympathischen Kerl halte, obwohl sich alle um mich herum entsetzt abwenden. In meiner Welt ist das ein Risiko, mit dem ich getrost leben kann. Und das mir inneren Frieden verschafft. Probieren Sie das ruhig auch einmal! Ich kann es nur empfehlen.

Wir müssen origineller werden!

„Wir müssen origineller werden!“, beginnt der von mir sehr verehrte Jürgen von der Lippe, dessen gesammeltes Bühnenwerk in CD-Form uns schon seit vielen Monden auf langen Autofahrten begleitet, einen seiner Sketche. Sein Appell mag aus den späten Achtzigerjahren stammen, ist für mich aber aktueller denn je. Wir müssen origineller werden – wie recht er hat!

Das muss sich übrigens auch der wunderbare Mann an meiner Seite gedacht haben, als er die Floristin im Blumenladen letztens ganz ernst bat, doch noch etwas „Gestrüpp“ um die schöne Amaryllis zu drapieren (die es übrigens ungerührt hinnahm, und brav drapierte).
Nun, mir persönlich kommt der von der Lippe’sche Satz erstaunlich oft bei der Arbeit in den Sinn. Unschuldig öffne ich einen Text zur Übersetzung und schon schlagen sie mir entgegen, die führenden Innovationen, die bahnbrechenden Entwicklungen, einzigartigen Technologien, Quantensprünge, enormen Fortschritte und großen Durchbrüche. Und dabei ist es relativ gleichgültig, ob es um Autos, Software, Blumentöpfe oder Gummidichtungen geht. Revolutionäre Entwicklungen, soweit das Auge reicht. Da kann man vor lauter zukunftsweisenden Schlüsselstrategien zwischen zwei Zeilen schon mal fortschrittsmüde werden und ein paar flüchtige Gedanken an das Urwesen der Langeweile verschwenden (und daran, wie es wohl heißen und aussehen mag. Ich wette, es ist staubgrau, heißt Versicherungsbüro und arbeitet in einer Marketingabteilung. Und zwar in der, aus der meine Texte kommen). Da bleibt einem nur, ein Gähnen zu unterdrücken, noch einen Kaffee zu trinken, wild entschlossen kurz zu verzweifeln, stellvertretend für den Hersteller den Computerbildschirm anzuschreien: „SIE MÜSSEN ORIGINELLER WERDEN!“, sich anschließend die virtuelle Krone zu richten und weiterzumachen. Und sich klammheimlich zu fragen, ob man mit dem Slogan Eine Dichtung, die selbst Schiller und Goethe in den Schatten stellt nicht eigentlich auch Gummidichtungen verkaufen könnte. Hm – vielleicht sollte ich doch eine eigene Gummidichtungsfirma gründen.

Aber Übersetzung beiseite, auch privat denke ich mir oft genug, dass die Welt mehr Originalität vertragen könnte. Sind Sie in den letzten Jahren einmal durch den Prenzlauer Berg in Berlin gelaufen? Irgendwer hat da irgendwann beschlossen, dass Schwarzrandbrillen gepaart mit Holzfällerhemden und gartenzwerglangen Vollbärten doch ein origineller Look wären. Damals war das sicher auch so. Das sah zwar auch damals schon nicht schön aus, aber originell – und das ist ein sehr legitimes Anliegen, also Daumen hoch. Es konnte ja keiner ahnen, dass sich daraus ein unfassbar langanhaltender Trend entwickelt, der es wirklich schwer macht, heute in Berlin überhaupt noch unbebrillte, vollbartlose männliche Exemplare zwischen Mitte Zwanzig und Mitte Vierzig anzutreffen. Männer, ihr müsst origineller werden!
Dieser Herdentrieb scheint überhaupt erschreckend verbreitet. Auf Facebook zum Beispiel, wo es diese praktischen Gruppen gibt, in denen sich Menschen zu einem Thema zusammentun. Zum Beispiel, um nicht mehr benötigte Möbel, Klamotten oder sonstige Besitztümer zu verschenken bzw. dringend benötigte zu ergattern. Tolle Sache. Wenn dann nicht jeder zweite eine Wandertasche mit Kinder-, Frauen-, Hipster-, Wasweißichwas-Klamotten einstellen würde, die dann weiter wandern darf. Die dann andere in den Kommentaren mit einem Interesse bedenken oder als tolles Give bewerten, für das sie sich lieb anstellen. Die gesamte Gruppe kommt mit einem Wortschatz aus, der den eines gewissen orangehaarigen, altmodische rote Krawatten liebenden Amerikaners noch weit unterbietet. In anderen Facebook-Gruppen, die tausende Mitglieder zählen, besteht gefühlt jeder dritte Beitrag aus einem Danke für die Aufnahme in Weiß auf quietschebuntem Grund. Vielleicht sollte ich da auch mal so ein buntes Hintergrundbildchen einstellen und dick und fett daraufschreiben: IHR MÜSST ORIGINELLER WERDEN!

Wie Sie merken, es macht mich wahnsinnig. Langeweile hat in unserer Sprache nichts zu suchen, finde ich. Also, ob Sie sich gerade in den sozialen Netzwerken herumtreiben,  Gummidichtungen verkaufen, Schlüsseltechnologien entwickeln oder Freunde zu Besuch haben: Seien Sie ungewöhnlich! Trauen Sie sich etwas! Werden Sie origineller! Und bewerben Sie sich dann in einer Marketingabteilung! Am besten in der meiner zukünftigen Gummidichtungsfabrik.

Die Rechtschreibprüfung

Ich stelle immer wieder fest, dass die meisten Menschen nur wenige Vorstellungen davon haben, wie der Berufsalltag einer Übersetzerin aussieht. Und tatsächlich gibt es ja von Fall zu Fall auch kleine Unterschiede. Gemeinsam ist uns allen aber, dass wir unsere Tage vor dem Computerbildschirm verbringen, von dem uns ein Text nach dem anderen zulächelt und in aller Stille auf seine Übersetzung wartet. Bei manchen macht er es sich dabei in einer Word-Datei bequem, wenn er nicht von tabellenfanatischen Technikern in ein Excel-Format gezwungen wurde, das ihn – und den Menschen vor dem Monitor – irgendwie traurig aussehen lässt. Bei mir hockt er oft in einer speziellen Software, die allen Formaten ein Einheitsdress verpasst, weswegen ich niemals traurig aussehe, wenn ich meinen nächsten Text begrüße. Meine Software wurde speziell für Übersetzer erdacht, deswegen legt sie Wert auf Qualitätssicherung – nun, zumindest im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Sie bietet mir also unter anderem eine Rechtschreibprüfung an, so wie man das aus Word eigentlich auch kennt. Das ist manchmal auch wirklich nützlich. Manchmal. Dann, wenn man die Mitarbeiter beim schnellen Tippen einmal wieder zu Mitarbeitieren gemacht hat, das zehnte (wahlweise hochwertige, herausragende, einzigartige, einmalige oder ganz besondere) Design zum Desing mutiert und das Management ohne zweites a zum mysteriösen, französisch klingenden Mangement verkommen ist. Dann ist sie nützlich. Also in etwa zehn Prozent der Fälle. Zu neunzig Prozent ist die Rechtschreibprüfung dagegen eine sehr beschränkte, ungebildete, altmodische und kompositafeindliche Funktion, die mich wahlweise auf die Palme oder zum Lachen bringt. Denn wenn sie ein Wort nicht kennt, begnügt sie sich nicht mit roten Schlängeln unter dem Wort, nein, sie gibt doch nicht einfach auf – das naseweise Ding macht mir Vorschläge. Ein Beispiel: Ich schreibe Lastkraftwagen. Kennt die Prüfung nicht, ist nicht im Wörterbuch. Stattdessen also der absolut naheliegende Vorschlag: Lustkraftwagen. Wieso der im Wörterbuch steht – und wozu der dienen soll – ist mir bis heute ein Rätsel. Nicht das einzige. Vor allem, weil überraschenderweise, als es in einem Wirtschaftstext letztens über den Börsenkurs eines Sexshops ging, das Wort Sexshop zu Seeshop korrigiert werden sollte. Nanu, plötzlich so prüde?
Tja, die liebe Rechtschreibprüfung kennt meine Wörter zwar nicht, vom originellen Seeshop und Lustkraftwagen abgesehen kenne ich ihre aber in der Regel schon. Sie ist nur eben einfach nicht auf dem neuesten Stand. Von Hedgefonds hat sie nie gehört, in ihrer Welt heißt das handgeführt. Statt der Playstation schlägt sie Stationssignal oder alternativ Verpflegungsstation vor. Nun ja … Snacks bietet die Konsole meines Wissens noch nicht an, aber vielleicht eine gute Idee für eine nützliche Zusatzfunktion? Oxfam findet sie offroad und Nintendo zu datenintensiv.
Ganz offensichtlich ist diese Prüffunktion nicht so seelenlos, wie ich dachte. Sie möchte mir etwas sagen. Sie macht sogar Produktverbesserungsvorschläge. Und sie möchte ein Leben ohne Hedgefonds und Lastkraftwagen. Sie möchte nicht über Nintendo, sondern über Honigernten, Integratoren und Opernintendanten sprechen (das waren die Alternativvorschläge zu datenintensiv). Sie mag Harry Potter nicht, denn Quidditch und den Schnatz will sie gnadenlos ersetzen durch Fluiddichtungen und den Schatz, Schmatz oder Schwatz. Gefräßig scheint sie auch zu sein, denn sie will lieber Fastfood statt Fashion. Und sie wünscht sich eine Welt, in der der man nicht auf Franchise, sondern auf Branchenwissen oder alternativ auf Frischkäse vertraut. Und sie kritisiert mich, also meine Ausdrucksweise. Affin – wer drückt sich schon so aus, das ist doch affig. So so.
Diese Rechtschreibprüfung hat offensichtlich ihre ganz eigene Meinung zu meinen Texten. Ein bisschen viel Meinung, wenn Sie mich fragen. Zum Glück bin von uns beiden ich diejenige, die hinter dem Bildschirm sitzt. Die sie milde lächelnd mit einem Klick auf „Hinzu“ zwingen kann, meine Wörter zu lernen, das störrische Biest. Klick. Klick. KLICK!

Die Geschichte vom Weißkohl und den Dödölle

Dezember 2017. Draußen winterähnliches Wetter. Drinnen schön warm und muggelig, die Couch verlockend weich. Dem wunderbaren Mann an meiner Seite und mir ist nach Fernsehen. Schau an, auf arte gibt es eine kleine Doku über den ungarischen Balaton (Plattensee) und seine kulinarischen Facetten. Sehr schön, vielleicht kann ich noch etwas lernen, schließlich steht ja Ende des Monats die Verwandtschaft aus Budapest auf der Matte. Tja … um die Spannung jetzt nicht bis ins Unermessliche wachsen zu lassen: Der Lerneffekt hielt sich in Grenzen. In sehr, sehr engen Grenzen.

Dabei fing es so schön an. Mit zauberhaften Bildern, die eine ursprüngliche, menschenverlassene Landschaft rund um den Balaton zeigen, den See im Winter, das Schilf am Ufer, das sich im Winde wiegt. Ich bin überrascht, denke ich doch zuerst an die Kindheitserzählungen des wunderbaren Mannes an meiner Seite, in denen von unromantischen Betonstegen die Rede war und dann an die Bilder aus einer anderen Reportage, in der leere deprimierend graue Betonhotels in wirklich sehr unromantischer Plattenbauweise am Rande des Sees die zwei oder drei letzten Touristen auf Betonterrassen mit unpassend grellen und aufdringlich blinkenden Leuchtreklamen spuckten. Ganz offensichtlich ist der See aber größer und betonloser, als ich dachte. Müssen wir beim nächsten Urlaub gleich mal überprüfen, notiere ich mir still auf meiner imaginären Muss-ich-sehen-Liste.

Mit der Titelmelodie und den ersten Bildern endet allerdings auch der Bildungsauftrag, den man einem Sender wie arte ja unterschwellig irgendwie immer unterstellt. Der Rest des Berichts liegt irgendwo zwischen Entsetzen und absurder Komik.

Erstes Thema: Káposzta (Sauerkraut). Dorf Nr. 1. Eine Frau, deren Mann László heißt, wie alle ungarischen Männer (na gut, fast alle), steht mit ihrem 10-jährigen Sohn in der Küche und reibt Kohl über einen Hobel mit Holzgriff, der seinem Äußeren nach zu urteilen bereits seit Generationen in der Familie weitervererbt wird, ebenso wie der große Bottich aus sehr dunklem Holz, den sie permanent mit den neusten Hobelergebnissen und Gewürzen befüllt. Dann fordert sie das barfüßige Kind auf, in das urzeitlich anmutende Gefäß zu klettern und auf dem Kraut herumzutrampeln (womit es, wie es scheint, ab jetzt den Rest seiner Sommerferien verbringen darf, da es mit seinen zehn Jahren im perfekten Stampfalter sei und das ganze Dorf auf seine Trampelqualitäten warte). Die Mutter strahlt in die Kamera: „Das Wichtigste in meinem Leben ist mein Mann, direkt danach kommt der Weißkohl.“ Kameraschwenk auf das Kind.

Nächstes Dorf, nächstes Thema, und mein zweites sprachliches Highlight: Dödölle (Schupfnudeln). Von dem lebenswichtigen Weißkohl bereits in eine alberne Grundstimmung versetzt beschert mir der in den nächsten Minuten unfassbar oft rezitierte Name des Gerichts einen geradezu unwürdigen Lachkrampf.
Stoppen kann mich nur die Verwunderung über fünf verheiratete Frauen im besten Alter, die mitten im Winter in einer Art Dorf-Grillhütte samt Steinofen und Kochfeld stehen, und, als wäre es das Normalste der Welt, in Daunenjacke und mit Schal umwickelt besagte Dödölle zubereiten. Die forscheste unter ihnen unterweist ihre Freundinnen in der versierten Nockenformung mit zwei Löffeln statt mit den Händen, was eine rege Diskussion auslöst.

Auf weitere sprachliche Highlights habe ich leider vergeblich gewartet. Dafür beglückt mich arte mit Szenen von Männern (Lászlós und Nicht-Lászlós) bei der winterlichen Schilfernte, die in ihrer Pause am Seeufer stehend die von den Frauen gebrachten Dödölle probieren, sich selbst und ihre Arbeit sehr wichtig finden und herzlich lachen, als einer sagt, dass die Schilfernte eben echte Männerarbeit sei.
Noch während meine Hand auf meine Stirn klatscht, erscheint eine große, laut ratternde, sehr alte Webmaschine im Bild, dahinter eine nicht minder alte Frau mit absurd orangen Haaren, die einzeln im Zeitlupentempo Schilfstangen in die Maschine wirft, auf dass in ferner Zukunft eine Schilfmatte daraus werde. Eine jüngere Frau steht daneben und sieht der Arbeit zu. Zwischendurch kocht ein László Gulasch, später langweilt ein Opa seinen brav frierenden Enkel noch beim Eisfischen im zugefrorenen See, bevor 26 Minuten voller nervenzerreißender Spannung schließlich zu Ende gehen.

Aber zurück zum Lerneffekt. Was habe ich nun also aus dem halbstündigen Ausflug ins Bildungsfernsehen für mich mitgenommen, abgesehen von dem Urlaubstipp?

1. Hauptzutat in allen ungarischen Gerichten sind Zwiebeln.

2. Mindestens zwölf Menschen aus zwei ungarischen Dörfern irgendwo am Balaton scheinen ein echt schräges Leben abseits jeglicher Emanzipation und moderner Küchengeräte zu führen.

3. Wer Sauerkraut machen will, braucht ein zehnjähriges Kind.

4. Dödölle ist ein sehr, sehr lustiges Wort.

Silvester auf ungarisch oder: Die Tuschmaschine

„Die Familie kommt!“, sprach der wunderbare Mann an meiner Seite, und seine himmelblauen Augen hüpften ein bisschen vor Freude. Und so war es dann auch. Die Familie kam, samt 3-jähriger Nichte und einer gigantischen Flut von Koffern, die uns kurz zweifeln ließ, ob im Vorfeld statt besuchen nicht doch der Begriff einziehen gefallen war. Viereinhalb Ungarn, eine Deutsche, eine Wohnung, eine Woche. Inklusive Silvester. Es sollte ein denkwürdiges werden.

An Tag 2 entdeckt das Kind die (auf verschleierten Pfaden zu uns gelangte) Tuschmaschine. Kennen Sie nicht? Es handelt sich dabei um einen kleinen roten Kasten mit einem Lautsprecher, 16 Knöpfen und einem Bändel, an dem ihn sich normalerweise karnevalstrunkene Kölner in der fünften Jahreszeit um den Hals hängen, um jederzeit ihre unverbrüchliche Feierwut kundtun zu können, ohne das eigene Stimmorgan dafür bemühen zu müssen, das schließlich schon genug damit zu tun hat, Kölsch an sich vorbeifließen zu lassen.
Das Kind drückt etwas unsicher auf die erste Taste, und überraschend laut ertönt ein mir allzu vertrautes Geräusch: Tätääääää – tätääääää – tätääääää! Das Kind gluckst. Eigentlich hasse ich Karneval. Und doch: Ganz die stolze Tante aus Deutschland blicke ich die Kleine gerührt an. Ihr erster Karnevalstusch! Hach ja. Fast könnte man das Bedürfnis verspüren, eine Büttenrede zu halten. Nun ja, fast.

Tag 3: Kölle – Alaaf! Kölle – Alaaf! Kölle – Alaaf! ruft die Tuschmaschine. Der auf meiner Jahresend-Playlist verewigte Bing Crosby säuselt im Hintergrund I’m dreaming of a white Christmas. Aber was weiß der schon. Nix eigentlich, draußen sind es nämlich 10-15 Grad, im Grunde bestes Karnevalswetter. Das Kind scheint das ganz genauso zu sehen und probiert fleißig Knöpfe aus. Und so sitzt die Familie Ende Dezember im Wohnzimmer versammelt, um den zunehmend schwächer lamettaglitzernden Weihnachtsbaum (das Kind legt ein ausgesprochenes Talent zum Abpflücken von Lametta an den Tag) herum, während ein kräftiges Köbes – en Kölllsch, begleitet von kneiptentypischen Nebengeräuschen durch den Raum hallt. Das Kind ist begeistert. Statt Köbes versteht es zwar Krampus (die Schreckgestalt, die in Teilen Süddeutschlands, Osteuropas und in Österreich den heiligen Nikolaus begleitet), das scheint seiner Freude allerdings keinerlei Abbruch zu tun. Kölsch muss in Ungarn eine schlimme Drohung sein.

Tag 4: Die ungarische Familie wird immer textsicherer. Alle können inzwischen Kamelle! rufen, mit Strüssjer! tut man sich dagegen noch schwer. Die ersten Klänge von Denn wenn dat Trömmelche jeht sind aber schon allen in Fleisch und Blut übergegangen. Auch der Refrain von Viva Colonia wird fleißig mitgesummt und mitgeschunkelt.
Allmählich frage ich mich, wie es passieren konnte, dass ich, ausgerechnet ich, die Kölnerin ohne Karnevalsgen, zur geheimen Botschafterin des Kölner Karnevals werden konnte. Keiner hier hat auch nur den Hauch einer Ahnung, wie absurd diese ganze Szenerie ist.

Tag 5: Das Schunkeln scheint ungeahnte Kräfte freigesetzt zu haben. Die Arbeit an eigenen Choreographien beginnt. Während ich an den letzten Weihnachtsplätzchen knabbere, sehe ich mir abwechselnd schmunzelnd und stirnrunzelnd an, wie der wunderbare Mann an meiner Seite und meine wunderbare Schwiegermutter sich an den Händen fassen und im Esszimmer zu den Klängen von Ritsch-Ratsch, de Botz kapott ein Tänzchen improvisieren. Das Kind klatscht vor Freude. Die Nachbarn von gegenüber verbringen ihre Abende inzwischen größtenteils vorm Fenster. Ab und zu winken wir freundlich hinüber.

Tag 6: Tanzen, Schunkeln, Summen und Singen reichen dem Kind nicht mehr. Es hat herausgefunden, dass sich die Töne der Tuschmaschine abkürzen lassen, wenn es noch während des Abspielens auf einen anderen Knopf drückt. Kam…Alaaa…Da simmer da… Strüssjer! mixt die kleine DJane zusammen. Begabt, das Kind. Tätääääää – tätääääää – tätääääää!

So geht schließlich eine Woche voller Karneval zu Ende. Weihnachtsbaum, Plätzchen, Glühwein, Raclette und Silvesterraketen inklusive. Auch wenn sich daran wahrscheinlich später keiner mehr erinnert. Was die Familie dagegen in ihren Herzen und Köpfen nach Ungarn tragen wird, sind Kamelle, Strüssjer, Kölsch und Karnevalsmelodien. Wenn das mal nicht die Geburtsstunde einer ganz neuen ungarischen Silvestertradition ist.

 

Ganz schön viel Lametta

Sonntag, der dritte Advent. Wir befinden uns im Wohnzimmer einer gewissen Übersetzerin und eines gewissen wunderbaren Mannes, der an ihrer Seite lebt. Der nigelnagelneue Christbaumständer „Comfort S“ steht endlich am richtigen Platz und umklammert so fest er eben kann die am Vortag erstandene und im richtigen Licht eigentlich kaum noch asymmetrische Tanne der weihnachtlichen Begierde. Eine hübsche in heimeligem Gelbweiß strahlende Lichterkette umrankt das Bäumchen und sorgt für gemütliche Grundstimmung. Davor eine offene Kiste mit roten Christbaumkugeln und roten und goldenen Holzengelchen zur Verzierung des nadeligen Grüngewächses.

Auftritt Übersetzerin, gefolgt vom wunderbaren Mann an ihrer Seite.
„Schluss mit Früher war mehr Lametta! Jetzt wird endlich wieder geglitzert.“ Selig lächelt sie die silbernen Fäden in ihren Händen an und reißt die Packung auf. Er seufzt. Sie greift beherzt zu, positioniert sich frontal vor dem Baum und – ja, und nun? Das letzte Lametta liegt Jahrzehnte zurück. Schwungvoll hängt sie ein gutes Bündel des Glitzerguts probeweise über einen Zweig. Ähm, nein. Der Gatte gluckst ungläubig. Zweiter Versuch. Neuer Zweig, weniger Fäden, selbe miserable Wurf-Hänge-Technik. Oh Gott. Hat es am Ende doch einen Grund, dass heute weniger Lametta ist? Der Gatte gluckst wieder und entreißt ihr den silbrigen Zierrat. „Da muss wohl mal ein Christbaumschmückprofi ran.“ – „Bist du jetzt etwa Lametta-Experte, oder was?“ Und, so erstaunlich das ist, innerhalb von Sekunden ist klar: Ja, ist er. Oder, in seinen eigenen Worten: Lametta-Künstler.

Verlassen wir nun besagtes Wohnzimmer und begeben uns in den Kopf der gewissen Übersetzerin, die dem wunderbaren lamettabegabten Mann an ihrer Seite inzwischen nur noch bewundernd bei der Arbeit zusieht.
Lametta … woher kommt das eigentlich? Gleich mal soocheln. Klar, aus dem Italienischen, dachte ich mir. Die Verkleinerung von „lama“, das heißt „Metallblatt“. Aha, und hier steht ja auch, dass die Italiener angeblich die ersten waren, die auf die Idee kamen, Weihnachtsbäume damit zu schmücken. Gut, wäre das schon mal geklärt.
Hihi, in mehreren Wörterbüchern wird das italienische „Lametta“ nur mit „Rasierklinge“ wiedergegeben. Heißt das auf Italienisch inzwischen etwa ganz anders? Orpello, capelli d’angelo, Lametta – wer weiß das schon, das Internet auf jeden Fall nicht so richtig. Hätte ich Italienisch im Studium bloß mal länger durchgezogen. Ah, ein Eintrag vom großen Versandhändler. Was ist das denn?? Hahahahahaha … hahahaha …

An dieser Stelle steigen wir mal lieber wieder aus dem Kopf der Übersetzerin aus, bei diesen Lachbeben rüttelt und schüttelt es immer so. Und wenden uns stattdessen dem Grund des Heiterkeitsausbruchs zu, einem zunächst viel belächelten, von manchen heute groß gefürchteten, oft heiß diskutierten und heiklen Thema: der maschinellen Übersetzung.
Der Konzern mit der großen Suchmaschine versucht sich da ja schon länger drin. Gibt man dort zum Beispiel ein: „Früher war mehr Lametta“, dann kommt auf Italienisch: „Prima c’era più tinsel“ heraus. Zwar sehr wörtlich übersetzt, könnte (soweit meine kümmerlichen 3 Semester Italienisch mich das beurteilen lassen) bis auf das letzte Wort aber hinkommen. „Tinsel“ klingt aber nicht italienisch, finden Sie? Völlig richtig, denn das ist das englische Wort für Lametta. Wenn man nicht weiterweiß, einfach englisch sprechen. Tse. Typisch Ami.

Seit einiger Zeit gibt es übrigens eine andere Maschine, die das alles etwas besser kann, die Satzbau und auch Metaphern öfter mal erkennt und ständig dazulernt.* Vor der haben manche Übersetzer jetzt Angst. Ich eher nicht, weil ich keiner Maschine, auch keiner künstlichen Intelligenz, die Kreativität zutraue, mit Sprache und Worten so zu spielen, wie wir Menschen das können.

Aber zurück zum Thema: Lametta. Lustig. Es ist so: Ein britischer Anbieter bietet beim großen Internet-Versandhändler Lametta zum Verkauf an. Klickt man dort auf die Infos zum Artikel findet man die folgenden schlagenden Verkaufsargumente:

– „Schlank Dekoration auch bekannt als Capelli d’Angelo oder Rasierklinge“ (Aua!!!)
– „Ideal für Baum Dressing oder Haus Verarbeitung in der gesamten the Year“ (Yeah!)

Sowas bringt die gemeine Übersetzerin unter uns schon mal zum Lachen. Und wenn sie damit fertig ist, applaudiert sie dem wunderbaren Künstler an ihrer Seite pflichtschuldigst lächelnd und bei sich denkend: Also so viel mehr Lametta kann das früher nicht gewesen sein.

*Wen es interessiert: Die neue Supermaschine bietet für „Früher war mehr Lametta“ gleich drei Möglichkeiten an, unter anderem „Ci sono stati più orpelli“ (Es gab einmal mehr Lametta) und „C’era un tempo più orpello“ (Es war einmal mehr Lametta). „Orpello“ findet man in so manchem Wörterbuch für Lametta. Vorausgesetzt, das stimmt (ich als Übersetzerin traue ja keinem Wörterbuch), ist recht bemerkenswert, dass „Lametta“ hier einmal als Substantiv und einmal als Adjektiv erkannt wurde, und nicht wörtlich am Ausgangstext geklebt wurde. Nicht mal so schlecht (zumindest aus der Sicht von jemandem, der nur 3 Semester Italienisch hatte). Immerhin intelligenter als beim großen G.

Wir haben nur eine Erde? Schön wär’s!

Im vergangenen Frühjahr habe ich etwas höchst Ungewöhnliches an mir entdeckt, das weder ich noch sonst jemand, der mich kennt, mir bisher zugetraut hatte: einen grünen Daumen. Gut, sagen wir einen hellgrünen. Zumindest hellgrün anmutend. Ins Hellgrün changierende. Quasi einen, der gern grün wäre. In anderen Worten: Ich entdeckte die Liebe zum Gärtnern. Wohlgemerkt: Liebe. Nicht Erfolg. Nach ausreichend langer Liebe kommt der vielleicht noch, aber im Augenblick kann und soll davon nicht die Rede sein. Meiner Begeisterung tut das allerdings keinen Abbruch.
Alles begann mit einem saisonweise anmietbaren Gemüsegarten, in dem ich den Großteil meiner Sommersonntage verbrachte und selig zwischen Reihen von Mangold und Karotten hockend Unkraut rupfte. Es war die wahre Freude. Und meine ganz persönliche Form der Meditation. Recht schnell beschloss ich, dass sich auch der heimische Balkon meiner neugefundenen Passion nicht länger entziehen sollte. Rundherum gemessen 5,55 m Geländer – das hieß 5,55 m ungenutztes Potenzial. Nichts wie ab in mein neues Shopping-Paradies: das Gartencenter!

Erster Punkt auf der Einkaufsliste: Balkonkästen. Was Schickes, nicht so ein Plastik-Billigzeugs. Soll ja was hermachen. Diese stabilen da vorne im Landhaus-Stil, romantisch-verspielt, in Weiß oder Gelb vielleicht, oder da hinten, die hübschen aus Zinn, schwärmend rief ich dem wunderbaren Mann an meiner Seite zu: „Schau mal hier, sind die nicht …“ – Oh. Ein Preisschild stellte sich zwischen mich und das Objekt meiner Begierde. Nun, bei genauer Betrachtung sind die dünnen Kunststoffkästen für den Anfang ja vollkommen ausreichend. In den erstaunlich gleichgültigen Blick des wunderbaren Mannes an meiner Seite schien sich Erleichterung zu mischen.

Punkt zwei: Balkonkasten-Inhalt. Schön oder nützlich? Schön und nützlich. 2 Kästen Küchenkräuter, 2 Kästen Blumen. Na, das ging ja flott. Prima, dann kann ich das Entscheidungszentrum meines Hirns ja schon mal in den Feierabend schicken.
Nur noch schnell Erde holen. Also einen kurzen Abstecher aufs Außengelände, wo es gerüchteweise in großen Plastiksäcken auf uns warten soll, das torfige Glück. Zielsicher schreiten wir durch die Tür und bleiben verdutzt gleich wieder stehen. Uff. Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet. Reihenweise Paletten, auf denen sich Säcke unterschiedlicher Größe und Couleur türmen. Etwas verunsichert laufen wir von Stapel zu Stapel und lesen uns durch den Schilderwald und Preisdschungel. Schnell ist klar, dass hier gar nichts „nur noch schnell“ gehen wird. Das Entscheidungszentrum wird Überstunden machen müssen.
In der nächsten Viertelstunde lernen wir, dass Erde aktiv, torffrei, leicht oder extra-leicht sein kann und dass es unterschiedliche Erdsorten für Gärtnerblumen, Zimmerpflanzen, Grünpflanzen, Bonsai, Kakteen und Hortensien gibt. Erstaunlicherweise hat sogar jede Hortensienfarbe (rot-weiß oder blau) ihre eigene Erde. Fast packt es mich, und angesichts der Absurditäten, die auf den nächsten Paletten auf uns warten, als da wären Rhododendronerde, Buxbaumerde, Tomatenerde und Spezialerde für Knospenheide sowie – bitte ganz langsam und genüsslich lesen – Kübel- und Dachgartenpflanzenerde, will ich mir einen Sack Blaue-Hortensien-Erde schnappen, um darin, im Geiste ganz Rebellin, rote oder weiße Hortensien zu pflanzen. Ha! Dann fällt mir ein, dass Hortensien eher selten auf Balkonen wachsen. Na gut, dann nicht. Sowieso viel zu teuer. Obwohl, die „Spezialerde für fleischfressende Pflanzen – 3 l, 3,99 €“ auf dem nächsten Schild kann das noch toppen. Irre. Ich frage mich, was wohl jemand kauft, der von all diesen Pflanzen ein Exemplar im Garten hat. Erschöpft schleichen wir durch die vorletzte Reihe. Teicherde und Komposterde geben mir den Rest. Und da heißt es immer: „Wir haben nur eine Erde“. Schön wär’s! Müde blicke ich in die inzwischen vollkommen leeren Augen des wunderbaren Manns an meiner Seite: „Und nu?“ Mit letzter Kraft deutet er mit dem Kopf auf einen Stapel links vor mir. „Balkonblumenerde“ lese ich laut vor. Puh. Gerade noch einmal Glück gehabt. Wir packen den Sack Expertenerde auf unseren Wagen. Ich fühle mich erleichtert. Geradezu … geerdet.

Hinten links im Hirn

Manche Sätze bleiben einfach hängen. Ein Leben lang. Sie machen es sich in einer der der hinteren Hirnwindungen bequem, in einer von denen, an die man nicht so leicht rankommt, Sie wissen schon – hinten links, die zweite rechts, geradeaus über große Neuronenkreuzung, vorbei an Synapse Nr. 389.743 und dann die dritte schräg links rein. Oder so. Und dort lassen sie es sich dann gut gehen, diese kleine Sätze, sie baumeln mit den Beinen, stopfen sich mit Kuchen voll, und warten gezielt immer diesen einen Moment ab, den Resthirn und Restmensch geschlossen als absolut untauglich für diesen Zweck definieren, um auf sich aufmerksam zu machen. Mitten im schönsten Traum zum Beispiel. Oder im Vorstellungsgespräch. Dann fühlt es sich an, als würde einem jemand mit tausend Fahnen wedelnd einmal quer durch den Kopf brüllen. Mit einem Mal bin ich wieder 12 und höre meinen Sportlehrer vom Seitenrand rufen: „Gebt der Astrid doch auch mal den Ball!“ Auch rückblickend einer der Tiefpunkte meiner Schulsportkarriere (nun ja, Karriere … eher Misere, wenn wir ehrlich sind, aber das klingt ja ganz ähnlich). Wenig hilfreich, wenn man gerade einem potenziellen neuen Arbeitgeber gegenübersitzt, dem man etwas über seine Stärken erzählen soll. „Sport schon mal nicht.“

In dem Geheimfach hinten im Hirn verstecken sich aber auch ein paar lustige Zeitgenossen. Heute morgen beim Frühstück poppte einer von ihnen fast gleichzeitig mit dem Toast hoch. Da sah ich mich wieder im Berliner Späti* stehen: Es ist Sonntagnachmittag, im Rest der Republik sitzt man bei Kaffee und Kuchen, während ich nach den richtigen Nudeln fürs Abendessen suche und ein Mann den Laden betritt, bei dessen Anblick man jetzt nicht direkt an die Worte wach und frisch denken muss. Eher eine Art Out-of-bed-Look, nur ohne Styling-Absicht. Folgerichtig begrüßt der asiatische Verkäufer den offensichtlichen Stammgast mit einem fröhlichen „Hi, wie geht’s? Ah, bist du grad erst aufgestanden?“ Verwirrter Blick, der den Asiaten fixiert, und dann ein todernstes: „Nee, wieso?“ Der Rest ist ein unverständliches schamhaftes Murmeln, unterbrochen nur von meinen kläglichen Versuchen, das Lachen zu unterdrücken. Großartig. Manchmal ist es doch auch schön, wenn sich die anderen blamieren. Zumindest, wenn es mich noch Jahre später beim Frühstück zum Lachen bringt.
Schön finde ich auch, wenn mein Hirn mich für ein paar Minuten wieder in die Deutschstunde im Gymnasium katapultiert, in der ein paar Klassenkameraden mit dem Reclam-Heftchen in der Hand vor der Klasse Goethes Götz von Berlichingen vortragen sollten. Ich sehe allerdings nur denjenigen vor mir, der den Götz geben sollte, und der voller Inbrunst ansetzt, um selbstbewusst und laut auszurufen: „Ich bin Bötz von Gerlichingen …“ – weiter kam er nicht mehr. Dafür hatte er ab da einen neuen Spitznamen. Ach ja, der Bötz … Fast so schön, wie der SPD-Politiker Hans-Ulrich Klose, der in den Neunzigern in einer Rede im Bundestag aufgebracht brüllte: „Wir pfeifen nicht nach Ihrer Tanze!“ Er hatte sich sicher einen anderen Effekt von seinen Worten versprochen, dafür bleiben sie unvergessen.

Und da sind noch so so viele andere kleine Sätze, die sich im Laufe des Lebens auf der Hängematte des Hirns einfinden. Die haben hier unmöglich alle Platz. Nur einen noch. Keinen lustigen, keinen peinlichen. Einen schönen. Wir schreiben das Jahr 2001 und ich sitze in der Pariser Metro. Es ist Vormittag, gegen 11, und hinter mir sitzt ein Pärchen, das ziemlich offensichtlich nicht zu den Privilegierten der Gesellschaft gehört und sich mit vom Alkohol schweren Zungen miteinander unterhält. Sie ist unglücklich und fragt sich klagend, wo denn der Sinn an ihrem Leben sei. Er tröstet sie und sagt mehrmals nacheinander einen Satz, der mich in diesem Augenblick bezaubert, weil so viel Liebe, Erkenntnis und Alltagsweisheit darin liegt: „Il faut de tout pour faire un monde.“ Eine französische Redewendung, die in ihrer Schönheit eigentlich unübersetzbar ist. Versucht man es trotzdem, kommt etwas heraus wie: „Für eine vollkommene Welt braucht es etwas von allem.“ Und das meint, wie eine Quelle aus dem Internet** anschaulich ausführt: „Es braucht die Grossen und die Kleinen, die Intellektuellen und die Praktiker, Männer und Frauen, Stadt und Land, das Meer und die Berge, usw.„. Die Reichen und die Armen. Die ganze Vielfalt eben. Ein schöner Gedanke, finde ich. Der darf es sich gerne bequem machen, hinten links in meinem Hirn.

 

*Späti = Berliner Kiosk, das eigentlich immer offen hatte und praktisch alles verkaufte, was man zum Leben brauchte und dadurch vor allem nachts und Sonntags die Grundversorgung aller feierwütigen und einkaufsfaulen Partypeople deckte. Ob’s die noch gibt? Keine Ahnung.

**https://biodiversitevs.files.wordpress.com/2010/02/04_april_de.pdf

 

 

 

 

 

 

Wenn der Zollstock leise knarzt

Tagesseminare haben zwei entscheidende Vorteile: 1. Sie dauern nur einen Tag. 2. Wenn man nach acht Stunden nach Hause fährt, weiß man mehr als vorher. Grund genug, eine dieser wunderbaren Veranstaltungen zu buchen! In dieser positiven Stimmung begab ich mich letztes Jahr also eines schönen Tages ins herbstliche Frankfurt, um mich näher mit dem Thema „Übersetzen von Geschäftsberichten“ zu befassen. Und als ich abends nach Hause fuhr, wusste ich tatsächlich mehr als vorher: Nämlich, dass ich niemals im Leben Geschäftsberichte übersetzen werde. Obwohl, nein … eigentlich wusste ich das schon zehn Minuten nach Seminarbeginn. Also, im Grunde begannen meine Zweifel mit dem Austeilen des Hand-outs, aber ich war ja positiv gestimmt. Damit war es allerdings vorbei, als die erste Bilanz an die Leinwand geworfen wurde und die Ausführungen des Dozenten mit jedem Satz nur noch mehr Fragezeichen in meinem Kopf produzierten. Schlagartig wurde mir klar, dass Tagesseminare auch einen ganz entscheidenden Nachteil haben: Sie dauern einen ganzen (langen) Tag!

Die regen und interessierten Wortbeiträge der anderen Teilnehmer, die an Konsolidierungsrücklagen, Nominalwerten und Wechselbürgschaften im Gegensatz zu mir ganz offensichtlich nichts Befremdliches fanden, trösteten mich auch nicht gerade. Ganz offensichtlich war ich die einzige Wirtschaftsnull in diesem Raum. Damit war dann zumindest das Motto meines Tages gefunden: Bloß nicht auffallen!
Ich brauchte also etwas, worauf ich meine Konzentration lenken konnte. Wann immer ein englisch-deutsches Vokabelpaar oder Begriffserläuterungen jeglicher Art auftauchten, notierte ich, was das Zeug hielt. Alle paar Minuten war ich damit immerhin beschäftigt (über den Sinn der Beschäftigung hüllen wir an dieser Stelle lieber den Mantel des Schweigens – nur so viel: Ein halbes Jahr später löst die brav notierte Definition, dass ein Rechnungsabgrenzungsposten der Kostenanteil ist, der nach dem Bilanzstichtag noch anfällt, nichts als ein dickes, fettes HÄ?! in mir aus). Dazwischen bemühte ich mich nach Kräften, intelligent zu schauen und meine Verzweiflung zu verbergen. Zwei Kaffeepausen und eine Mittagspause waren angekündigt. Die restliche Zeit war … lang. Unterteilt wurde sie nur vom rhythmischen Klackern und leisen Quietschen des Zollstocks, den der Vortragende in Ermangelung eines Laserpointers von der Organisatorin in die Hand gedrückt bekommen hatte und nach anfänglich verdutztem Blick dann doch recht schnell adoptierte. Das antiquierte Messwerkzeug bot ja auch deutlich mehr Möglichkeiten als ein langweiliger Laserpointer. Das Auf- und Zuklappen ist zum einen eine zusätzliche Beschäftigung zum Nervositätsabbau, beschäftigt darüberhinaus gleich beide Hände und man kann sich je nach gewünschtem Präzisionsgrad der eigenen Ausführungen auch noch überlegen, wie weit man ausklappen (60, 80 und 100 cm Länge waren übrigens die Favoriten, falls es jemanden interessiert), soll heißen: wie genau man auf eine Stelle an der Leinwand zeigen will bzw. wie imposant der Kreis sein soll, den man beim Zeigen durch die Luft schwingen möchte.  Und wenn es nichts zu zeigen gibt, kann man den Zollstock mit beiden Händen fassen und zu einem variablen Winkel formen. Dabei knarzt er dann ganz leise. Es hatte wirklich etwas Befriedigendes. Geradezu etwas Meditatives.

Beim Mittagessen im Restaurant schlug ich mich übrigens tapfer, neben Smalltalk und Gesprächen über amerikanische Präsidenten und solche, die es werden wollen, half auch die erforderliche Konzentration, die das unfallfreie Essen einer asiatischen Suppe (also so einer mit viel Gedöns drin) im geschäftlichen Umfeld verlangt, meine Tarnung nicht auffliegen zu lassen.

Rückblickend betrachtet wäre das eigentlich ein guter Zeitpunkt gewesen, die Qualen abzukürzen und den restlichen Nachmittag sinnvoll, das heißt mit einem ausgedehnten Spaziergang am Main zu verbringen. Da ich aber voll und ganz damit beschäftigt war, meinem Motto treu zu bleiben (ein Ansinnen, das spätestens mit diesem Artikel sein Ende finden dürfte) und die Anzahl der Seminarteilnehmer nun wirklich reichlich überschaubar war, blieb ich. Ich notierte. Ich schaute intelligent. Ich konzentrierte mich auf das Quietschen des Zollstocks. Und überlegte, wie ich das Seminar genannt hätte. Vielleicht: „Konzentrationsübungen mit Konzernabschlüssen“. Oder: „Meditieren mit Mezzaninkapital“. Ach nein, viel besser: „Wenn der Zollstock leise knarzt“.

Lasst die Wortspiele beginnen

Hurra, es ist Fußball-EM! Für sprachaffine Menschen eine mindestens genauso aufregende Zeit wie für Fußballfans. Denn wann sieht – und hört! – man sonst schon eine solch geballte Masse Rasenballsport? Ob man sie verehrt oder verachtet, die Gottlobs und die Réthys dieser Welt servieren uns Wortwitzigen, uns, die wir Fußball als großes Ganzes wahrnehmen, deren Interesse weit über das Spiel hinausgehend auch fundamentale Faktoren wie Frisur, Trikot-Passform, Aussehen, Alter und Ausstrahlung der Spieler in ihrem vollen Ausmaß und ihrer wahren Bedeutung zu würdigen weiß, zuverlässig Abend für Abend neue sprachliche Leckerbissen, die uns wahlweise (freiwillig oder unfreiwillig) schmunzeln, aufstöhnen, die Hand an die Stirn klatschen oder auf den Schenkel klopfen lassen. Ein wahres Fest für unser Sprachzentrum.

Lauschen wir den Kommentatoren doch eine Minute. „Und da fährt der die Gräte aus“, empört sich der erste. „Jetzt müssen sie aber die Ärmel hochkrempeln… wenn das ginge, aber die Trikots haben ja kurze Ärmel … also, dann müssen sie jetzt aber die Beine unter die Arme nehmen.“ Aha. Der Experte in der Pause erzählt unterdessen von seinem neuen „Volleyballschläger“. Soso. Der nächste Kommentator scheint gedanklich noch dem Song zur WM 2010 nachzuhängen und berichtet, der Schweizer Nationalspieler „Shakira“ habe den Ball soeben an „Cher“ gepasst (bei genauerem Hinsehen entpuppten sich die beiden als Shaqiri und Schär). Das erinnert mich plötzlich an Argentinien, wo es einen Nationalspieler namens Di Maria gibt. „Di Maria hat den Ball“ … „Di Maria zieht vorbei“ … „Er gibt ab an Di Maria, Di Maria schießt…“ – Ach, was waren das herrliche Kommentare bei der letzten WM.

Alle, die wie ich Asterix lieben, kommen aber auch bei dieser EM voll auf ihre Kosten. Ich sage nur: Island. Erstens: Alle Spielernamen haben dieselbe Endung. Zweitens: Ein Stürmer, der Sigthorsson heißt. Drittens: Ein Torwart, der Halldorsson heißt. Ist das zu fassen? Nein! Das ist Island! Also bitte, da kann man doch gar nicht anders. Die Twitter-Gemeinde überschlägt sich vor Eifer bei der Suche nach dem originellsten, lustigsten, intelligentesten, plattesten – nun, oder auch einfach überhaupt nach einem Wortspiel. „Ausgleichsson“ wird nach der portugiesischen Führung gefordert, „Kontertorson“ gar. Und natürlich ein plötzlich heiß ersehntes Siegtor für Island durch Sigthorsson. Bis zu diesem einen Moment, in dem der Coach grausam alle Hoffnungen zerstört und den Stürmer mit dem vielversprechenden Namen einfach auswechselt. (Natürlich fiel dann auch kein Siegtor mehr. War ja klar.) Und die Zeitungen titeln „Sensationsson“ und „Überraschungsson“.

Besser geht’s nicht. Außer vielleicht am nächsten Spieltag. Denn: Das nächste Wortspiel kommt bestimmt!

Seltsam

Hierzulande ist manches seltsam. Das Wetter, das Verhalten von Politikern oder dass man immer an der falschen Kasse ansteht. Und manchmal auch unsere Sprache. Ein verwundertes Kopfkratzen lösen bei mir zum Beispiel oft Ortsnamen aus. Ortsnamen wie Weiterstadt oder Neindorf. Da fragt man sich ja schon, wie diese Namen entstanden sind. Wie schrecklich muss ein Landstrich sein, dass man ihn Hassloch nennt? Und gibt es wirklich geile Kirchen in Geilenkirchen?
Im Vergleich dazu wirft der Name der Stadt, in der ich aufgewachsen bin – Leverkusen – wenige Fragen auf und ist geradezu langweilig normal. Zu lang dafür, zu unmelodisch, unansehnlich irgendwie und wenig attraktiv, was Klang und Reimfähigkeit betrifft (genauer betrachtet also eine absolut treffende Benennung), aber seltsam ist an dieser Stadt nicht der Name. Seltsam ist der Geschmack seiner Einwohner. Und damit meine ich ausnahmsweise nicht das, nun, sagen wir, eigenwillige Stadtbild. Damit meine ich die seltsame Vorliebe der Leverkusener für Wortspiele (ein Paradies für Friseure, könnte man sagen). Als vor vielen, vielen Monden der Komplettumbau eines städtischen Schwimmbads anstand, wurden die Bürger gebeten, Namensvorschläge für das neue Nassparadies einzureichen. Tja, seitdem heißt das Bad CaLEVornia. Ich kommentiere das lieber nicht weiter. Und nein, das war kein einmaliger Ausrutscher. Jahre später wurde eine neu mit Geschäften und Cafés gestaltete Brücke in der Innenstadt Rialto BouLEVard getauft. Bleibt nur zu hoffen, dass damit das Potenzial für ähnlich kreative Ergüsse mit dem Kürzel LEV erschöpft ist.

Es geht aber noch viel seltsamer. Das Seltsamste, das ich in meinem Leben bisher je gehört habe, war ein Satz, den eine Frau in einem kleinen Drogeriemarkt irgendwo in den Weiten Berlins von der anderen Kasse in meine Richtung herüberrief. „Ich sammle tote Ameisen!“, rief sie. Ah ja. Ich weiß noch, wie ich auf das soeben gekaufte Ameisengift in meiner Hand hinabblickte, und wie sie dann, herübereilend, in einer vollkommen unnötigen Ausführlichkeit erläuterte, dass sie Schmuck aus toten Ameisen herstelle. Und fragte, ob ich ihr nicht welche schicken könne. „Klar“, sagte ich. Habe ich dann aber doch nicht gemacht. Ganz ehrlich, das war mir einfach doch zu …. seltsam.

 

 

Mitten ins Herz

Für jeden von uns gibt es ganz subjektiv das, was Gustave Flaubert, der französische Romancier aus dem 19. Jahrhundert, das mot juste nannte, also das genaue, das treffende Wort. Er war überzeugt davon, dass gute Literatur nur durch vollkommene Präzision und Sorgfalt bei der Formulierung entstehen könne. Genauer betrachtet ein Rat, den man so manchem Schreiberling heute gerne wieder ans Herz legen würde…

Doch auch außerhalb der schreibenden Zunft ist das ein interessantes Konzept. Jedes Wort hat nicht nur eine ganz bestimmte Aussage, sondern auch eine Wirkung. Genau genommen sogar zwei. Die generelle Wirkung, die es im Zusammenspiel mit seinen jeweiligen Textabschnittsgefährten (Deckname Kontext) ausübt und die individuelle Wirkung, die es in jedem von uns entfalten kann, sozusagen die Glocke, die in unserem Inneren klingelt, wenn wir etwas ganz Bestimmtes mit diesem Wort oder Ausdruck verbinden.

Mit wohl gewählten Worten lässt sich daher viel erreichen. Das wissen nicht nur Politiker (die es allerdings zu meinem Leidwesen oft genug nur noch im Umkehrschluss beherzigen, also statt die richtigen Worte zu suchen sich ausschließlich auf die Vermeidung der falschen konzentrieren – drohenden Medienstürmen sei Dank), Sektenführer, Dichter und begabte Redner. Eigentlich kennen wir das doch alle. Diesen Moment, in dem es uns erwischt. Da reicht eine Textzeile in einem Lied, der Kommentar eines Freundes, ein Satz aus einem Buch oder ein Wort im Radio, und es trifft uns mitten ins Herz. Die Worte lösen etwas in uns aus. Simples Entzücken ob ihrer Schönheit, warmen Zuspruch ob ihrer Wahrheit, stille Sehnsucht ob ihrer Weisheit, sanfte Wehmut ob der Erinnerungen, die sie in uns aufsteigen lassen oder tiefe Erleichterung ob der urplötzlich glasklaren Erkenntnisse über die Welt, über das Leben oder uns selbst.

Die richtigen Worte im richtigen Moment sind wichtiger, als so mancher heute glaubt. Eine Prise Flaubert könnte unserer modernen Gesellschaft da nicht schaden. (Übrigens, angesichts des drohenden Valentinstags, auch so mancher Partnerschaft nicht.)
Ganz klar: Man kann sie nicht immer treffen, die richtigen Worte – aber man kann immer jemanden treffen, mit seinen Worten. So oder so. Bedenkenswert, finden Sie nicht?

Wahnsinn, das gibt es. Nicht.

Iro·ni̱e̱
Substantiv [die]

1. Der Vorgang, dass jmd. auf indirekte Weise seinen Spott zum Ausdruck bringt, indem er das Gegenteil dessen sagt, was er meint.
2. Mein zweiter (okay, dritter) Vorname

Schon Sokrates in der Antike kannte sie, wenn auch in einer etwas anderen Bedeutung. Nach ihm, der bekanntermaßen auf seinem Nichtwissen beharrte, ist mit der sokratischen Ironie auch heute noch die bewusste Verstellung eines Gesprächspartners benannt (im Prinzip das absichtliche Dummstellen), um das Gegenüber in die Falle zu locken, es sozusagen höchstselbst die Falschheit seiner Aussage aufdecken zu lassen. Perfide, aber wirkungsvoll.

Seitdem hat sie eine lange, wandlungsvolle Geschichte hinter sich, die Ironie. Was hat sie nicht alles durchmachen müssen. Wie oft wurde sie missverstanden. Wie oft benutzt und von gemeinen Zynikern missbraucht. Und dann kam das Internet.

Mit ihm kam nicht nur eine Welle von neu erwachter Begeisterung für die Rautetaste, die bis dahin ein eher ungeliebtes Dasein auf den Tastaturen dieser Welt fristete, was sich spätestens mit der Geburt von Twitter radikal änderte. Die Hashtag-Manie griff um sich, verlangte nach Originalität und machte fleißigen Gebrauch der guten alten Ironie (zugegeben: nicht immer ganz unamüsant).
Mit ihm kam auch ein Problem in unsere Welt, das die meisten vorher nicht kannten. Es wagte sich aus seiner Nische und wuchs und wuchs und wollte gar nicht mehr aufhören zu wachsen. Heute ist es so groß wie Russland. Mindestens. Sie mögen ahnen, was ich meine: Das Problem, dass ironische Bemerkungen in den (wahrscheinlich parallel zur Entwicklung unserer Aufmerksamkeitsspanne) immer kürzer werdenden Online-Aussagen nicht mehr verstanden werden. Aber der gemeine Internetnutzer ist ja erfinderisch. Und so erfand er den Zwinkersmiley, mit dem heute jeder auch noch so kleine Funke Ironie zugepflastert wird, damit der Leser ihn auch ja nicht verpassen möge.
Und dann kamen die Chatnutzer. Wer auch immer das war, irgendjemand hat sie (oder zumindest ihre Sprache) aus ihrer Ecke gezerrt und mitten in die große weite Welt geschubst. Seitdem profitiert der Leser von so wunderbaren Konstruktionen wie *Ironiemodus an*/*Ironiemodus aus*, in die Kommentare eingerahmt werden. Herrlich. Einfach herrlich.
Da offenbar nicht nur aller guten, sondern auch aller fragwürdigen Dinge drei sind, blieb es natürlich nicht dabei. Ein paar findige Anglizismen heischende Prenzlauer-Berg-Latte-Macchiato-irgendwasmitMedien-Hipster brauchten mehr. Es reichte ihnen alles nicht. Und seitdem darf ich im Internet regelmäßig Sätze lesen, die mir ob ihrer Falschheit und grauenhaft gewollten Originalität die Haare zu Berge stehen lassen. Sätze wie „Das ist wirklich, wirklich lustig. Nicht.“ oder „Einfach großartig. Nicht.“ etc. Ganz ehrlich, die Konstruktion funktioniert schon im englischen Original nur bedingt, weil so viele es so gerne falsch benutzen (warum auch immer), aber grundsätzlich erlaubt die englische Satzstellung diesen Witz durchaus. Die deutsche aber nicht! Gar nicht! Überhaupt nicht! Außer natürlich in meiner Überschrift. Da natürlich schon.

Wie unpassend!

Gestern musste ich mich wirklich wundern. Da ging ich spazieren und bog in eine Straße ein, die sich lange, meiner Meinung nach sogar sehr lange (als es zu regnen anfing eindeutig viel zu lange) einen Berg hinaufwand. Während ich mir also vorstellte, einer Bergziege gleich behände und ganz ohne Ächzen und Stöhnen die langgestreckte Anhöhe zu erklimmen und dabei versuchte, mich weder von meinen brennenden Oberschenkeln noch von meinem lauten Japsen und Schnaufen ablenken zu lassen, erblickte ich zu meiner Rechten plötzlich ein Straßenschild. Und blieb ob dieses Anblicks verdattert stehen. Flachstraße las ich da. Wie unpassend! Diese Straße war alles – lang, sehr lang, viel zu lang sogar, gewunden, steil, bergig – alles, aber nicht flach. Stadtplaner hatten wohl doch mehr Humor als ich dachte … Kopfschüttelnd und die lautstarken Einwände meiner Lunge und Beinmuskeln geflissentlich ignorierend nahm ich meinen Weg wieder auf und kletterte weiter hoch, bis zu einer Abbiegung, an der es in ein kleines Sträßchen mit dem sinnigen Namen Am Hang ging. Die Sektlaune der Stadtplaner hatte wohl ihr Ende gefunden.

Doch eigentlich gibt es sie doch immer wieder, diese Momente, in denen man denkt: „Nanu, wer bitte hat sich denn diesen Namen ausgedacht?“. Ich erlebe sie oft auf der Autobahn, wenn ich an Raststätten wie Schauinsland West oder Viehwald vorbeikomme und Abfahrtsschilder Orte wie Oed, Leer, Neindorf oder Weiterstadt ankündigen. Da kann man schon mal ins Grübeln geraten, was zur Entstehung dieser Namen geführt haben mag. Wie verdient sie sind. Und ob man sich wohl je daran gewöhnen kann, in einer Gemeinde zu leben, die Streit, Haßloch, Galgen, Geilenkirchen oder Wixhausen heißt. In meinem Heimatort gibt es einen Stadtteil mit dem Namen Fettehenne. Auch nicht schön. Wie passend der Name ist, dazu möchte ich jetzt lieber nichts sagen.
Dann doch lieber ab ins Allgäu nach Lachen, ins bayerische Feiern oder ins bergische Land nach Witzhelden.

Wie passend oder unpassend ein Name ist, ist im Grunde natürlich völlig subjektiv. Als ich das letzte Mal durch Österreich fuhr, sah ich Werbung für ein Modeunternehmen, das sich Fussl nennt. (Ein Blick aufs Impressum verrät seinen Sitz: Am Fusslplatz 26-32.) Da wünscht man sich wohl kaum, dass die Kunden „wie passend“ denken … Wenn ich ein Modeunternehmen hätte, würde ich es ja (selbst wenn es in Oberhäslich ansässig wäre) eher Edel & Elegant statt Fussl nennen, aber was weiß ich schon? Ich würde ja auch lieber in Lachen oder Feiern wohnen als in Fettehenne oder Wixhausen.

In diesem Sinne: Ob Sie in Lederhose, Kaffeekanne, Elend oder Luschendorf wohnen – machen Sie das Beste draus!

 

Denn do ben ich zohuss*

Der schönste Dialekt ist ja immer der, mit dem man aufgewachsen ist. Tja, ich bin ohne Dialekt aufgewachsen. So ist das nämlich, wenn ein Elternteil kein Muttersprachler ist und der andere sich erfolgreich bemüht, immer Hochdeutsch zu sprechen. (Verstehen Sie mich nicht falsch – dafür bin ich durchaus dankbar. Spätestens seit meinem Studium in der Pfalz, als mir zum ersten Mal Menschen begegnet sind, die Hochdeutsch offensichtlich nur für ein böses Gerücht halten (siehe auch Ein Fall für sich: Pfälzisch)). Ich kann also nicht mit Sicherheit sagen, wann meine erste Berührung mit dem Dialekt meiner Heimat stattfand. Fest steht lediglich, dass dies außerhalb der vier Wände meines Elternhauses passiert sein muss.

Ich bin in Köln geboren (von wo ich ein Jahr später in eine viel zu kleine Nachbarstadt mit einem viel zu lieblosen Stadtbild rund um ein viel zu großes Chemiewerk verschleppt wurde). Technisch gesehen bin ich also ne kölsch Mädche*. Ich sprech nur nicht so. Mein L ist kein dunkel betonter Dreifachlaut, ich kann ch hörbar von sch unterscheiden und mein Ei ist ein Ei, kein Äi. Ich lese, ich schreibe und ich laufe gerade, wenn der Rest des Rheinlands am Lesen, am Schreiben und am Laufen ist. Wenn ich mich über jemanden ärgere, bezeichne ich ihn als Idioten und nicht als fiese Möpp*. Und wenn ich fluche, wähle ich wenig originell den Ausdruck mit Sch, statt aus vollem Herzen sun Driss* zu brüllen.

Also in der Regel ist das so. Doch ming kölsches Hätz* erwacht zuverlässig, wenn jemand die richtige Musik aufdreht, also wenn et Trömmelsche jeht*, sozusagen. Da ben isch dobei* und finnde dat pri-hi-ma. Obwohl ich KEIN Karnevalsfan bin. Wirklich nicht. Aber die Lieder kann ich alle. Und wenn irgendwo die ersten Akkorde von En unserem Veedel* erklingen, reihe ich mich ohne zu zögern ein, hake mich bei Wildfremden unter, schunkele im Takt und singe mit vor Rührung feuchten Augen jede einzelne Zeile mit. Wie jeder gute Kölner eben. Mir sin evve janz schön sentimentaal.*

Ohne Musik kommt mir selten ein kölsches Wort über die Lippen. Bis auf eines, das ich einfach wunderbar finde und für das mir schlicht eine adäquate hochdeutsche Entsprechung fehlt: usselig. Usselig ist die Bezeichnung für das unangenehme nasskalt-graue Wetter, das im Rheinland den Herbst und Winter dominiert und die Entscheidung zwischen Couch und Spaziergang in der Regel zugunsten des Sitzmöbels beeinflusst. Usselig: ein Zustand irgendwo zwischen ungemütlich und ekelhaft, zu warm für die Winterjacke und zu kalt für die Herbstjacke, zu dunkel für einen ordentlichen Tag, aber zu hell, um sich mit gutem Gewissen wieder ins Bett zu legen, zu nass zum Spazieren aber nicht nass genug, um lästige Einkäufe aufzuschieben. Eine überaus praktische Vokabel, wie Sie sehen. Und universell, denn neben dem Wetter lässt sich damit im Prinzip jede Lebenssituation beschreiben (Ähnliches gilt übrigens für das gegenteilige lecker). Und jeder Gegenstand.

Natürlich birgt der kölsche Dialekt noch unzählige weitere Genialitäten, aber für heute lass ich es gut sein und verabschiede mich – wie sollte es anders sein – mit den ersten drei Paragraphen des kölschen Grundgesetzes:
§1 Et es, wie et es.*
§2 Et kütt, wie et kütt.*
§3 Et hätt noch immer jot jejange.*

 

* Kleines Kölsch-Wörterbuch:
denn do ben ich zohuss = denn da bin ich zuhause
ne kölsch Mädche = ein kölsches Mädchen
fiese Möpp = Idiot
sun Driss = so eine Scheiße
ming kölsches Hätz = mein kölsches Herz
wenn et Trömmelsche jeht = wenn die Trommel ertönt
da ben isch dobei = da bin ich dabei
en unserem Veedel = in unserem Viertel
mir sin evve janz schön sentimentaal = wir sind eben ganz schön sentimental
usselig = bäh (z. B. Wetter)
et es, wie et es = es ist, wie es ist
et kütt, wie et kütt = es kommt, wie es kommt
et hätt noch immer jot jejange = es ist noch immer gut gegangen

Silvesterliche Selbstgespräche

„Heute ist Silvester.“ Keine Antwort. Kein Wunder, von wem auch. Es war neun Uhr morgens und ich saß alleine in der Küche. In Gesprächslaune. Während der wunderbare Mann an meiner Seite nicht an meiner Seite war, sondern friedlich schlummernd im Bett lag. Wecken war keine Option, da die männliche Gesprächslaune erst nach Unmengen Kaffee und einer Stunde Brummelschweigen erwachen würde. (Brummelschweigen: die regel- oder unregelmäßige Abgabe müder Grunzlaute während eines morgendlichen Wortschwalls.) Da könnte ich gleich mit der Wand reden. „Stimmt doch“, murmelte ich und richtete meinen Blick gen Küchenwand. Meine Augen blieben an einem Riss hängen, der ein bisschen aussah wie ein Lächeln. Eigentlich mehr ein Grinsen. Meine Küchenwand grinste mich höhnisch an. Soweit war es also schon gekommen. Bitte – ich brauchte sie nicht. Ich hatte doch einen Gesprächspartner. Den besten überhaupt: mich selbst! Selbstgespräche sollen ja angeblich sehr gesund sein. Na, dann mal los.

„Heute ist Silvester.“ – „Hmm.“ – „Silvester kommt aus dem Lateinischen und bedeutet eigentlich Waldmensch.“ – „Soso.“ – „Nicht interessant?“ – „Nein.“ – „Okay. Weißt du, was ich mich schon lange frage? Warum wünscht man sich in Deutschland eigentlich einen guten Rutsch? Also, worein oder wohin soll man denn rutschen und worauf eigentlich? Und warum rutschen?“ – „Weiß ich auch nicht. Frag doch mal das Internet.“ – „Das Internet ist sich nicht einig. Es könnte aus dem Jiddischen kommen. Andererseits hieß rutschen früher wohl auch reisen oder fahren. Das klingt doch einigermaßen plausibel. Man wünscht eine gute Reise ins neue Jahr.“ – „Aha.“
Irgendwie hatte ich mir ein Selbstgespräch ja aufregender vorgestellt. Weniger einsilbig. Es war wohl doch noch zu früh, um mehr als ein Ich in Gesprächslaune zu bringen.

„Weißt du, was ich mich noch frage?“ – „Du fragst dich ganz schön viel.“ – „Kann sein. Ich frage mich auf jeden Fall, warum Vorsätze Vorsätze heißen. Was soll denn ein Vorsatz sein? Ein Satz vor einem Satz? Dann wären richtige Sätze aber doch besser als Vorsätze.“ – „Nee, kommt aus dem Mittelhochdeutschen ‚vürsaz‘ (Vorhaben/Absicht), das sich wiederum vom Althochdeutschen ’sezzen‘ (aufstellen, festlegen) ableitete.“ – „Woher weißt du das denn??“ – „Internet.“

Ein plötzliches Quietschen ließ mich verstummen. Die Küchentür öffnete sich langsam. Ein knurriger Grunzlaut, der entfernt an das Wort „Kaffee“ erinnerte, brummelte mir entgegen. Der Countdown lief. Noch eine Stunde bis Gesprächslaune.

 

Winterweihnachtsworte

Winterstille Wolken wittern,
während wir warten, warten, warten,
wann Wunderwatteregen wohl
Wege wie Wiesen
weißwaschen
wird.

Wohnungen werden wohlgewärmt,
wintergewappnet, weihnachtsverziert.
Wintertanne wie Weihnachtsgans,
Würstchen, Wachteln, Wildragout
würzen wohlige Wohnzimmerluft,
widerstrahlen Weihnachtsduft.

Weihnachtstellerweise werden
weiche Wampen wohlgefüllt,
Weihnachtsplätzchen weggenascht,
Wunschzettelwünsche wahrgemacht.

Woraufhin wir weihnachtsselig
weise Weihnachtswünsche wispern,
weltweit Waffenstille wittern,
Weltenglück wie Wohlstand wähnen,
weithin Wohlsein
weithin Wonne
weithin Wahnsinnsweihnacht‘ wünschen.

Wörter, die wirken

Wörter sind viel mehr als die kleinen Puzzleteile, aus denen sich unsere Sprache zusammensetzt, viel mehr als die gewollte oder zufällige, über die Jahre gewachsene, feingeschliffene, reformierte, zurückreformierte, logische oder unlogische Zusammensetzung einzelner Buchstaben. Wörter sind (dank des Fernsehens sogar oft genug öffentliche) Verkehrsmittel. Denn sie transportieren etwas – wohlgemeinte und weniger wohlgemeinte Aussagen, Weisheiten, aber auch Dummheiten, Meinungen oder Bilder. Wörter wirken – wenn man weiß, wie man sie einsetzt. (Dass das viele heute nicht mehr zu wissen scheinen, ist ein anderes Thema…)

Wörter können Waffen sein.
Wohl jeder von uns kennt die Situation, in der ein einziges falsches Wort ausreicht, das einen genau in den wunden Punkt trifft und tiefer verletzt als jedes andere. Der Schmerz, den wir im Innern fühlen ist oft schwerer zu ertragen und zu überwinden als der, der von außen auf unseren Körper wirkt. Das sollte man nie vergessen, vor allem nicht, wenn man auf der anderen Seite des Worts steht und es an einem selbst ist, sich für das rechte oder das falsche Wort zu entscheiden. Rache mag Blutwurst sein. Doch Wörter sind Waffen. Und Waffen sind gefährlich. (Und Blutwurst ist ohnehin eine Geschmacksfrage.)

Wörter können eine Ziege sein, die an der Fußsohle leckt.
Zum Beispiel, wenn ich im Restaurant sitze. Dass korrekt geschriebene Speisekarten in etwa so häufig vorkommen wie rosafarbene Einhörner weiß ich ja. Ich bin also mental schon auf Schreibfehler eingestellt. Und dann sehe ich Bambi-Goreng – und pruste los.
Oder wenn der wunderbare Mann an meiner Seite versucht, aus meiner, ähem, sagen wir: kreativen Handschrift auf dem Einkaufszettel Sinnvolles herauszulesen und voller Freude über die Erkenntnis laut Kirrbiss sagt. Manche Wörter treffen eben direkt mein (recht großzügig proportioniertes) Humorzentrum. Das lässt andere auch schon einmal ratlos zurück, und manchmal, ein paar Stunden, Tage oder Wochen später, sogar mich selbst. Aber was soll’s? Ich habe auf jeden Fall immer viel zu lachen.

Und Wörter können Zwiebeln sein.
Wenn ich das Wort Jahresrückblick in der Fernsehzeitschrift lese, bekomme ich schon feuchte Augen. Genauso geht es mir bei dem Wort Abschied. Und als Mel Gibson damals in Braveheart kurz vor der Hinrichtung aus voller Kehle Freedom brüllte, da entleerten sich meine Augen geradezu sturzbachartig aller ihrer Tränen. Zugegeben, der Film selbst, die Bilder und die Musik hatten ihren Anteil daran – dennoch ist es letztlich dieses eine Wort, das wirkte. Hätte er an derselben Stelle, nun, sagen wir einmal: Mama gerufen, wäre die Wirkung ungleich anders gewesen.

Was ich damit sagen will? Wählen Sie Ihre Worte weise! Wirken Sie – mit Wörtern, die wirken!

Die reinste Apostrophe!

Ich habe mich ja lange zurückgehalten. Und im Stillen gehofft, dass durchatmen und bis zehn zählen hilft. Inzwischen müsste ich bei 1000 sein, ach, was sage ich, eher bei 273.728. Geholfen hat es aber nicht.

Ich hatte wirklich gehofft, dass es mich irgendwann nicht mehr stören würde. Dass ich es irgendwann gar nicht mehr bemerken würde. Dass ich mich daran gewöhnen würde. Einfach, weil es allgegenwärtig ist und ich ohnehin nichts tun kann.
Nun, diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Es macht mich wahnsinnig! Und wie. Und es fällt mir ständig auf, überall. Ich kann mich ganz und gar nicht daran gewöhnen. Und das Schlimmste: Es ist allgegenwärtig und ich kann nichts dagegen tun!

Sie ahnen sicher längst, wovon ich spreche. Von diesem grauenhaften Phänomen des furchtbar falsch gesetzten Apostrophs, der einen von sämtlichen Schildern, Schaufenstern und Plakatwänden Deutschlands, ja sogar von Prospekten, Flyern und Katalogen anstarrt. Wer hat diese Lawine des zunächst harmlos anmutenden, scheinbar schwerelos schwebenden kleinen Hochkommas eigentlich ins Rollen gebracht, die die meisten von uns längst unter sich begraben hat? Ich vermute ja, es war ein ahnungsloser Angelsachse, der mitsamt seinem englischen Ladenschild, auf dem die Worte Pete’s Pizza prangten, vor vielen Jahren nach Berlin zog. Wie hätte der auch ahnen sollen, dass wir Deutschen so trendversessen sind, dass wir umgehend unseren eigenen für den englischen Genitiv bereitwillig und begeistert von Bord werfen? (Zugegebenermaßen: es könnte auch aus reiner Dummheit oder Ignoranz geschehen sein, aber als Verfechterin einer Weltsicht, in der Gläser gemeinhin halb voll sind, gebe ich lieber einem Hipster die Schuld. Vor Schreck über seinen unabsichtlich kreierten Massentrend hat der damals dann glatt vergessen, sich zu rasieren. Und sich vor Ungläubigkeit über die vielen Nachahmer-Schilder eine viel zu große Brille mit dickem schwarzem Rand gekauft. Meine Vermutung.)

Und so laufe ich heute durch die Straßen und seufze innerlich jedes Mal auf, wenn ich an Udo’s Haarschneiderei, Göbel’s Backstube, Henry’s Secondhand-Fahrräder, Katja’s kleiner Basar, Walter’s Futterkrippe oder Schön’s Kiosk vorbeikomme. Unübertroffen bleibt allerdings das Schaufenster einer Bäckerei, in der ich letztens war, auf dem stolz bekanntgegeben wurde: „Jetzt auch Sonntag’s geöffnet!“. Ein Moment zwischen Lachen und Weinen. Es wurde ein Wimmern. Ein lautes Wimmern. Sonntags ist nicht einmal ein Genitiv, sondern ein Adverb (das als solches auch noch klein geschrieben werden müsste). Wie um Himmels willen kommt man auf die Idee, da einen Apostroph einzubauen? Das würden nicht einmal die Angelsachsen tun. Ich habe trotzdem ein Brot gekauft (ohne Apostroph im Namen). Und hätte am liebsten mit einem Duden bezahlt. Hatte keinen dabei. Leider.

 

 

Listenreich durchs Leben

Wer einen Blick in meine Schränke, Kommoden, Küchenschubladen oder tagsüber auf meinen Schreibtisch wirft, der erkennt mein wahres Ich (das sich unangekündigtem Besuch auch schon mal gleich beim Betreten der Wohnung offenbart). Das ist nämlich ziemlich unordentlich. Ordnung im Sinne eines ordentlichen Haushalts und aufgeräumten Zimmers war mir – zum Leidwesen meiner Eltern – noch nie wichtig. Ich räume aus rein ästhetischen Gründen auf, weil ich es gern schön um mich herum mag. Wo sich das Chaos gut macht (das gehört so, das ist Design!) oder wo es keiner sieht (wie in der Küchenschublade), darf es gerne bleiben.

So unwichtig mir die äußere Ordnung ist, so wichtig ist mir die innere. Ich mag es im Leben nämlich nicht nur schön, sondern auch strukturiert. Und so schlich sie sich eines schönes Tages in mein Dasein und in mein Herz, und sie sollte es nie wieder verlassen: die Liste. Ohne sie scheint mir meine schiere Existenz gleichsam hohl und leer.

Meine persönliche Nummer 1 (ja, der Listenvirus sitzt tief): To-do-Listen. Sie strukturieren jeden meiner Tage und befriedigen meine Leidenschaft für gut durchdachte Pläne. Gibt es ein schöneres Gefühl, als nach der Erledigung einer Aufgabe wieder einen Punkt durchstreichen zu können? Ein dynamischer Strich locker aus dem Handgelenk verleiht Gemüt, Hirn und Knochen neuen Schwung und hält den Motivationsmotor auf Trab. Und beim letzten Listenpunkt erst: Was für ein Moment! Da möchte man sich wie Hannibal aus dem A-Team damals eine Zigarre anzünden, in aller Ruhe den ersten Zug nehmen und zufrieden lächelnd „Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert!“ sagen. (Also minus Zigarre.)

Auf Platz 2 folgt gleich die Einkaufsliste. Ohne sie fühle ich mich im Supermarkt verloren. Und vergesslich! Beim späteren Auspacken listenlos eingekaufter Lebensmittel bestätigt sich dieses Gefühl dann in der Regel.

Aber es gibt noch so viel mehr Listenmomente in meinem Leben. Wenn ich verreise, schreibe ich vorher eine Packliste, damit ich auch bloß nichts vergesse, was ich am anderen Ende der Welt (na gut, in Italien) vermissen könnte. Einfälle und Geistesblitze für neue Artikel sammle ich in einer Ideenliste. Dinge, die in der Wohnung fehlen, weil sie noch im schwedischen Möbelhaus herumstehen oder im Baumarktregal liegen, kommen auf die Wohnungsanschaffungsliste. Eine Liste hilft mir auch, mir vor einem Vorstellungsgespräch meine Stärken und Schwächen zu vergegenwärtigen. Und wenn ich mich frage, ob mir mein Leben so gefällt, wie es ist, wohin es in der Zukunft gehen soll und was für Wünsche und Ziele ich noch habe, schreibe ich eine Lebensliste.

Listen begleiten und leiten mich. Ein Leben ohne Listen? Unmöglich. Und sinnlos!

Kommunikative Vollkatastrophe

In meinem Leben gibt es das immer wieder: Ich sitze da und rede, aber das, was ich sagen will, kommt bei meinem Gegenüber einfach nicht an. Da hilft auch kein sprachwissenschaftliches Studium.

Situation 1: Beim Frisör
Ich sage so etwas wie: „Der Schnitt kann grundsätzlich so bleiben, aber ich hätte die Haare gerne etwas kürzer, so etwa 10 cm, bitte.“ Dem Ergebnis nach zu urteilen scheint dieser Satz für Frisöre eine meiner Wahrnehmung diametral entgegengesetzte Bedeutung zu haben. Nämlich wahlweise (vermutlich je nach Selbstbewusstsein) entweder: Ein Kurzhaarschnitt also! oder: Nur die Spitzen!
So oder so, entweder muss ich zu viel Haare lassen oder ich nehme zu viel wieder mit.

Situation 2: Beim Arzt
Die Ärztin fragt: „Was fehlt Ihnen denn?“ und prompt ist mein Kopf leer. Alles, was ich mir vorher zurechtgelegt hatte – weg. Geht’s mir nicht sogar ganz gut? Ich fange an, diffus etwas von Halsschmerzen zu faseln, aber eigentlich sei das ja schon viel besser. Ich, versuche, die stumme Frage nach dem Grund meines Besuchs, die ich in den Augen meiner Ärztin abzulesen meine, zu beantworten, ich versuche, mich zu erinnern und höre mich plötzlich über den Ballettunterricht meiner Kindheit und meine frühe Abneigung gegen Tomaten sinnieren. „Häää?!“ denke ich nur noch, und dem skeptischen Blick der Ärztin nach bin ich mit diesem Gedanken nicht alleine. Sie untersucht mich kurz und ich verlasse die Praxis wenige Minuten später mit der spektakulären Diagnose geröteter Hals, dem Ratschlag, viel zu trinken und dem Gefühl, ganz und gar unverstanden zu sein. Erst zuhause fällt mir wieder ein, dass ich vielleicht die Übelkeit und Luftnot hätte erwähnen sollen…

Dabei ist es als Übersetzerin doch mein Beruf, andere zu verstehen und mich anderen verständlich zu machen. Beinahe tagtäglich meistere ich die Herausforderung, die englischen Ergüsse niederländischer, japanischer oder balinesischer Ingenieure, Techniker oder – wenn ich Pech habe – Praktikanten oder – wenn ich noch mehr Pech habe – gleich unter Zuhilfenahme gewisser Suchmaschinen produzierte textähnliche Gebilde in lesbare deutsche Softwarehandbücher zu verwandeln. Ohne kommunikative Expertenkenntnisse ginge das gar nicht!
Auf diese Kenntnisse kann ich mich beruflich wirklich immer verlassen, doch privat scheinen sie regelmäßig ein Nickerchen einzulegen, wenn ich sie bräuchte. Und ehe ich michs versehe, habe ich mich bereits bildlich gesprochen in den unbegabtesten balinesischen Praktikanten verwandelt, der je eine englische Anleitung geschrieben hat. Quasi in die personifizierte kommunikative Vollkatastrophe.

Betonung ist alles

Letztens ist mir aufgefallen, wie ähnlich das Deutsche doch dem Chinesischen ist. Doch, wirklich! Denn in beiden Sprachen kommt es auf die richtige Betonung an. Man kennt das ja: Einmal im Chinesischen die falsche Tonhöhe erwischt – zack, schon jemanden beleidigt statt begrüßt. Das passiert im Deutschen jetzt natürlich eher selten. Aber in beiden Sprachen gilt: kleine Unterschiede in der Betonung – große Wirkung.

Auf eine simple Frage wie Warum stehen wir hier? gibt es zum Beispiel vier verschiedene mögliche Antworten und Anwendungen – je nach Betonung:

  1. Warum stehen wir hier?
    Antwort: Siehst du da ganz hinten, auf der anderen Seite vom Platz dieses kleine weiße Rechteck am Ende der Schlange? Das ist der Container mit den Damentoiletten. Ich liebe Weihnachtsmärkte…
  2. Warum stehen wir hier?
    Antwort: Weil alle Plätze in diesem Bus besetzt sind. Immer diese Rentner, die einem die Sitzplätze wegnehmen.
  3. Warum stehen wir hier?
    Antwort: Na, um ehrlich zu sein – ich habe keine Ahnung, denn ich kenne Sie gar nicht.
  4. Warum stehen wir hier?
    Antwort: Du meinst, hier an der Klippe? Ach, ich mag einfach dieses Gefühl, direkt am Abgrund zu stehen. Rückt die Prioritäten im Alltag so schön zurecht.

Und das machen wir nicht nur mit Sätzen, sondern auch mit einzelnen Wörtern:

  1. a) Ich gehe mal übersetzen. = Ich schwing mich mal an den Schreibtisch (und mache aus dem englischen Text einen deutschen).
    b) Ich gehe mal übersetzen. = Ich schwing mich mal auf die Fähre (ans andere Rheinufer oder so).
  2. a) Das wird wieder modern. = Behalt das mal, irgendwann ist das wieder Mode. (Das ockerfarbene Kleid. Jeder Trend kommt wieder. Wirklich jeder. Ob wir wollen oder nicht.)
    b) Das wird wieder modern. = Behalt das bloß nicht, sonst schimmelt das wieder alles voll. (Iiieh!!)
  3.  a) Du solltest das umfahren. = Fahr einen Umweg. (Sonst stehst du nachher noch im Stau).
    b) Du solltest das umfahren. = Fahr einfach drüber. (Ein Verkehrshütchen mehr oder weniger … Hauptsache, Parkplatz.)

Was lernen wir daraus? Immer schön auf die richtige Betonung achten. Ganz nach dem Motto: Wecke den Chinesen in dir!

Wenn Schilder sprechen könnten …

Wenn Schilder sprechen könnten, was würden sie uns wohl erzählen?

Das kleine runde würde sich wahrscheinlich beschweren, dass es so oft am Autobahnrand stehen muss, wo die Luft so schlecht ist und es nie die Aufmerksamkeit bekommt, die es verdient. Nie! Vor allem, wenn herzlose Prinzipienreiter es dazu noch mit zweistelligen Zahlencodes bemalt haben. Natürlich fühlt es sich schrecklich ungeliebt. Quasi unsichtbar. Das grenzt doch an Mobbing! Neiderfüllt blickt es auf die Erhabenheit seiner zahlenfreien Kameraden mit der schicken schwarzen 5-Linien-Schärpe. Die mag natürlich wieder jeder. Gemein!
Was soll das Baustellenschild da erst sagen? Das wird nicht nur jeden Tag von unzähligen Autofahrern aufs Wüsteste beschimpft und verflucht, sondern muss sich auch noch offiziell als Gefahrenzeichen betiteln lassen, was die Popularität nicht gerade steigert (fragen Sie mal die Verbotsschilder – die wissen genau, was ich meine). Da muss man schon eine gehörige Portion Selbstbewusstsein an den Tag legen, um das auszuhalten. Das schafft man nicht immer. Manchmal möchte man einfach losschreien. Man wünscht sich einen Mittelfinger. Und was macht man dann, wenn man ein Schild ist? Man klappt ein kleines Extrarechteck unter sich aus, mit dem kleinen Wörtchen Radarkontrolle darauf. Selbst, wenn da gar keine kommt. Ha! Rache ist Blutwurst!
Aber es gibt ja noch so viel mehr Schilder. Es gibt die in idyllischen Kastanienalleen stehenden Fußwegschilder, die gutgelaunten Fußgängerzonenschilder, die mit Sehnsucht erwarteten Radwegschilder. Und es gibt die allgegenwärtigen arroganten Halteverbotsschilder, die uns verzweifelten Parkplatzsuchern und Verkehrsrebellen kopfschüttelnd leise tse tse tse entgegenzischen möchten.
Viele Schilder fristen ein frustriertes Dasein. Diese Unbeliebtheit, der sich ein Umleitungsschild aussetzt! Diese lauten Seufzer, die sich Rollsplit-, Ölspur- und Stauwarnschilder ständig anhören dürfen! Am bedauernswertesten finde ich persönlich das Schicksal einer Schildergattung, die sich aufgrund der sich galoppierend ausbreitenden Rechtschreibschwäche (und Selbstüberschätzung) der Menschheit zwar immer häufiger in guter Gesellschaft befindet (also inzwischen so viele Leidensgenossen hat, dass sie in jeder Großstadt eine eigene Selbsthilfegruppe aufmachen könnte), die sich aber nie ernstgenommen fühlt, weil sie permanent ausgelacht wird. Auch von mir, ich gebe es zu. Die Rede ist von den vielen, von den viel zu vielen falsch geschriebenen Schildern. Wie dem, das diesen Blogbeitrag ziert. Das hängt da übrigens schon seit mehreren Jahren. Den Besitzer, der es so verunstaltet hat, scheint es nicht zu stören. Er lässt es so wie es ist da hängen, das arme Ding.
Vielleicht ist es doch ganz gut, dass Schilder nicht sprechen können.

Hessisch macht hebbi*

Ei Gude* prangte dick und fett auf dem Titel des Buchs im zeitlosen Bembel-Look, das mir die Frau im Bürgeramt überreichte. „Willkommen in Frankfurt!“ Das war vor zweieinhalb Jahren, kurz nach unserem Umzug von Berlin nach Frankfurt. Und auch wenn die Stadt am Main, die sich so gern Metropole nennt, es nie in unsere Herzen geschafft hat, die Menschen und ihre Mundart haben es auf jeden Fall. Wenn einem ein Hesse „Ei Gude, wie?“* entgegenschmettert, ist das so niedlich, dass sich meine Mundwinkel automatisch nach oben ziehen. Und ab und zu muss ich auch einfach loskichern. Wenn ich im Discounter vor dem Regal mit dem in Frankfurt leider unvermeidlichen und allgegenwärtigen Apfelwein stehe, zum Beispiel, der in Kartons steht, von denen einem recht prominent der Schriftzug Stöffche ins Auge sticht, wie die Hessen ihr, nun ja, sehr, sehr herbes Gesöff tatsächlich nennen. Sauer macht eben doch lustig. E bissi* zumindest. Wer sich so durch den Tag babbelt*, der kann gar nicht schlecht gelaunt sein. Weiche Konsonanten, stimmhafte s- und sch-Laute, angereichert mit regelmäßigen Verniedlichungen verhindern das schlicht und ergreifend. So, wie bei dem Kellner, der zum Bezahlen mit einem fröhlichen „Isch habb gehört, Sie wolle sisch finnannziell verännerre?“ an unseren Tisch kam. Oder wie der Verkäufer, der mir letztens meine Schuhe an die Kasse brachte und mit einem wohlwollenden Blick meinte „Des sind aber scheene Schühche. Die mache bestimmt e goldisch Füßche„.* (Allerdings, nebenbei bemerkt.)

Tja, so einfach ist das mit dem Glück. Man muss nur nach Hessen ziehen. Hessisch macht eben hebbi.

*Kleines Hessisch-Wörterbuch:
Hebbi = happy
Bembel = typisch hessischer graublauer Steinkrug für Apfelwein
Ei Gude = guten Tag/hallo
Ei Gude, wie? = guten Tag, wie geht’s? (wobei die Antwort auf das wie angeblich ziemlich optional ist)
Stöffche = Stöffchen, so wird hier der Apfelwein genannt
E bissi = ein bisschen
babbeln = sprechen
Des sind aber scheene Schühche. = Das sind aber schöne Schuhe.
Die mache bestimmt e goldisch Füßche. = Darin sehen Ihre Füße bestimmt großartig aus.

Haare haben auch Gefühle

Nach meinem letzten Besuch im Drogeriemarkt war ich beunruhigt. Eigentlich wollte ich mir nur ein neues Shampoo kaufen. Und da stand ich dann, vor diesem schier endlos langen Regal, in dem eine bunte Flasche neben der anderen stand und mich mit ihrem Können überzeugen wollte. Die einen lockten mit den schönsten Versprechen, wie Glanz, Spannkraft, Energie, GeschmeidigkeitHaardichte, Brillanz, Volumen, Kämmbarkeit und sogar Griff und Elastizität. Die anderen wiederum unterstellten meinen Haaren erst einmal verschiedenste Probleme, die sie dann bekämpfen wollten: für glanzloses Haar, für sprödes Haar, für brüchiges Haar, für plattes und schlaffes Haar, für kraftloses Haar, für erschöpftes Haar. Erschöpftes Haar? Ernsthaft? Da dachte ich immer, Haare seien totes Material. Falsch gedacht: Haare haben auch Gefühle. Sie fühlen sich glanzlos, brüchig, kraftlos und erschöpft. Soweit ist es also schon. Jetzt haben sogar schon unsere Haare Burn-out.

Aber die neue Sensibilität betrifft nicht nur unsere Haare. Laut den Pflegeprodukten in den nächsten Regalen ist unsere Haut gerade im Winter empfindlich, gestresst und gereizt. Zum Glück gibt es Cremes, die sie dann beruhigen und von innen wieder aufbauen. Unsere Hände fühlen sich nicht nur beansprucht und strapaziert, sondern sind, wenn man verschiedenen Herstellern von Handlotionen glauben darf, heutzutage auch sehr anspruchsvoll. Aber das ist noch nicht alles. Im ganzen Markt wimmelte es nur so von Salben, Kapseln, Pasten und Pillen, die gegen geschwächten Zahnschmelz, erholungsbedürftige Gesichtshaut, widerspenstige Wimpern, schwere Beine, müde Füße und unkomplizierte Infektionen helfen.

Wer hätte gedacht, dass sich ein Drogeriemarktbesuch als so emotional entpuppen würde. Ich bin dann übrigens ohne Shampoo wieder gegangen. Ich lasse meine Haare doch nicht von so einem dahergelaufenen Haarwaschmittel beleidigen. Erschöpft? Kraftlos? Glanzlos? Spröde? Meine Haare haben keine Probleme. Gar keine. Und damit basta!

Ungarisch für Anfänger und Verzweifelte, Teil 5: Grammatik oder: Die Hoffnung stirbt zuerst

Die Grammatik ist das Grundgerüst einer Sprache, an das man sich halten kann, um zu begreifen, wie eine Sprache funktioniert. Sie besteht aus Regeln, auf die man immer zurückgreifen kann, wenn man seine ersten Schritte in der fremden Sprache geht. Sie hilft einem also, eine Sprache zu erlernen. In der Regel. Bis auf – Sie ahnen es – die ungarische Grammatik. Die hilft nun wirklich niemandem. Höchstens auf die Palme…

Man bekommt in Deutschland kaum Lehrbücher für Ungarisch. Ich hatte mir damals aus der spärlichen Auswahl das Büchlein Ungarisch ohne Mühe vom Assimil-Verlag ausgesucht. Der Titel klang schließlich vielversprechend. Hatte ich mich bisher vielleicht getäuscht? Gab es doch einen ganz einfachen Zugang zu dieser Sprache, den ich bisher einfach nur nicht gefunden hatte? Womöglich, weil ich gar nicht gesucht hatte? Jetzt war ich echt gespannt. Ich konnte es kaum erwarten, mit dem Grammatiklernen loszulegen. Und selbst ich als Sprachenfreundin kann nicht behaupten, das schon besonders oft gedacht zu haben.

Die ersten Lektionen liefen gut. Ich hatte das Gefühl, etwas zu lernen. Ich lernte zählen. Und einfache Sätze. Dass es auch mal ohne Verben geht. Und dass Endungen harmoniesüchtig sind. Denn es gibt eine so genannte Vokalharmonie. Der zufolge passen sich Endungen an die dominierenden Vokale im Stammwort an (also so in etwa zumindest). Mal konkret: Das deutsche Präpositiönchen in wird auf Ungarisch mit der Endung -ben ausgedrückt (also meistens zumindest). In Berlin heißt demnach Berlinben (sprich: Bäärlinbänn). Will man aber in Bonn sagen, wird das -ben zum -ban, sodass es Bonnban (sprich: Bohnnbonn) heißt.*

Die Illusion der mühelos erlernbaren Grammatik platzte allerdings einige Seiten später, irgendwo zwischen possessivierten Postpositionen und Konjugationen, bei denen man sich jedes Mal zwischen einer unbestimmten und bestimmten Form entscheiden muss. Allerspätestens aber beim Vorblättern auf den Grammatik-Überblick im Anhang. Da standen sie nämlich. Alle 23 Fälle. In Worten: Dreiundzwanzig. Dreiundzwanzig??? Diese Zahl erstickt doch jegliche Motivation im Keim, verstehen zu wollen, wozu man so viele Fälle überhaupt braucht. Oder wie man sie bildet. Oder warum. Oder warum man es überhaupt versuchen sollte. Stattdessen begann ich plötzlich, einen ganz neuen Charme in der bisherigen Ein-Wort-Kommunikation mit meiner Schwiegermutter zu entdecken. Pfff, Grammatik. Vollkommen überbewertet. Und ich beschloss: Was man nicht im Kopf hat, hat man eben in Händen und Füßen.

 

*Der wunderbare Mann an meiner Seite amüsiert sich gerade übrigens großartig damit, ungarische Sätze über Bonn und Bonbons zu bilden. A legjobb bonbon Bonnban van. (Sprich: O läkjop bonnbonn bohnnbonn wonn.) Heißt: In Bonn gibt es die besten Bonbons. Sollten wir vielleicht als Slogan an Haribo verkaufen.

Stau auf der A3

10 km Stau auf der A3. In anderen Worten: ein Tag wie jeder andere. „Zeitverlust hier: 30 Minuten„, sagt die Radiostimme. Zeitverlust? Jedes Mal, wenn ich das höre, bin ich verwirrt. Zeit kann man doch nicht verlieren. Zeit kann man vertrödeln, vertändeln und schinden, sie nutzen oder brauchen, sie sich lassen oder vertreiben, mit ihr gehen, sie auf irgendeine Art und Weise verbringen, man kann ihr zusehen, wie sie vergeht, warten, bis sie reif ist, finden, dass sie rast oder verfliegt, und ab und zu kann man sie sogar vergessen. Doch zu keinem Zeitpunkt besitzt man sie. Und was man nicht besitzt, kann man auch nicht verlieren. Oder?
Auf der anderen Seite behaupten wir permanent, wir hätten Zeit – bzw. keine Zeit. Wir sagen haben, als ob sie uns gehören würde. Und wir sagen auch: wir nehmen uns Zeit. Manche sind so großzügig, dass sie sie Dingen oder Personen schenken. Andere investieren sie sogar. Ganz schön anmaßend.
Die ganz Gemeinen unter uns tun ihr noch Schlimmeres an: sie schlagen sie tot! Ach du liebe Zeit! (Oder eher: du arme Zeit. Die kann doch nix dafür!) Wer sie nicht totschlägt, begnügt sich meist damit, sie – ganz dem Zeitgeist entsprechend – ständig zu bewerten und in irgendwelche Schubladen zu stecken: da wären die guten, die schlechten, die alten und neuen Zeiten, die richtige, die falsche und (für alle Anglizismen-Liebhaber) die schöne Zeit. Wenn sie nicht sogar als Unzeit diskriminiert wird.

Festzuhalten bleibt: Zeit scheint nicht nur ein essentieller Bestandteil unseres Lebens, sondern auch unseres Sprachgebrauchs zu sein. Das wollte ich nur mal würdigen. Wurde mal Zeit, oder nicht?

SINGLE! SINGLE! DA! DA!

„SINGLE! SINGLE! DA! DA!“ herrscht uns der Lautsprecher an. Die Kursleiterin versucht, ihre knappen Befehle möglichst laut ins Mikro zu sprechen, um die Musik zu übertönen, deren Takt uns unerbittlich antreibt und in Bewegung hält.
„STEP TOUCH LINKS!“ Meine erste Aerobic-Stunde seit 15 Jahren. Man soll ja schließlich mehr Sport machen. Man sitzt ja nur noch. Also: Sportverein. Jeden Dienstag ist Aerobic.

„SINGLE! SINGLE! DA! DA!“ Während sich an meiner rechten Schläfe eine Schweißperle bildet und – im Kontrast zu den hektischen Bewegungen meines Körpers – langsam, gaaanz langsam an meinem Gesicht herunterläuft, denke ich nur, dass „Da Da“ eine ziemlich merkwürdige Anweisung ist. Ob das wirklich so heißt? Gut, dass es im Prinzip reicht, die Bewegungen der Trainerin spiegelverkehrt nachzuahmen. Kompliziert genug mit einer Rechts-Links-Schwäche und ohne räumliches Vorstellungsvermögen. „UND DIE ARME!“ Oje. Genau das meinte ich.

„LÄCHELN!“ befiehlt der Lautsprecher. Das CH klingt ein bisschen nach K. Die Schweißperle ist inzwischen an meinem Schlüsselbein angekommen und hat auf ihrem Weg zahlreiche Freunde gefunden. Lächeln, echt jetzt? Unsicher blicke ich um mich. Also die Stimmung könnte schon besser sein. Na gut. Ich versuche ein zaghaftes Grinsen, während meine Blicke auf die Kursleiterin geheftet bleiben, die ihre Beine abwechselnd schwungvoll nach hinten abknickt. Sie lächelt nicht.

„BREAKBUY!“. Also ich kenn nur You break it, you buy it. Mitten im seitlichen Überkreuz-Schritt geht mir auf, dass ich den Schritt noch kenne, von damals. Er heißt Grapevine. Ach so! Tja, also entweder das Mikro ist kaputt oder meine Ohren. Ich entscheide mich für das Mikro. Und plötzlich wieder: „LÄCHELN!“ Das CH klingt sogar sehr nach K. Diesmal bin ich vorsichtig. Ich verziehe keine Miene und begnüge mich damit, meine Beine schwungvoll nach hinten zu werfen.

„SINGLE! SINGLE! DA! DA!“ Vielleicht ist das ja nicht nur eine Sportart, sondern auch eine ganz eigene Sprache, dieses Aerobic. Wahrscheinlich haben sich die Aerobic-Trainer dieser Welt irgendwann alle zusammengesetzt und beschlossen, dass sich etwas ändern muss. Sie haben im Kreis gesessen und plötzlich kam die Erleuchtung über sie und einer sagte „Da da“ und einer sagte „Breakbuy“ und einer sagte „Lächeln“ und sein ch klang dabei wie ein k. Und alle klatschten vor Begeisterung in die Hände und waren sehr, sehr glücklich.

„STEP TOUCH RECHTS!“ Na, das ist aber noch aus der alten Sprache. „V-SCHRITT!“ Das auch. Wie langweilig. Dann lenkt mich eine komplizierte Armbewegung ab, die so gar nicht zu dem passen will, was meine Beine da tun. Die Schweißperlen auf meinem Körper haben kleine Seen gebildet. Ich keuchte. „LÄCHELN! SINGLE! SINGLE! DA! DA!“

Auf dem Heimweg fällt der Groschen. Es heißt Leg Curl. Und Double Double. Schade eigentlich. Ich fand den Gedanken mit der eigenen Sprache ganz charmant.

Der Name der Farbe

Ich ziehe um. Das ist an sich nichts Schlimmes. Wenn ich nicht unbedingt ein neues Sofa wollte, das zum neuen Wohnzimmer passt. Damit fing dann das ganze Unglück an. Denn ich stecke in der Farbfalle. Wissen Sie eigentlich, wie viele Sofafarben es gibt? Ich hatte ja keine Ahnung. Es müssen an die tausend sein. Mindestens. Ein sonderbarer Zufall will es, dass alle Farben, die mir gefallen, den Namen eines Kaffeegetränks tragen: Espresso, Cappuccino, Mokka, Milchkaffee, Caffe Latte, Macchiato… Die Suche nach der Couch meiner Träume endet damit praktisch immer – Sie ahnen es – in der Küche oder im Café um die Ecke, aber nie bei meinem freundlichen Möbelfachverkäufer. Das ist weder zielführend, noch sonderlich gesund. Allerdings lecker. (Haben Sie schon einmal einen Mochaccino getrunken? Köstlich!)

Abgesehen von meiner neuen Leidenschaft für italienische Heißgetränke beschäftigt mich seitdem aber auch die Frage, wie die Farben eigentlich zu ihren Namen gekommen sind. Was ist da passiert? Wer hat sich das ausgedacht? Ein Farbdesigner, der, Obelix gleich, nach der Geburt in einen großen Topf (hoffentlich kalten) Kaffees gefallen ist? Und gilt dann dasselbe für den Schöpfer der Farben Champagner und Cognac, die Wände und Boden in meiner neuen Wohnung bestimmen? Oder steckt am Ende eine Verschwörung dahinter? Kartellrechtlich fragwürdige Absprachen zwischen Möbelhäusern und Gastronomiebetrieben etwa, die das Unterbewusstsein von so verführbaren Seelen wie mir darauf programmieren sollen, nach dem Möbelkauf gleich an den Besuch im Café und die nächste Getränkebestellung zu denken? Und wenn ja, wie soll das weitergehen? Was, wenn große Restaurantketten in das Geschäft einsteigen und es demnächst auch noch Sofas in den Farben Schnitzel, Lasagne und Chicken Wings gibt?

Fragen über Fragen. Darauf erst einmal einen kleinen Espresso. (Schlürf. Deliziös, wirklich. Die Italiener können’s einfach.) Aber zurück zur Sitzmöbelproblematik. In puncto Farbwahl bin ich keinen Schritt weiter. Doch ob Cappuccino oder Macchiato – Hauptsache bequem, oder nicht?

Als der Vorteil laufen lernte

Letztens kam mal wieder Fußball. Champions League. Ein tolles Spiel, wenn man dem wunderbaren Mann an meiner Seite glauben darf. (Tue ich unbesehen.) Davon habe ich allerdings nicht viel mitbekommen, weil mich das sprachliche Unwesen, das der Kommentator trieb, gänzlich vom Spielgeschehen ablenkte. Es begann mit dem Satz: „Er lässt den Vorteil laufen“. Im Grunde bin ich an den Fußballjargon und dessen Merkwürdigkeiten ja gewöhnt, aber hier musste ich doch die Stirn runzeln und verfiel im Geiste in eine hitzige Diskussion mit mir selbst. Denn muss es nicht „Er lässt Vorteil laufen“ heißen? Ohne „den“? An sich natürlich ohnehin ein unsinniger Ausdruck, aber wie gesagt, damit hatte ich mich ja abgefunden. Nur jetzt auch noch ein „den“ vor den Vorteil zu setzen – machte das aus dem Vorteil nicht etwas, das er gar nicht war? Unwillkürlich tauchte vor meinem inneren Auge ein kleines, süßes Etwas im Fußballtrikot auf, der kleine Vorteil, der fröhlich über den Rasen hüpft und den der Schiedsrichter netterweise unbeschwert laufen lässt. Ich musste schmunzeln.

Als meine Euphorie gerade abgeebbt war ertönte auch schon der Schlusspfiff. Zeit für die Interviews. Nachdem drei Spieler drei Journalistenfragen mit der praktisch selben nichtssagenden Äußerung nicht beantwortet hatten, kamen die sogenannten Experten ins Bild, um den Trainer der Siegermannschaft zu befragen. Und der gab dann zu: „Wir wussten, Atleticó ist schwer zu bespielen“. Hm… Sollte man sich nicht damit zufriedengeben, den Rasen zu bespielen, statt auch gleich noch den Gegner? Vor meinem inneren Auge verschwand der grüne Rasen und wurde durch einen Teppich aus gegnerischen Spielern ersetzt, auf dem die anderen Fußballer munter mit ihren Stollenschuhen herumliefen, -sprangen und Fallrückzieher machten. Aua!

Doch dann kam Oliver Kahn und zauberte mir völlig unerwartet das dritte Schmunzeln ins Gesicht. Mit einer (grammatisch übrigens völlig richtigen) Anmerkung über einen Fußballer, die komplett aus dem üblichen langweiligen (Entschuldigung, liebe Fußballfans, aber ich stehe dazu: ich finde Expertengespräche langweilig, in Worten: L-A-N-G-W-E-I-L-I-G) Blabla herausfiel. Als er nämlich einen Spieler aus den beiden international immerhin recht erfolgreichen und bekannten Mannschaften, der auch mir während des Spiels dank seiner breiten und überaus kantigen Statur aufgefallen war und dem man eine gewisse Ähnlichkeit mit einem gewissen Möbelstück kaum absprechen konnte, mit folgenden Worten beschrieb: „Fußballerisch kann man über den sicher diskutieren, aber diese Körpersprache! Also, wenn man den auf dem Feld hat, das hat eben eine Wirkung…“. Kurzes Kichern beider Experten, schneller Themawechsel und weiter ging’s. Nur ich saß da und dachte: „Wie bitte??? Hat der gerade im Ernst gesagt, der Mann kann zwar nicht spielen, aber es kann nie schaden, einen Schrank auf dem Spielfeld zu haben?“ Ja, hat er. Lustig.

Und was lernen wir daraus? Spannung, Spiel und sprachliche Leckerbissen – ein Fußballabend ist eben doch etwas für die ganze Familie…

Sätze, die die Welt nicht braucht

Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass in Filmen und Serien permanent Sätze fallen wie „Jetzt reiß‘ dich einmal zusammen, du bist schließlich eine Lahnstein!“ oder „Wir Wagners lassen uns nicht unterkriegen!“ oder auch „Du bist ein Lehmann, und die Lehmanns kämpfen immer für ihre Ziele!“. Jedesmal, wenn ein solcher Satz fällt, muss ich stutzen. So spricht doch keiner! Also in meiner Familie bezeichnen wir uns in der Regel nicht als „die Kunzens“ und wir sprechen uns auch keine Ermutigungen à la „Du bist schließlich eine Kunz!“ zu. Ich fände das auch äußerst befremdlich. Man stelle sich vor, man sitzt friedlich beim Familienessen und erzählt meinetwegen von einer beruflichen Krux – und dann steht mein Vater aus heiterem Himmel auf (denn diese Sätze fallen IMMER im Stehen, meist auf einer großzügig angelegten Terrasse oder im Garten), klopft mir auf die Schulter und sagt: „Na komm, das kriegst du schon hin, du bist schließlich eine Kunz!“? Ähm… nein. Alles, was ich hinkriege, ist allein auf meinen Charakter und damit natürlich schon irgendwie auf die familiäre Prägung zurückzuführen, aber sicher nicht auf meinen Nachnamen. Das würde ja auch implizieren, dass sämtliche Familienmitglieder, die den Namen Kunz tragen (und das sind viele, sehr viele sogar), immer eine Art Vorbildrolle erfüllt hätten (sonst gäbe es schließlich keinen Grund, stolz auf diesen Namen zu sein). Und einmal ganz ehrlich – in welcher deutschen Familie ist das bitte der Fall?

Es gibt noch eine andere Formulierung, die mir vor allem in eher, sagen wir… günstig produzierten Serien auffällt und die nicht nur wahnsinnig gestelzt und unecht klingt, sondern die ich im echten Leben auch noch nie gehört habe:
„Ich werde Wuppertal [wahlweise auch Düsseldorf, Köln, Augsburg, Stuttgart, …] verlassen!“.
Ich bin ja schon ein paar Mal umgezogen, habe zu meinen Freunden und Verwandten aber noch nie gesagt: „Ihr Lieben, ich muss euch etwas sagen. Ich werde Leverkusen verlassen.“ oder „Es gibt Neuigkeiten! Ich werde Germersheim verlassen.“ oder auch „Überraschung! Wir werden Berlin verlassen.“. Auch wenn es das Vorstellungsvermögen sämtlicher Drehbuchautoren Deutschlands offensichtlich übersteigt: Ich habe es jedes Mal geschafft, bei der Ankündigung meiner Umzüge nicht davon zu sprechen, eine Stadt zu verlassen. Wenn man schon vom Verlassen spricht, meint man in der Regel Menschen, nicht Städte. Ich bin jedes Mal einfach „weggezogen“, „umgezogen“ oder „nach XYZ gezogen“. Aber das wäre für einen Fernsehdialog wohl zu naheliegend  – und zu undramatisch.

Tja, es gibt (sprachlich gesehen) eben einen entscheidenden Unterschied zwischen Serie und Wirklichkeit. Das Fernsehen braucht dramatische Sätze für banale Ereignisse, die Wirklichkeit aber banale Sätze für dramatische Ereignisse. Und das ist auch gut so, finden Sie nicht?

Freuen Sie sich auch so?

Die Freude ist groß. Und sie wird ganz offensichtlich immer größer. Denn in den letzten Jahren beobachte ich bei mir wie auch bei anderen den Trend, sich verstärkt zu freuen. Schriftlich, meine ich. „Ich freue mich auf Ihre Antwort!“„Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie unter den ausgewählten Kandidaten sind!“„Wir würden uns sehr freuen, wenn es mit einem Termin klappt!“„Ich freue mich auf die Chance zu einem Vorstellungsgespräch!“„Bis morgen, wir freuen uns!!!“

Ob im offiziellen Schreiben, bei Bewerbungen oder in der privaten SMS – man freut sich eben. Und das ist ja auch gut so. Freuen ist schließlich etwas Schönes. Früher habe ich mich zwar auch gefreut, wenn ich eine Antwort bekommen habe, aber viel diskreter. Das habe ich in meinem Brief nicht auch schon verraten. Man freut sich ja jetzt quasi schon im Voraus. Ohne zu wissen, ob die Freude überhaupt berechtigt ist, denn vielleicht kommt ja gar keine Antwort. Hm, aber … ist die Freude überhaupt echt? Spielen wir die Freude nicht nur, weil wir das Gegenüber moralisch unter Druck setzen wollen? „Oh Mann, wenn ich jetzt nicht antworte, dann hat die sich ganz umsonst gefreut!“, soll der Andere denken. Das geht natürlich nicht. Zugzwang. Ha! Ganz schön geschickt, was? Nun ja, um ehrlich zu sein, der Gedanke mit dem Zugzwang ist nicht so richtig neu. Nur die Verpackung ist heute fröhlicher, freundlicher, freudiger eben. Früher verblieb man „in Erwartung Ihrer Antwort“. Da wurde erst einmal erwartet, freuen konnte man sich ja später immer noch (auch wenn das den Briefpartner verdammt noch einmal nichts anging! Freude ist schließlich privat!).

Also doch nur eine moderne Floskel? Oder sind wir am Ende etwa herzlicher als früher? Nun, ich gebe zu, im Brief ans Finanzamt steht die echte, wirkliche Freude jetzt nicht so im Vordergrund. In der privaten SMS oder der E-Mail an Bekannte meine ich das aber durchaus ernst. Genauso wie die „herzlichen Grüße“, die ich einfach persönlicher und schöner finde als die angestaubten „freundlichen Grüße“. Da ich ja auch der Meinung bin, heute wird viel mehr umarmt als früher, und da ich insgesamt gerne an das Gute glaube, behaupte ich jetzt, dass sich sehr wohl ein Stückchen mehr echte Herzlichkeit in all der Freude verbirgt. Und darüber – Sie ahnen es – freue ich mich einfach!

Sprechen wie ein Barkeeper

Zu meinem großen Vergnügen habe ich vor einiger Zeit an einem Cocktailkurs teilgenommen. Erst lernen, dann mixen, dann trinken. Wobei der dritte Part im Laufe des Abends zunehmend an Bedeutung gewinnt. Ein Konzept, das aufgeht. Der Abend war allerdings nicht nur lustig und lecker, sondern auch in mehrerer Hinsicht lehrreich.

Lektion 1: Kein Mensch weiß, warum die leckeren Mixgetränke Cocktails heißen. Aber viele Menschen verbreiten verschiedenste Anekdoten zur Namensentstehung. Unserem Barkeeper und Kursleiter an diesem Abend gefiel die Geschichte am besten, nach der der Begriff auf Hahnenkämpfe in den USA des 19. Jahrhunderts zurückgeht, bei denen der Sieger als Trophäe die Schwanzfeder des Siegertieres und ein Getränk an der Bar in den bunten Farben ebendieser Feder erhielt. Mit dem Drink wurde dann „on the cock’s tail“ angestoßen, also auf besagte Hahnenschwanzfeder.

Lektion 2: Barkeeper sind cool, deswegen hat alles, was ein Barkeeper so braucht, einen englischen Namen.
Geduldig hielt Lukas, der junge, sympathische, mixerfahrene Beinahe-Hipster (nur die Brille fehlte), der uns kompetent und professionell durch den Abend führte, zu Beginn die einzelnen zur Zubereitung der Getränke benötigten Teile hoch und erklärte, wie diese heißen und was sie tun. So stellte sich der kleine, umdrehbare Messbecher, der seit Jahr und Tag bei meinen Eltern in der Vitrine stand, als äußerst nützlich heraus – und vor allem nicht als Messbecher, sondern als Jigger.
Das merkwürdige Ding, das in der elterlichen Vitrine dekorativ aber scheinbar sinnlos daneben herumlag, entpuppte sich als Strainer. Im Prinzip ein Sieb, das auf den Shaker aufgelegt wird, um den Cocktail nach dem Schütteln ohne Eis oder sonstige Festbestandteile ins Glas zu kippen. Sinnvoll, wie wir beim späteren Mixen feststellten.
Dann hielt Lukas etwas hoch, was wirklich jeder kannte. Er nannte es Fine Strainer. Der wird aufs Glas aufgelegt, um feine Cocktailrückstände wie kleine Minzblättchen o. ä. auszufiltern. Ansonsten ist das Einzige, was an dem Teil cool ist, sein englischer Name. Denn fünf Minuten vor Lukas‘ Erklärung hätte ich dasselbe Ding noch als Teesieb bezeichnet. Tat er dann übrigens auch. Aber nur einmal. Ganz kurz. Schließlich wollte er sich seinen Ruf als cooler Barkeeper nicht versauen.
Anschließend lernten wir, dass man zur Herstellung der gewünschten Getränke noch einen Löffel mit einem merkwürdig langen Stiel und kleinen Stößel am Ende benötigt, der aber natürlich nicht Löffel, sondern Barspoon heißt sowie ein kleines Messer, ähm, Verzeihung Barknife, mit dem man zum Beispiel Limetten halbiert, einen Muddler, der sich als Holzstößel zum Zerstoßen von Früchten erwies und das coolste und wichtigste Utensil überhaupt, den Boston Shaker, der aus einem Glas und einem Metallbecher besteht und für den es tatsächlich gar keinen deutschen Namen gibt.

Lektion 3: Nach der Zubereitung von zehn verschiedenen Cocktails ist einem herzlich egal, wie was warum heißt. Aber lecker war’s.

 

 

 

Mein ganz persönlicher Fehlerengel

Seit ich vor ein paar Monaten begonnen habe, diesen Blog zu schreiben, habe ich von sehr vielen Menschen Unterstützung und Anerkennung erfahren. Das ist nicht nur ermutigend, sondern tut auch einfach gut. Noch schöner ist aber, dass darunter eine liebe Freundin ist, die mich als unfassbar treue Leserin nicht nur moralisch, sondern bei jedem Beitrag auch ganz praktisch unterstützt. Denn immer, wenn kurz nach dem Veröffentlichen eines Beitrags mein Handy summt, ahne ich schon: oje, da ist wohl mal wieder der fiese Fehlerteufel über die Tastatur gerutscht, hat einen Buchstaben oder ein Wort mitgehen lassen oder eine andere Gemeinheit angestellt. Ein Blick auf die – übrigens immer überaus charmant formulierte – Nachricht auf dem Telefon bestätigt in der Regel: Im ersten Absatz fehlt ein R! Gehört da nicht ein „nie“ hinter das „noch“? Ich glaub, dir ist ein „N“ abhanden gekommen… Das gibt’s doch nicht! Kurz in Panik verfallen, die eigene Unfähigkeit (wahlweise auch den furchtbaren Tag, den dummen Texteditor, die kleine Schrift, die verflixte Tastatur oder im Zweifel einfach das eklige Wetter, bei dem kein Mensch vernünftig denken kann) verfluchen, dann schnell den Artikel aufrufen, Fehler korrigieren, Beitrag aktualisieren, Schweiß abwischen. Uff. Dankbar sein: Fehlerengel schlägt Fehlerteufel! Und schließlich glücklich zurücklehnen: Was für ein Luxus – so ein ganz persönlicher Fehlerengel!

Danke, meine Liebe! Gibt jedes Mal ein Bienchen.

(Allen Lesern, die jetzt fragend die Augenbrauen hochziehen, verspreche ich Aufklärung in einem der nächsten Beiträge. Einem über Bienchen. Die Blümchen lass‘ ich dafür weg.)

Ich seh‘ nur noch Sternchen…

Es ist ein sensibles Thema. Und ein gefährliches, weil man das Risiko eingeht, den Jubel von der falschen Seite zu bekommen. Deshalb sei eins gleich klargestellt: Ich glaube an den Sinn von Diplomatie und Rücksichtnahme, im ganz alltäglichen menschlichen Miteinander genauso wie in der großen Politik. Trotzdem ereilt mich immer wieder das Gefühl, dass gerade wir Deutschen es auch schon einmal übertreiben…

Denn Diplomatie ist das eine, Political Correctness das andere. Wie gesagt: ein streitbares Thema – aber wenn es um die Anrede geht, fällt es mir nicht schwer, eine klare Position zu beziehen. „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger … liebe Genossinnen und Genossen … liebe Zuschauerinnen und Zuschauer … liebe Wählerinnen und Wähler … sehr geehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer … liebe Kolleginnen und Kollegen“ – diese Gender-Scheiße, entfuhr es Jürgen von der Lippe vor ein paar Monaten, und er sprach mir aus der Seele. Ich persönlich fühle mich auch als Frau mit Mitbürger, Zuschauer, Leser und Kollege angesprochen. Aber aus Angst vor dem Sturm, (aus Gründen der Ästhetik verzichte ich hier auf das heute üblichere Modewort aus der digitalen Welt), der heute beim kleinsten Fehler losbricht traut sich ja kaum noch einer, normal zu sprechen. Doch weg von der gekünstelten Doppelanrede bewegt sich der Trend inzwischen hin zur geschlechtsneutralen Anrede. Wie schön. Da fühle ich mich gleich auch geschlechtsneutral. Nur ob das wirklich ein erstrebenswerter Fortschritt ist?

Gut, dass ich heute nicht mehr studiere, kann ich da nur sagen, denn Vorreiter dieser Denkbewegungen sind die Universitäten. Die in meinen Augen noch sinnigste Idee stammt von der Uni Leipzig, wo die männliche Anrede ersatzlos gestrichen wurde, was heißt, dass mit „Professorinnen“, „Studentinnen“ usw. immer Frauen und Männer gemeint sind. Ein ziemlich feministischer Ansatz, der nach Jahrhunderten der umgekehrten Anrde schon etwas für sich hat. Aber mangels Gewohnheit auch ziemlich albern klingt. An der Humboldt-Uni in Berlin, an der es ein Zentrum für Transdisziplinäre Geschlechterstudien gibt, schlug eine (in Leipzig müsste ich jetzt wohl weibliche hinzufügen) Professorin aber etwas noch viel Alberneres vor, sie möchte nämlich alle geschlechtsspezifischen Endungen durch ein „x“ ersetzen, weil sich angebliche viele Studenten durch die Anrede diskriminiert fühlen. „Professx“ statt „Professor/Professorin“ und „Studierx“ statt „Student/Studentin“. Super Idee! Gar nicht umständlich. Besonders bei der Aussprache. Ihre Idee wird in der FAZ folgendermaßen begründet: „Die neutralen Endungen entfernten den Zwang, sich einem Geschlecht zuordnen zu müssen.“ Wie schön. Ob die gute Frau (äh, müsste ich jetzt X sagen? Der, die oder das X? Herrje!) auch eine Lösung für Menschen wie mich parat hat, die sich durch die geschlechtsneutrale Anrede diskrimiert fühlen?

Auch in der Schweiz befasst man sich mit der Gender-Sch…, ähm ich meine mit dem Thema „antidiskriminierende Sprachhandlung“. Germanistik-Studenten der Uni Zürich haben eine ganz eigene, natürlich revolutionäre geschlechtsneutrale Alternative entwickelt: Sternchen statt Endungen! Also „Lese*“ statt „Leser“ (für den Plural dann mit zwei Sternchen: „Lese**“). Und „Studier*“ statt „Student/Studentin“, „Profess*“ statt „Professor/Professorin“. (Bin ich eigentlich die Einzige, die sich fragt: schreiben die alle nur, spricht da keiner?) Am schönsten ist aber, dass sich auch unschuldige Fragepronomen heute schon der Diskrimierung schuldig machen. Die Züricher Germanisten fragen also jetzt nicht mehr „Wer war das?“ sondern „We* war das?“. Absurd! Da kann man ja nur noch Sternchen sehen…

 

Warum quasseln wir heute eigentlich so viel?

Ein Hubschrauber landet. Der Hauptdarsteller wirft dem Piloten ein paar Worte zu und springt aus dem Heli, läuft geduckt über die Wiese, in Richtung mehrerer Männer. Im Hintergrund hört man das Geräusch der Rotorblätter. Schwenk auf den Piloten, der seine Brille putzt. Schwenk zurück zum Hauptdarsteller und den Männern ihm gegenüber. Die gucken plötzlich böse und beginnen, sich hektisch zu bewegen, einer zückt eine Pistole, ein Schuss fällt. Der Hauptdarsteller rast zurück zum Hubschrauber, der Pilot startet. Ganze 30 Sekunden ohne Dialog, Monolog und ohne Musik. Nur die Rotorblätter. So war das in den 80er Jahren, zumindest in  der TV-Serie Magnum. Egal, wie erhitzt die Gemüter auch waren, gesprochen wurde nur, wenn es nötig war.

10 Jahre vorher wurde noch mehr geschwiegen. Kennen Sie Columbo? Eigentlich eine schöne Serie, die aus heutiger Perspektive aber geradezu irrwitzig langsam wirkt. Da fällt manchmal minutenlang kein einziges Wort. Gut, die Pausen werden schon mal mit krimitauglicher Musik gefüllt (oder dem, was man damals dafür hielt – zum Ohrenzuhalten!), oft hört man aber auch nur ein gedehntes Hmmmmm des „Inspektors“, sein Kritzeln auf einem Notizblock, seine Schritte im Flur oder eine Tür, die zufällt… und ansonsten nichts. Gar nichts.

Im modernen Fernsehen ist das ganz anders. Dort wird entweder unentwegt geredet – übrigens auch schneller als früher, mit weniger Pausen zwischen den Sätzen – oder Musik gespielt (die allerdings deutlich besser ist als früher). Stille gibt es vielleicht in Kinofilmen. Aber die gemeine Serie von heute versucht, so wenige Gesprächspausen wie möglich entstehen zu lassen. Früher ließ man sich mehr Zeit. Viel mehr Zeit. So viel mehr, dass ich, ganz Kind meiner Zeit, hibbelig werde, wenn Columbo über den Bildschirm schleicht. Oder wahlweise auch einschlafe.

Früher war offensichtlich mehr Ruhe. Heute ist mehr Hektik. Und das schlägt sich auch in den Sprechgewohnheiten nieder. Zumindest im Fernsehen – in der realen Welt wird ja oft gar nicht mehr gesprochen, weil man vor lauter digitaler Kommunikation einfach nicht mehr dazu kommt. Wie sich das wiederum auf unsere Sprache niederschlägt, das ist eine andere Geschichte…

Über den Sinn und Unsinn von Füllwörtern

Deutschunterricht, 5. Klasse. Interpretation einer zuvor gelesenen Geschichte. Frau Hannebach (Name von der Redaktion geändert) blickt erwartungsvoll in den Raum. Schüler meldet sich und kommt dran: „Also, ich würde sagen, dass der Erzähler damit…“ – „Wieso sagst du also am Satzanfang?“ – „Äh… ok… Ich würde sagen, dass der Erzähler damit ausdrücken…“ – „Würdest du sagen oder sagst du?“ – „Ich sage“ – „Aber das merken wir ja, das musst du nicht extra dazusagen.“ – „Ok… also, ach Quatsch, … ähm… was wollte ich sagen???“ So lief das quasi in jeder Unterrichtsstunde. Denn Frau Hannebach hatte eine Mission! Sie befand sich im Kreuzzug – gegen Füllwörter. Bis schließlich auch der letzte Schüler die Lust verlor, überhaupt noch etwas zu sagen…

Der Duden gibt Frau Hannebach prinzipiell recht: „Wort mit geringem Aussagewert“ findet sich dort als Definition. Das ist unbestreitbar, aber kann man daraus auch schließen, sie hätten keinen Sinn? Also abgesehen davon, dass sie Schülern Zeit geben, sich Antworten zu überlegen, während sich unerbittliche Lehrerblicke in die eigenen leeren Augen bohren? Und abgesehen davon, dass sie in meinen Blogbeiträgen aufgrund ihrer Masse wahre Feste feiern? Auf keinen Fall!

Erstens: Ihr Aussagewert mag gering sein, aber er ist da. Sie geben uns die Möglichkeit, auch in geschriebenen Texten bestimmte Nuancen auszudrücken, die mündlich durch eine starke oder schwache Betonung deutlich werden (z. B. in: „also ich sehe das ganz anders, Frau Hannebach). Auch Ironie lässt sich kaum besser verstärken als mit einem kleinen, an der richtigen Stelle eingeschobenen „ja“, „eigentlich“, „wohl“, „überhaupt“ oder „also“.

Zweitens: Sie verschaffen Simultandolmetschern Zeit. Nämlich dann, wenn englische, französische oder sonstige Sprecher sich in fiesen Schachtelsätzen verstricken oder von einem Halbsatz in den nächsten stolpern, sodass der Sinn der Aussage sich erst später erschließt und der Dolmetscher solange warten muss, bis er weiterübersetzen kann, aber nicht gänzlich in Schweigen verfallen möchte, um die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer nicht völlig zu verlieren.

Drittens: Sie verschaffen langweiligen Sätzen Wohlklang, kalten Sätzen Emotionen und harten Sätzen Milde. „Das hast du schon gesagt“ klingt kurz und hart, während „Das hast du, glaube ich, schon gesagt“ sich gleich viel weicher liest. Und manche Sätze werden eben auch erst bei einer bestimmten Länge oder Wortabfolge rund. So wie mein letzter Satz, der – zumindest in meinen eigenen Augen und Ohren – ohne sein „eben“ und „auch“ einiges an Schönheit einbüßt. Ja, ja, ich weiß – Schönheit liegt im Auge des Betrachters…

Viertens: Sie verschaffen allen, die deutsche Texte in eine andere Sprache übersetzen, arge Probleme.  Denn im Deutschen werden in der Regel deutlich häufiger und mehr Füllwörter verwendet als in anderen Sprachen wie beispielsweise Englisch.

In diesem Sinne: Es lebe das Füllwort! Also wirklich. Echt jetzt. Sowas von. Oder nicht?

Gute Anglizismen, schlechte Anglizismen

Mit der Sprache ist es wie mit uns Menschen – solange sie lebt, verändert sie sich. Sie lernt dazu, entwickelt sich weiter, schaut sich woanders ab, was gut ist, was nützlich oder schlicht und einfach praktisch ist. Sie ist offen für Einflüsse von außen, nimmt fremde Wörter auf, integriert sie, bis sie sich wohlfühlen und ein Eigenleben entwickeln, sich wiederum verändern, zusammensetzen und ganz wie die Einheimischen konjugieren oder deklinieren lassen. Im Deutschen gibt es unendlich viele Beispiele dafür: „Konjugieren“ und „deklinieren“ gehen auf das Lateinische zurück, „Appetit“ und „Kantine“ kommen aus Frankreich , „Dalli“ ist aus dem Polnischen entlehnt, „Sauna“ aus dem Finnischen, „Steppe“ aus dem Russischen. Die deutsche Sprache hat also viele Spielkameraden, spielt heute allerdings vornehmlich mit einem Gefährten: dem Englischen. Das kann man gut finden (wie offensichtlich die meisten Werbetexter) oder schlecht, nur ändern kann man daran wenig. Interessant ist aber, dass die englischen Lehnwörter, besser bekannt unter dem Namen Anglizismen, in verschiedenen Formen auftreten.

Da wären zunächst die praktischen Anglizismen. To-Do-Liste ist kurz, treffend und schließt eine Lücke – denn ein griffiges deutsches Pendant gibt es nicht. Für Listenfreaks wie mich einfach nicht mehr aus dem aktiven Wortschatz wegzudenken. Der Download hilft dagegen allen aus der Bredouille, die nach einem handlichen Substantiv für herunterladen suchen.

Dann gibt es auch noch ganz unauffällige Anglizismen. Die haben sich schon so eingebürgert, dass sie niemand mehr bemerkt. Oder hätten Sie das Quiz auf Anhieb als Anglizismus identifiziert? Auch Layout, Marketing und Popcorn haben sich wirklich gut integriert. Und wer bitte sagt tatsächlich Haarwaschmittel statt Shampoo?

Es gibt aber ebenfalls unnötige Anglizismen. Man hat sich inzwischen ja daran gewöhnt, dass überall Kaffee to go angeboten wird (wahrscheinlich nur, weil es seiner Kürze wegen einfach besser auf die mit Kreide beschriebenen Aussteller passt), allerdings gibt es auf Deutsch den völlig gleichwertigen Kaffee zum Mitnehmen. Und da sich das Gegenstück to stay im Deutschen nie durchgesetzt hat, verliert der Angliszismus spätestens dann seinen Sinn, wenn die Frau an der Kaffeetheke fragt, in welcher Form man sein Heißgetränk denn nun zu sich nehmen möchte: „Zum Hiertrinken oder … ?“ (ergänzen Sie hier die sinnvollste Lösung). Beim Essen nimmt ein ähnliches Übel allmählich seinen Lauf, denn immer mehr Imbisslokale werben mit Take Away. Das entbehrt wiederum nicht einer gewissen Komik, wenn der Berliner vor mir bei der Bestellung das W so richtig schön deutsch ausspricht. Täikawwäi. Na, prima.

Und zuletzt sind da noch die merkwürdigen Anglizismen. Merkwürdig finde ich zum Beispiel ein Wort, das ich bis jetzt ausschließlich in der Generation der heute 60- bis 70-Jährigen höre: roundabout. Zum Beispiel in: „Ja, wie alt wird der gewesen sein? So roundabout 65, würd ich sagen.“ Ähnlich verhält es sich übrigens mit dem Wörtchen Rushhour. Während in meiner Kindheit früher alle Erwachsenen immer stöhnten, dass sie viel länger gebraucht hätten als sonst, weil sie mitten in die Rushhour geraten wären, höre ich diesen Ausdruck heute kaum noch. (Das kann natürlich auch daran liegen, dass wir uns an die Verkehrssituation schon so gewöhnt haben, dass sie einfach niemand mehr beklagens-, geschweige denn erwähnenswert findet.) Anglizismen, die aussterben? Äußerst merkwürdig!

Wahrscheinlich könnte man die Liste noch ewig fortführen. Aber das mache ich ein andermal. Für heute ist es erst einmal okay.

Sätze, die sitzen

Verwendet nie ein neues Wort, sofern es nicht
drei Eigenschaften besitzt: Es muß notwendig,
es muß verständlich und es muß wohlklingend sein.
(Voltaire)

Als geborener Ästhet umgebe ich mich am liebsten mit allem, was schön ist. Das betrifft nicht nur den wunderbaren Mann an meiner Seite, sondern auch Kleidung, Schuhe, Deko, Möbel, … und natürlich auch Sprachen, Wörter und Sätze. Schlecht formulierte Sätze finde ich nur schwer zu ertragen. Von besonders gelungenen Sätzen bin ich dagegen regelrecht hingerissen. Natürlich ist das vollkommen subjektiv und nicht jeder wird meine Abneigung oder Begeisterung verstehen oder gar teilen können. Aber ich habe so meine Lieblingssätze. Letztens las ich in einem Buch (Trügerisches Licht der Nacht von Juan Manuel de Prada): „Mein Bauch war fast genauso unförmig und schwabbelig wie meine Lebenserfahrung.“ Was für ein Bild – grandios, dieser Satz!

Sehr enttäuscht war ich dagegen vom letzten Satz in Vom Winde verweht, der in der deutschen Übersetzung lautet: „Schließlich,  morgen ist auch ein Tag.“ Das Buch habe ich mit 15 leidenschaftlich verschlungen, und ich habe über alle 1038 Seiten des Taschenbuchs mit Scarlett mitgelitten. Dementsprechend hoch waren meine Erwartungen an den letzten Satz. Der war mir dann viel zu unspektakulär. Ich mag letzte Sätze, die zitierfähig sind. Dazu war der hier doch viel zu banal. Und er klingt auch einfach nicht rund. Abgesehen davon, dass ich „Ja, morgen ist ein neuer Tag.“ wohlklingender gefunden hätte erinnert mich das „schließlich“ am Satzanfang viel zu sehr an einen englischen Satzbau, und jedes Mal stolpere ich über das fehlende „noch“ vor dem „ein“ (so sehr, dass mein Hirn es beim Abtippen vorhin schon automatisch ergänzen wollte).

Besser gemacht hat es Hermann Röhl in seiner Übersetzung von Tolstois Anna Karenina. Dort heißt der letzte Satz: „Denn das liegt jetzt in meiner Macht: meinem Leben die Richtung auf das Gute zu geben!“ Hach, einfach schön, oder? Eine Meisterin schöner Sätze ist Hertha Müller, Literaturnobelpreisträgerin von 2009. In Herztier heißt es auf Seite 161: „Ich wollte, daß die Liebe nachwächst, wie das gemähte Gras.“ Und der letzte Satz im selben Buch (der übrigens zugleich der erste ist) lautet: „Wenn wir schweigen, werden wir unangenehm, sagte Edgar, wenn wir reden, werden wir lächerlich.“ Sätze, die sitzen.

 

Ungarisch für Anfänger und Verzweifelte, Teil 4: Verkehrte Welt

Die Ungarn machen alles anders. 1. Niemand beeilt sich, um pünktlich zu einem privaten Termin zu erscheinen (und auch sonst beeilt man sich sehr selten). 2. Der Namenstag ist wichtiger als der Geburtstag. Jeder weiß, wann der andere Namenstag hat. (Da es in jeder Familie allerdings mindestens drei Lászlós gibt, ist das wahrscheinlich auch weniger kompliziert als man jetzt denkt.) 3. Fremdwörter, die wir hinten betonen, betonen die Ungarn vorne: Hotel statt Hotel, Büfe statt Büffet (wobei hier die Schreibweise abweicht, und  nicht nur die, denn ein Büfe ist in Ungarn das, was bei uns ein Imbisslokal ist).

Und was in Ungarn noch ganz anders ist: die Namen. Im Gegensatz zu wohl allen anderen westlichen Ländern (mit Ausnahme eines gewissen „Freistaats“ im Südwesten Deutschlands) wird dort nämlich der Nachname immer vor dem Vornamen genannt. Zum ersten Mal fiel mir dies auf, als ich dem wunderbaren Mann an meiner Seite, der zufällig – na wie wohl – László heißt, beim Unterschreiben über die Schulter sah. Abgesehen davon, dass ich vor lauter Schwärmerei über seine perfekt geschwungene Signatur, die jedes Mal, aber auch wirklich jedes Mal identisch aussieht, in helle Begeisterung ausbrach, stutzte ich plötzlich, weil auf dem Papier tatsächlich nicht László Nachname, sondern eben Nachname László stand. Das kannte ich bisher wirklich nur von den Bayern, und auch nur mündlich. (Die hatten mich allerdings noch nie in helle Begeisterung versetzt.) Von meinem damaligen Chef zum Beispiel, der sich gerne als Lohmeyer Schorsch (Name geändert) vorstellte und auch von externen Mitarbeitern gerne so sprach: „Frau Kunz, fragen Sie doch mal die Muster Erika (Name frei erfunden)!“ In Ungarn ist diese verkehrte Welt allerdings kein regionales Phänomen, sondern korrekter Sprachgebrauch. Was dann in Deutschland schon mal zu leicht skurrilen Situationen führen kann. Nämlich genau dann, wenn der wunderbare Mann an meiner Seite bei meinen Eltern von einem früheren ungarischen Nachbarn erzählt und merkwürdig fröhlich mehrfach einen gewissen Tóth Attila erwähnt. „Was für ein toter Attila denn?“ meinte ich auf den krausgezogenen Stirnen meiner Eltern ablesen zu können. Es machte sich spürbare Erleichterung im Raum breit, als ich aufklärte, dass Tóth einer der häufigsten Nachnamen in Ungarn und der Genannte noch quicklebendig ist, nur eben Attila Tóth heißt. Quasi der ungarische Peter Müller. Nur anders.

Sie haben Ihr Ziel erreicht!

Wissen Sie noch, wie das war? Damals, als noch jeder einen Autoatlas im Wagen liegen hatte und jeder Beifahrer sich mit der meines Erachtens unnötig verherrlichten Klappfaltung herumschlagen durfte, bis die Landkarte einen Riss bekam oder man sich verfranzte und doch einen Taxifahrer oder Tankstellenwart nach dem Weg fragen musste… Als man sich Weganweisungen noch aufschrieb und Menschen ohne Orientierungssinn (wie ich) jedes Mal den Rückweg verfluchten, weil man da aber auch wirklich immer irgendwo falsch abbog und plötzlich ganz woanders landete. Und dann kamen zum Glück die Navigationsgeräte. Was für eine Erleichterung! Zumindest, solange das Gerät keinen Kartenfehler hat und man sich im Niemandsland zwischen zwei Weizenfeldern wiederfindet statt am Standesamt drei Dörfer weiter, wo die Freundin in 20 Minuten heiratet. Sie haben Ihr Ziel erreicht! – Ähm, nein. Aber Schwamm drüber, nobody’s perfect. Ohne Kartenfehler kann das der schönste Satz der Welt sein, zum Beispiel wenn man nach einer 2.300 Kilometer langen Fahrt von Madrid nach Berlin vor dem eigenen Zuhause vorfährt.

Aber so ein Navigationsgerät kennt noch viele weitere schöne Sätze. Wir hatten einmal eines, das nur Entfernungen im zweistelligen Bereich aussprechen konnte und größere Distanzen daher folgendermaßen ankündigte: Folgen Sie dieser Straße noch sehr lange. Für diese kreative Lösung mussten wir es einfach gernhaben. Hat es nicht irgendwie auch etwas Beruhigendes, dass selbst kleine Computer nicht immer ganz logisch sind? Biegen Sie im Kreisverkehr links ab! ist ein Satz, auf den vor der Erfindung der GPS-Geräte wohl keiner gekommen wäre.

Zeitweise bemitleiden wir unseren kleinen KlausKlaus (Name von der Redaktion geändert) auch. Denn oft sind wir im Ausland unterwegs, und dann muss er sich mit fremdländischen Straßennamen quälen. Das scheint er gar nicht zu mögen, was man daran merkt, dass er die Silben viel schneller spricht als bei deutschen Straßennamen. Manchmal klingt er dann, als würde er stottern. Urkomisch! Fahren Sie weiter auf Naggikowazziutt sagte er letztens in Budapest (statt Nodjkoowaatschi uut). Spanisch liegt ihm auch nicht so. Die Calle Calderón de la Barca haben wir nur am Schriftbild identifizieren können, KlausKlaus machte daraus so etwas wie ein sehr schnell gesprochenes kallekalleronndellabaka. Wenn man sich dabei noch aufs Fahren konzentriert, versteht man eigentlich nur noch kallekalleka.

Im Moment ist KlausKlaus nicht gut auf uns zu sprechen. Beim Weihnachtsurlaub in Ungarn war er regelrecht einsilbig. In Österreich sagte er nur noch Fahren Sie Richtung H bzw. auf dem Rückweg Fahren Sie Richtung D. Selbst auf den Autobahnschildern waren die Landesnamen ausgeschrieben. Nun ja, vielleicht war ihm einfach zu kalt. Versteh‘ ich doch. Unser Ziel haben wir schließlich trotzdem erreicht, und gelacht haben wir auch viel. Mehr kann man von so einem Gerät nun wirklich nicht verlangen!

Diese drei kleinen Buchstaben

Als ich ein Kind war sind wir in den Ferien oft mit dem Auto zu meinem Großvater nach Frankreich gefahren. Auf der 1.000 km langen Strecke vertrieb ich mir gerne die Zeit damit, die vielen fremden Kennzeichen zu studieren und mir zu überlegen, woher die neben, vor oder hinter uns Fahrenden wohl kommen mochten. Damals gab es noch keine Handys, kein mobiles Internet und keine App. Meine „App“ war mein Vater, der die meisten deutschen Nummernschilder zuordnen konnte. Die französischen wusste dafür meine Mutter. Ab da freute ich mich jedes Mal, wenn ich den nächsten Hamburger, Stuttgarter, Baden-Badener oder Duisburger wiedererkannte. Und am größten war der Jubel, wenn ich mitten im tiefsten Frankreich plötzlich ein Kennzeichen aus der Heimat entdeckte! Auch wenn ich wirklich noch nie eine Patriotin gewesen bin und mich der Stadt, in der ich aufgewachsen bin allerhöchstens beim Fußballschauen verbunden fühle – auch heute noch überkommt mich unversehens dieses gewisse Glücksgefühl, wenn im Ausland plötzlich diese drei kleinen Buchstaben vor mir auftauchen: LEV. „Ein Leverkusener, hier? Irre!!“ dachte ich vor zwei Jahren in Barcelona und vor drei Jahren in der Toskana. (Dasselbe gilt übrigens für benachbarte sowie andere Städte, in denen ich mal gelebt habe. Was mir ein ziemlich regelmäßiges gewisses Glücksgefühl im Urlaub sichert.)

Seit dem 01.01.2015 gilt nun auch in Deutschland: Man muss bei einem Umzug in eine andere Stadt sein Kennzeichen nicht mehr wechseln. Das heißt zwar, dass sich der Aufwand zur Ummeldung bei der Zulassungsstelle* jetzt enorm reduziert (und der zumindest in Berlin-Kreuzberg recht dubios wirkende Kennzeichenbasar vor der Behörde vielleicht endlich zusammenbricht). Das heißt aber auch, dass mit der Zeit wohl immer mehr Menschen mit einem Kennzeichen durch die Gegend fahren werden, das nicht mehr aussagt, wo sie leben. Womit auch ein kleines Stückchen Identität verloren geht. Soll man den Fahrer, dessen Nummernschild behauptet, aus Stuttgart zu sein und der gemächlich durch den Berliner Stadtverkehr schleicht jetzt sofort anhupen oder ihm den 2-Sekunden-Bonus für Ortsfremde gewähren? Soll ich mich denn jetzt freuen oder nicht, wenn ich in der Fremde ein B, ein F, ein GER oder ein LEV sehe? Meine ein zwei drei kleinen Buchstaben werden an Bedeutung verlieren und nur noch sinnentleerte Zeichen auf weißem Metall sein. Wieder ein Stückchen Zugehörigkeitsgefühl, das verschwindet. Da bleibt nur eins: zum Abschied leise Servus sagen. Lebt wohl, meine kleinen Buchstaben.

 

*Kleiner Wutausbruch am Rande: Warum um Himmels Willen gibt es in jeder gerade-einmal-so-Großstadt mit 100.000 Einwohnern eine Zulassungsstelle, in einer 4-Millionen-Einwohner-Stadt wie Berlin aber nur genau zwei (in Worten: Z-W-E-I) Zulassungsstellen? Haben Sie auch nur eine Vorstellung davon, wie lang da die Schlange für die Wartemarken ist? Wenn nicht, seien Sie froh! Die Erinnerung verfolgt mich bis heute…

Zitieren Sie ruhig

„Das Wichtigste im Leben finden wir nicht durch intensive Suche, sondern so, wie man eine Muschel am Strand findet – im Grunde findet es uns.“ Dieser Sinnspruch stand auf einer Postkarte, die mir eine enge Freundin vor vielen Jahren schenkte und er traf mich – mitten ins Herz und mitten in mein schon immer sehr ausgeprägtes Pathos-Zentrum. Als Sprachliebhaberin fasziniert es mich, wie man mit nur einem Satz eine Wahrheit auf den Punkt bringen kann, und zwar genau auf den Punkt, der mich erst vor Rührung dahinschmelzen („Ach, wie schön!“), dann vor Weisheit erleuchten („Ach, wie wahr!“), vor Ehrfurcht vor der Erleuchtung des Zitierten erschaudern („Ach, wie klug!“) und schließlich im vollkommenen Verständnis des Lebenssinns zustimmend nicken lässt („Ach, genau so!“). Richtig, ich bin eine von denen, die im Schreibwarengeschäft versonnen lächelnd die Kartenständer drehen. Die wie Goethe glaubt, dass man auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, etwas Schönes bauen kann, die wie Kierkegaard einsieht, dass man das Leben nur rückwärts verstehen kann, aber vorwärts leben muss, die wie Gandhi meint, dass wir selbst die Veränderung sein müssen, die wir in der Welt sehen wollen und die Georg Christoph Lichtenberg eifrig zustimmt, wenn er sinniert: „Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen: es muss anders werden, wenn es gut werden soll.“

Meine geliebten Weisheiten sind im Grunde nicht mehr als ein paar wohlklingend aneinandergereihte Wörter. Ein paar kleine Wörter, mit einer großen Wirkung (zumindest bei so emotional bis sentimental-pathetisch veranlagten Menschen wie mir). Sie spenden Trost, zeigen den Weg, geben guten Rat oder bringen einen einfach zum Lachen. Sie lassen sich in fast jeder Lebenssituation anbringen, eignen sich ideal als letztes Wort, machen sich hervorragend auf Geburtstagskarten und lassen sich gut verwenden, um den ein oder anderen gutgemeinten Ratschlag elegant zu verpacken. Überhaupt finde ich, dass Zitate einen viel größeren Platz in unserem Alltag einnehmen sollten. (Gut, wohl bedingt durch meine frühkindliche Peter-Alexander-Film-Prägung finde ich auch, wir sollten alle statt einer normalen Antwort im Alltag viel öfter mal spontan lossingen – aber das ist ein anderes Thema.)

In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern ein zitatreiches und glückliches neues Jahr! Und halte es dabei mit Goethe: „Das neue Jahr sieht mich freundlich an, und ich lasse das alte mit seinem Sonnenschein und Wolken ruhig hinter mir.“

 

Alle Jahre wieder… oder: Nein, das schreibt man nicht so!

Alle Jahre wieder verschickt man Weihnachtsgrüße an Bekannte, Verwandte, Geschäftspartner und Freunde. Und dabei geht, aus sprachlicher Sicht, erstaunlich viel schief (wahrscheinlich kommt Weihnachten und der damit verbundene Wunsch danach, Grüße in die Welt zu schicken, jedes Jahr genauso überraschend wie der Winter, auf den außer den Bayern ja auch nie jemand vorbereitet ist. Vielleicht sollte ich bei der ARD mal einen Brennpunkt zum Thema Weihnachtsgrüße einfordern).

1. Es fängt schon beim Gruß selbst an. Gerne wird ignoriert, dass das neue Jahr aus orthografischer Sicht genau das Gleiche ist wie das alte, weil bei beiden das Adjektiv kleingeschrieben wird. Auch wenn man auf unzähligen Karten den Schriftzug Frohes Neues Jahr liest – richtig hieße es Frohes neues Jahr. Wer auch immer da versucht hat, die Grußkartenindustrie zu unterwandern und allen Grußkartenschreibern eine Gehirnwäsche zu verpassen, hat wirklich gründliche Arbeit geleistet…

2. Das nächste Problem lauert am Briefanfang. Hinter dem sehr verbreiteten Fehler, nach Lieber Freund/Liebe Freundin (o. ä.) in der nächsten Zeile großzuschreiben, vermute ich das allbekannte Unternehmen, dessen Markenzeichen bei täglichem Verzehr angeblich die Gesundheit erhält. Denn die Autokorrektur seiner Handys ist dort seit jeher so eingestellt, dass es heißt:
Liebe Freundin/lieber Freund,
Ich wünsche dir…
In Amerika, wo das Unternehmen herkommt, ist das auch richtig. Im Englischen eben. Wie auch in vielen anderen Sprachen (wie z. B. Französisch). Aber nicht im Deutschen. NICHT IM DEUTSCHEN! Da muss es heißen:
Liebe Freundin/lieber Freund,
ich wünsche dir…

3. Für alle, die getippte Weihnachtsgrüße versenden: Immer schön aufpassen, dass Weihnachten seine bewährte Buchstabenformation beibehält. Schneller als man glaubt hat man seinen Geschäftskontakten Frohe Weichnachten oder Ein erholsames Weinachtsfest gewünscht…

4. Die letzte Tücke verbirgt sich in der Abschiedsformel (natürlich nicht nur bei Weihnachtsgrüßen, sondern generell in jedem Schreiben). Vermutlich aus dem Englischen haben wir uns abgeschaut, zwischen den lieben, freundlichen, herzlichen oder besten Grüßen und unserem Namen ein Komma zu setzen, das da aber gar nicht hingehört. Also im Englischen schon. Aber NICHT… Sie wissen schon. Allerdings weiß mindestens die Hälfte der deutschen Bevölkerung nichts davon (auch ich war da als junger Mensch viel zu beeinflussbar, man gerät in Sachen Interpunktion ja so leicht auf die schiefe Bahn!). Vorsichtshalber noch einmal langsam und zum Mitschreiben für alle:
Es heißt
Herzliche Grüße
Astrid
Ganz ohne Komma oder sonstiges Satzzeichengedöns.

So, jetzt aber mal ganz schnell zurück in die besinnliche Vorweihnachtsstimmung, die ich dazu nutzen möchte, all meinen lieben Lesern nun erholsame Feiertage, ein wunderschönes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr wünschen, bevor ich mich in einen ganz kurzen, klitzekleinen Jahresendurlaub verabschiede. Ab dem 5. Januar geht es mit frischen Blogbeiträgen weiter. Versprochen!

Ungarisch für Anfänger und Verzweifelte, Teil 3: Lang, länger, am längsten

Ungarisch gehört zu den agglutinierenden Sprachen. So nennt die Linguistik Sprachen, die „die grammatischen Funktionen durch das Anfügen von Affixen an den Wortstamm ausdrücken“ (Duden). Im Klartext: Aus kleinen, unschuldigen Wörtchen werden im Laufe ihres grammatischen Lebens immer längere und längere Gebilde, bis irgendwann wahre Wortungetüme entstehen. Personalpronomen, Possessivpronomen, Präpositionen – alles wird einfach hinten angehängt.

Zunächst ein harmloses Beispiel, um Ihnen das Prinzip zu verdeutlichen:

ház heißt Haus
házám heißt mein Haus
házáim heißt meine Häuser
házaimban heißt in meinen Häusern

Das sieht doch gar nicht so schlimm aus, werden Sie sagen. Stimmt, schafft man noch. Aber es gibt viel, viel schlimmere Beispiele. Vor allem, wenn Komposita ins Spiel kommen. Wollen Sie mal sehen? Kein Problem!
Hier kommt also schlimmes Beispiel Nummer 1:

köszönet heißt Dank
köszönni heißt danken
köszönetnyilvánítás heißt Danksagung/Dankesbezeigung
köszönetnyilvánításotokként heißt als Dankesbezeigung von euch

Und gleich noch schlimmes Beispiel Nummer 2:

közlekedés heißt Verkehr
biztonság
heißt Sicherheit
közlekedésbiztonság heißt Verkehrssicherheit
Beszéljünk a közlekedésbiztonságotokról! heißt Sprechen wir von eurer Verkehrssicherheit!

Und weil aller schlimmen Dinge drei sind, hier schließlich schlimmes Beispiel Nummer 3:

labda heißt Ball
labdarúgás heißt Fußball
labdarúgó-válogatott heißt Fußballauswahl
a labdarúgó-válogatottotokként heißt als eure Fußballauswahl

Selbstredend ist das alles eine Frage der Perspektive. Der wunderbare Mann an meiner Seite findet das gar nicht schlimm. Seine komplette Familie auch nicht. Sie alle jonglieren fröhlich mit Pronomen, Fällen und anderen grammatischen Finessen umher. Und nein, es handelt sich nicht um eine Horde von Inselbegabten – die einzigen, denen ich das ansonsten noch zutrauen würde. Sie sind schlicht und ergreifend Muttersprachler.

Ist das nicht einfach unvergleichlich, also összehasonlíthatatlan (das ist gesprochen noch viel lustiger, in etwa: ‚össehoschoonliehottottlonn)?

Also, ich bleibe am labda und sammele weitere Erkenntnisse zu dieser gyönyörű Sprache (siehe Teil 1).
Bis bald, liebe Leser – bzw. hamarosan találkozunk, tisztelt olvasók!

 

 

Kurz und würzig

Liegt in der Kürze wirklich die Würze? Damals, zu Schulzeiten, war das noch mein Leitmotiv, nicht nur in meinen spärlich gesäten mündlichen Unterrichtsbeiträgen, sondern vor allem in sämtlichen Klausuren. Während sich meine Nebensitzerinnen regelmäßig die Finger wundschrieben und anschließend stolz und erschöpft berichteten, sie hätten 24 Seiten geschafft, fragte ich mich nur, was um Himmels Willen man auf so vielen Seiten wohl hätte schreiben können. Meine Aufsätze nahmen selten mehr als zwei bis vier Seiten ein und meiner Meinung nach reichte das auch vollkommen. Eine Aussage ist eine Aussage ist eine Aussage – vom Labern habe ich nie viel gehalten.

Seitdem sind zwanzig Jahre ins Land gegangen und die Frage stellt sich mir ganz neu. Frei von allen Zwängen kann ich heute in meinem Blog schreiben, was mir in den Sinn kommt und plötzlich macht es mir Spaß, Dinge in aller Länge und Breite auszuwalzen, unter die Lupe zu nehmen, hin- und herzuwenden. Plötzlich kann mein Kreativzentrum etwas, das ich früher gar nicht kannte: es sprudelt Wörter wie ein Wasserfall aus mir heraus. Geradewegs in diesen Blog hinein. Und ich muss mich geradezu zusammenreißen, die Beiträge nicht zu lang werden zu lassen.

Denn: Wer hat heute noch die Zeit, zu lesen? Oder besser: Wer nimmt sich heute noch die Zeit, zu lesen? Ich kenne immer mehr Leute, die Texte nur noch querlesen. Der wunderbare Mann an meiner Seite zum Beispiel, der all die Bücher, die ich geliebt habe, nur als Filme kennt. Und Texte, die sich nicht um Hardware, Fußball oder Wirtschaft drehen, spätestens ab 300 Wörtern unmöglich lang findet. Aber er ist bei weitem nicht der Einzige. Ungeduld ist heute ein verbreitetes Phänomen. Schuld ist wohl die Schnelllebigkeit unserer Zeit, in der Druck und Eile stete Begleiter sind und in der moderne Kommunikationswege kurze, schnelle Reaktionen einfordern. Beim Chatten ist zu viel Aufmerksamkeit, also zu genaues Lesen weder erwünscht noch förderlich – weswegen ich es übrigens ganz grässlich finde, weil ich viel zu langsam dafür bin. Aber auch in der geschäftlichen Kommunikation siegt die Hektik über das genaue Lesen. Seit Langem versuche ich mich in den E-Mails an meine Kunden schon auf so wenige Sätze wie möglich zu beschränken und meine Kernbotschaft spätestens im zweiten Satz unterzubringen, da sie ansonsten geflissentlich überlesen wird. Und das, obwohl es dabei ja um Übersetzungen, also Texte geht…

Wir haben eben keine Zeit mehr. Stattdessen haben wir Support-Chats, Kurznachrichtendienste und Emoticons. Und dafür mit 404 Wörtern heute einen viel zu langen Blogeintrag.