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Ungarisch für Anfänger und Verzweifelte, Teil 5: Grammatik oder: Die Hoffnung stirbt zuerst

Die Grammatik ist das Grundgerüst einer Sprache, an das man sich halten kann, um zu begreifen, wie eine Sprache funktioniert. Sie besteht aus Regeln, auf die man immer zurückgreifen kann, wenn man seine ersten Schritte in der fremden Sprache geht. Sie hilft einem also, eine Sprache zu erlernen. In der Regel. Bis auf – Sie ahnen es – die ungarische Grammatik. Die hilft nun wirklich niemandem. Höchstens auf die Palme…

Man bekommt in Deutschland kaum Lehrbücher für Ungarisch. Ich hatte mir damals aus der spärlichen Auswahl das Büchlein Ungarisch ohne Mühe vom Assimil-Verlag ausgesucht. Der Titel klang schließlich vielversprechend. Hatte ich mich bisher vielleicht getäuscht? Gab es doch einen ganz einfachen Zugang zu dieser Sprache, den ich bisher einfach nur nicht gefunden hatte? Womöglich, weil ich gar nicht gesucht hatte? Jetzt war ich echt gespannt. Ich konnte es kaum erwarten, mit dem Grammatiklernen loszulegen. Und selbst ich als Sprachenfreundin kann nicht behaupten, das schon besonders oft gedacht zu haben.

Die ersten Lektionen liefen gut. Ich hatte das Gefühl, etwas zu lernen. Ich lernte zählen. Und einfache Sätze. Dass es auch mal ohne Verben geht. Und dass Endungen harmoniesüchtig sind. Denn es gibt eine so genannte Vokalharmonie. Der zufolge passen sich Endungen an die dominierenden Vokale im Stammwort an (also so in etwa zumindest). Mal konkret: Das deutsche Präpositiönchen in wird auf Ungarisch mit der Endung -ben ausgedrückt (also meistens zumindest). In Berlin heißt demnach Berlinben (sprich: Bäärlinbänn). Will man aber in Bonn sagen, wird das -ben zum -ban, sodass es Bonnban (sprich: Bohnnbonn) heißt.*

Die Illusion der mühelos erlernbaren Grammatik platzte allerdings einige Seiten später, irgendwo zwischen possessivierten Postpositionen und Konjugationen, bei denen man sich jedes Mal zwischen einer unbestimmten und bestimmten Form entscheiden muss. Allerspätestens aber beim Vorblättern auf den Grammatik-Überblick im Anhang. Da standen sie nämlich. Alle 23 Fälle. In Worten: Dreiundzwanzig. Dreiundzwanzig??? Diese Zahl erstickt doch jegliche Motivation im Keim, verstehen zu wollen, wozu man so viele Fälle überhaupt braucht. Oder wie man sie bildet. Oder warum. Oder warum man es überhaupt versuchen sollte. Stattdessen begann ich plötzlich, einen ganz neuen Charme in der bisherigen Ein-Wort-Kommunikation mit meiner Schwiegermutter zu entdecken. Pfff, Grammatik. Vollkommen überbewertet. Und ich beschloss: Was man nicht im Kopf hat, hat man eben in Händen und Füßen.

 

*Der wunderbare Mann an meiner Seite amüsiert sich gerade übrigens großartig damit, ungarische Sätze über Bonn und Bonbons zu bilden. A legjobb bonbon Bonnban van. (Sprich: O läkjop bonnbonn bohnnbonn wonn.) Heißt: In Bonn gibt es die besten Bonbons. Sollten wir vielleicht als Slogan an Haribo verkaufen.

Ungarisch für Anfänger und Verzweifelte, Teil 4: Verkehrte Welt

Die Ungarn machen alles anders. 1. Niemand beeilt sich, um pünktlich zu einem privaten Termin zu erscheinen (und auch sonst beeilt man sich sehr selten). 2. Der Namenstag ist wichtiger als der Geburtstag. Jeder weiß, wann der andere Namenstag hat. (Da es in jeder Familie allerdings mindestens drei Lászlós gibt, ist das wahrscheinlich auch weniger kompliziert als man jetzt denkt.) 3. Fremdwörter, die wir hinten betonen, betonen die Ungarn vorne: Hotel statt Hotel, Büfe statt Büffet (wobei hier die Schreibweise abweicht, und  nicht nur die, denn ein Büfe ist in Ungarn das, was bei uns ein Imbisslokal ist).

Und was in Ungarn noch ganz anders ist: die Namen. Im Gegensatz zu wohl allen anderen westlichen Ländern (mit Ausnahme eines gewissen „Freistaats“ im Südwesten Deutschlands) wird dort nämlich der Nachname immer vor dem Vornamen genannt. Zum ersten Mal fiel mir dies auf, als ich dem wunderbaren Mann an meiner Seite, der zufällig – na wie wohl – László heißt, beim Unterschreiben über die Schulter sah. Abgesehen davon, dass ich vor lauter Schwärmerei über seine perfekt geschwungene Signatur, die jedes Mal, aber auch wirklich jedes Mal identisch aussieht, in helle Begeisterung ausbrach, stutzte ich plötzlich, weil auf dem Papier tatsächlich nicht László Nachname, sondern eben Nachname László stand. Das kannte ich bisher wirklich nur von den Bayern, und auch nur mündlich. (Die hatten mich allerdings noch nie in helle Begeisterung versetzt.) Von meinem damaligen Chef zum Beispiel, der sich gerne als Lohmeyer Schorsch (Name geändert) vorstellte und auch von externen Mitarbeitern gerne so sprach: „Frau Kunz, fragen Sie doch mal die Muster Erika (Name frei erfunden)!“ In Ungarn ist diese verkehrte Welt allerdings kein regionales Phänomen, sondern korrekter Sprachgebrauch. Was dann in Deutschland schon mal zu leicht skurrilen Situationen führen kann. Nämlich genau dann, wenn der wunderbare Mann an meiner Seite bei meinen Eltern von einem früheren ungarischen Nachbarn erzählt und merkwürdig fröhlich mehrfach einen gewissen Tóth Attila erwähnt. „Was für ein toter Attila denn?“ meinte ich auf den krausgezogenen Stirnen meiner Eltern ablesen zu können. Es machte sich spürbare Erleichterung im Raum breit, als ich aufklärte, dass Tóth einer der häufigsten Nachnamen in Ungarn und der Genannte noch quicklebendig ist, nur eben Attila Tóth heißt. Quasi der ungarische Peter Müller. Nur anders.

Ungarisch für Anfänger und Verzweifelte, Teil 3: Lang, länger, am längsten

Ungarisch gehört zu den agglutinierenden Sprachen. So nennt die Linguistik Sprachen, die „die grammatischen Funktionen durch das Anfügen von Affixen an den Wortstamm ausdrücken“ (Duden). Im Klartext: Aus kleinen, unschuldigen Wörtchen werden im Laufe ihres grammatischen Lebens immer längere und längere Gebilde, bis irgendwann wahre Wortungetüme entstehen. Personalpronomen, Possessivpronomen, Präpositionen – alles wird einfach hinten angehängt.

Zunächst ein harmloses Beispiel, um Ihnen das Prinzip zu verdeutlichen:

ház heißt Haus
házám heißt mein Haus
házáim heißt meine Häuser
házaimban heißt in meinen Häusern

Das sieht doch gar nicht so schlimm aus, werden Sie sagen. Stimmt, schafft man noch. Aber es gibt viel, viel schlimmere Beispiele. Vor allem, wenn Komposita ins Spiel kommen. Wollen Sie mal sehen? Kein Problem!
Hier kommt also schlimmes Beispiel Nummer 1:

köszönet heißt Dank
köszönni heißt danken
köszönetnyilvánítás heißt Danksagung/Dankesbezeigung
köszönetnyilvánításotokként heißt als Dankesbezeigung von euch

Und gleich noch schlimmes Beispiel Nummer 2:

közlekedés heißt Verkehr
biztonság
heißt Sicherheit
közlekedésbiztonság heißt Verkehrssicherheit
Beszéljünk a közlekedésbiztonságotokról! heißt Sprechen wir von eurer Verkehrssicherheit!

Und weil aller schlimmen Dinge drei sind, hier schließlich schlimmes Beispiel Nummer 3:

labda heißt Ball
labdarúgás heißt Fußball
labdarúgó-válogatott heißt Fußballauswahl
a labdarúgó-válogatottotokként heißt als eure Fußballauswahl

Selbstredend ist das alles eine Frage der Perspektive. Der wunderbare Mann an meiner Seite findet das gar nicht schlimm. Seine komplette Familie auch nicht. Sie alle jonglieren fröhlich mit Pronomen, Fällen und anderen grammatischen Finessen umher. Und nein, es handelt sich nicht um eine Horde von Inselbegabten – die einzigen, denen ich das ansonsten noch zutrauen würde. Sie sind schlicht und ergreifend Muttersprachler.

Ist das nicht einfach unvergleichlich, also összehasonlíthatatlan (das ist gesprochen noch viel lustiger, in etwa: ‚össehoschoonliehottottlonn)?

Also, ich bleibe am labda und sammele weitere Erkenntnisse zu dieser gyönyörű Sprache (siehe Teil 1).
Bis bald, liebe Leser – bzw. hamarosan találkozunk, tisztelt olvasók!

 

 

Ungarisch für Anfänger und Verzweifelte – Teil 2: Aussprache

Ungarisch gehört zur finno-ugrischen Sprachfamilie, die im Wesentlichen aus Finnisch, Estnisch und Ungarisch besteht und hat rein gar nichts mit den germanischen oder romanischen Sprachen zu tun. Bis auf ein paar wenige Lehnwörter, die aber auch recht eigen ausgesprochen werden, erkennt man einfach nichts wieder. Alleine, um mir das Wort für „ja“ zu merken, habe ich ewig gebraucht. „Igen“ (sprich: ‚i|gän) liegt einem nicht gerade auf der Zunge. So muss man sich nicht wundern, dass auch die Aussprache etwas… sagen wir gewöhnungsbedürftig klingt.

Regel Nummer 1: Alle Wörter werden auf der ersten Silbe betont. Auch Wörter mit fünf oder mehr Silben (und glauben Sie mir, davon gibt es mehr, als Sie denken). Und auch Lehnwörter (also Wörtern, die sich eine Sprache von einer anderen abgeguckt hat). Was zu so lustigen Wörtern wie „Muuseum“ oder „Hootel“ führt. Als Nicht-Schwabe (da heißt es doch auch „rrrro“ und „BeeHaa“) kommt man sich echt albern vor, wenn man das sagt.
Es gibt übrigens eine Ausnahme: Pizzeria wird nicht auf der ersten Silbe betont. Allerdings auch nicht auf der dritten, wie wir es tun. Stattdessen heißt es: Pizzeeeria.

Regel Nummer 2: Alles wird ausgesprochen. „Ach, wie im Deutschen?“ werden Sie sagen. Nein. Die Ungarn sind sehr, sehr viel gründlicher als wir. Sie murmeln nicht, sie verschlucken nichts. Wenn ein Deutscher Hammer sagt, klingt es im Grunde mehr wie Hamma. Wenn ein Ungar Hammer sagt, klingt es dagegen wie Hammeeerrrr. (Was natürlich ein schlechtes Beispiel ist, weil Hammer ja gar kein ungarisches Wort ist.) Der wunderbare Mann an meiner Seite war es, der mich vor Jahren darüber aufklärte, dass wir Deutschen unser R ja gar nicht ordentlich aussprechen würden. Wie zum Beispiel in gar oder in ordentlich. Da würde der arme kleine Buchstabe ja fast untergehen. Also aus der ungarischen Perspektive betrachtet. In Ungarn geht gar nichts unter, da wird jeder Buchstabe gehegt, gepflegt und gefälligst ausgesprochen. Viszontlátásra spricht sich demnach ‚Wisssontlaataaschrroo. Übrigens: Dieses niedliche Wortungetüm ist kein seltenes Relikt, sondern wird täglich benutzt und steht sogar in vielen Geschäften auf einem Schild an der Tür. Was es heißt?
Auf Wiedersehen!