Als ich noch in der Stadt gewohnt habe, habe ich meine Arme zwar auch viel benutzt, aber nur höchst selten zum Winken. Vielleicht einmal auf dem Weinfest, wenn man Freunden durch die Menschenmenge hindurch verzweifelt oder weinselig (oder beides) den eigenen Standort kenntlich machen wollte und jede andere Kommunikationsformen versagt hatte. Oder zum Abschied, wenn Familie und Freunde sich nach dem Besuch im Auto entfernten. Kurzum: Es kam gelegentlich vor, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Grundsätzlich stand ich der nett gemeinten Geste nämlich eher skeptisch gegenüber. Erwachsene Menschen, die mehr oder weniger wild mit ihren Armen in der Luft wackeln fand ich in etwa so würdevoll wie Angela Merkel applaudieren zu sehen. In meinen Augen eine merkwürdig kindliche Bewegung, irgendwie unpassend in unserem kontrollierten Alltag, geradezu absurd. Vom Coolness-Faktor ganz zu schweigen.
Tja. Und dann bin ich aufs Land gezogen. Eins kann ich Ihnen sagen: Ich habe noch nie so viel gewunken.
Wir haben die besten Nachbarn, die man sich vorstellen kann. Liebe, hilfsbereite Menschen, die da sind, wenn man sie braucht, ohne einem auf die Nerven zu gehen. Paradiesisch. Und sie alle sind, wie wir auch, gerne draußen. Deswegen sind wir schließlich ins Grüne gezogen – um Zeit im Grünen zu verbringen. Am liebsten in unserem eigenen Grün, obwohl das uns umgebende Grün ebenfalls sehr reizvoll ist. (Subjektiv betrachtet – meine kürzlich aus einem eher betonlastigen Teil der ungarischen Hauptstadt zu Besuch angereiste wunderbare Schwiegermutter kommentierte das Grün beim Einbiegen in unsere Strasse skeptisch mit den Worten „Das ist aber sehr viel Natur“.) Wie auch immer: Wir sind viel draußen. Und da die anderen das auch sind, das Dorf aber wiederum so klein ist, dass man praktisch alle Menschen kennt, die man sieht, lässt es sich nicht vermeiden: Es wird viel gewunken. In alle Richtungen. An sonnigen Wochenendtagen locker fünf Mal. Als unsere Badezimmerfliesen letztens geliefert wurde, habe ich sogar dem netten Lieferanten zum Abschied zugewunken. Das Erstaunliche daran: Es bereitet mir inzwischen das größte Vergnügen. Still und heimlich scheinen sich mit meinen Gewohnheiten auch meine Überzeugungen geändert zu haben. Jetzt freue ich mich einfach, wenn ich jemanden sehe, und wie von ganz alleine zieht eine magische Kraft mit den Mundwinkeln auch meine Hand in die Höhe und lässt sie fröhlich winken. Vielleicht liegt es daran, dass man auf dem Land weder cool noch kontrolliert sein muss. Dass hier jeder so genommen wird, wie er ist. Auf der eigenen Scholle lebt es sich eben freier. Fröhlicher. Den inneren Hipster, dem würdevolles Winken wichtig erschien, den habe ich in der Stadt gelassen. Und winke jetzt aus vollem Herzen. Willkommen in Winkebach!