Die Grammatik ist das Grundgerüst einer Sprache, an das man sich halten kann, um zu begreifen, wie eine Sprache funktioniert. Sie besteht aus Regeln, auf die man immer zurückgreifen kann, wenn man seine ersten Schritte in der fremden Sprache geht. Sie hilft einem also, eine Sprache zu erlernen. In der Regel. Bis auf – Sie ahnen es – die ungarische Grammatik. Die hilft nun wirklich niemandem. Höchstens auf die Palme…
Man bekommt in Deutschland kaum Lehrbücher für Ungarisch. Ich hatte mir damals aus der spärlichen Auswahl das Büchlein Ungarisch ohne Mühe vom Assimil-Verlag ausgesucht. Der Titel klang schließlich vielversprechend. Hatte ich mich bisher vielleicht getäuscht? Gab es doch einen ganz einfachen Zugang zu dieser Sprache, den ich bisher einfach nur nicht gefunden hatte? Womöglich, weil ich gar nicht gesucht hatte? Jetzt war ich echt gespannt. Ich konnte es kaum erwarten, mit dem Grammatiklernen loszulegen. Und selbst ich als Sprachenfreundin kann nicht behaupten, das schon besonders oft gedacht zu haben.
Die ersten Lektionen liefen gut. Ich hatte das Gefühl, etwas zu lernen. Ich lernte zählen. Und einfache Sätze. Dass es auch mal ohne Verben geht. Und dass Endungen harmoniesüchtig sind. Denn es gibt eine so genannte Vokalharmonie. Der zufolge passen sich Endungen an die dominierenden Vokale im Stammwort an (also so in etwa zumindest). Mal konkret: Das deutsche Präpositiönchen in wird auf Ungarisch mit der Endung -ben ausgedrückt (also meistens zumindest). In Berlin heißt demnach Berlinben (sprich: Bäärlinbänn). Will man aber in Bonn sagen, wird das -ben zum -ban, sodass es Bonnban (sprich: Bohnnbonn) heißt.*
Die Illusion der mühelos erlernbaren Grammatik platzte allerdings einige Seiten später, irgendwo zwischen possessivierten Postpositionen und Konjugationen, bei denen man sich jedes Mal zwischen einer unbestimmten und bestimmten Form entscheiden muss. Allerspätestens aber beim Vorblättern auf den Grammatik-Überblick im Anhang. Da standen sie nämlich. Alle 23 Fälle. In Worten: Dreiundzwanzig. Dreiundzwanzig??? Diese Zahl erstickt doch jegliche Motivation im Keim, verstehen zu wollen, wozu man so viele Fälle überhaupt braucht. Oder wie man sie bildet. Oder warum. Oder warum man es überhaupt versuchen sollte. Stattdessen begann ich plötzlich, einen ganz neuen Charme in der bisherigen Ein-Wort-Kommunikation mit meiner Schwiegermutter zu entdecken. Pfff, Grammatik. Vollkommen überbewertet. Und ich beschloss: Was man nicht im Kopf hat, hat man eben in Händen und Füßen.
*Der wunderbare Mann an meiner Seite amüsiert sich gerade übrigens großartig damit, ungarische Sätze über Bonn und Bonbons zu bilden. A legjobb bonbon Bonnban van. (Sprich: O läkjop bonnbonn bohnnbonn wonn.) Heißt: In Bonn gibt es die besten Bonbons. Sollten wir vielleicht als Slogan an Haribo verkaufen.