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Wir müssen origineller werden!

„Wir müssen origineller werden!“, beginnt der von mir sehr verehrte Jürgen von der Lippe, dessen gesammeltes Bühnenwerk in CD-Form uns schon seit vielen Monden auf langen Autofahrten begleitet, einen seiner Sketche. Sein Appell mag aus den späten Achtzigerjahren stammen, ist für mich aber aktueller denn je. Wir müssen origineller werden – wie recht er hat!

Das muss sich übrigens auch der wunderbare Mann an meiner Seite gedacht haben, als er die Floristin im Blumenladen letztens ganz ernst bat, doch noch etwas „Gestrüpp“ um die schöne Amaryllis zu drapieren (die es übrigens ungerührt hinnahm, und brav drapierte).
Nun, mir persönlich kommt der von der Lippe’sche Satz erstaunlich oft bei der Arbeit in den Sinn. Unschuldig öffne ich einen Text zur Übersetzung und schon schlagen sie mir entgegen, die führenden Innovationen, die bahnbrechenden Entwicklungen, einzigartigen Technologien, Quantensprünge, enormen Fortschritte und großen Durchbrüche. Und dabei ist es relativ gleichgültig, ob es um Autos, Software, Blumentöpfe oder Gummidichtungen geht. Revolutionäre Entwicklungen, soweit das Auge reicht. Da kann man vor lauter zukunftsweisenden Schlüsselstrategien zwischen zwei Zeilen schon mal fortschrittsmüde werden und ein paar flüchtige Gedanken an das Urwesen der Langeweile verschwenden (und daran, wie es wohl heißen und aussehen mag. Ich wette, es ist staubgrau, heißt Versicherungsbüro und arbeitet in einer Marketingabteilung. Und zwar in der, aus der meine Texte kommen). Da bleibt einem nur, ein Gähnen zu unterdrücken, noch einen Kaffee zu trinken, wild entschlossen kurz zu verzweifeln, stellvertretend für den Hersteller den Computerbildschirm anzuschreien: „SIE MÜSSEN ORIGINELLER WERDEN!“, sich anschließend die virtuelle Krone zu richten und weiterzumachen. Und sich klammheimlich zu fragen, ob man mit dem Slogan Eine Dichtung, die selbst Schiller und Goethe in den Schatten stellt nicht eigentlich auch Gummidichtungen verkaufen könnte. Hm – vielleicht sollte ich doch eine eigene Gummidichtungsfirma gründen.

Aber Übersetzung beiseite, auch privat denke ich mir oft genug, dass die Welt mehr Originalität vertragen könnte. Sind Sie in den letzten Jahren einmal durch den Prenzlauer Berg in Berlin gelaufen? Irgendwer hat da irgendwann beschlossen, dass Schwarzrandbrillen gepaart mit Holzfällerhemden und gartenzwerglangen Vollbärten doch ein origineller Look wären. Damals war das sicher auch so. Das sah zwar auch damals schon nicht schön aus, aber originell – und das ist ein sehr legitimes Anliegen, also Daumen hoch. Es konnte ja keiner ahnen, dass sich daraus ein unfassbar langanhaltender Trend entwickelt, der es wirklich schwer macht, heute in Berlin überhaupt noch unbebrillte, vollbartlose männliche Exemplare zwischen Mitte Zwanzig und Mitte Vierzig anzutreffen. Männer, ihr müsst origineller werden!
Dieser Herdentrieb scheint überhaupt erschreckend verbreitet. Auf Facebook zum Beispiel, wo es diese praktischen Gruppen gibt, in denen sich Menschen zu einem Thema zusammentun. Zum Beispiel, um nicht mehr benötigte Möbel, Klamotten oder sonstige Besitztümer zu verschenken bzw. dringend benötigte zu ergattern. Tolle Sache. Wenn dann nicht jeder zweite eine Wandertasche mit Kinder-, Frauen-, Hipster-, Wasweißichwas-Klamotten einstellen würde, die dann weiter wandern darf. Die dann andere in den Kommentaren mit einem Interesse bedenken oder als tolles Give bewerten, für das sie sich lieb anstellen. Die gesamte Gruppe kommt mit einem Wortschatz aus, der den eines gewissen orangehaarigen, altmodische rote Krawatten liebenden Amerikaners noch weit unterbietet. In anderen Facebook-Gruppen, die tausende Mitglieder zählen, besteht gefühlt jeder dritte Beitrag aus einem Danke für die Aufnahme in Weiß auf quietschebuntem Grund. Vielleicht sollte ich da auch mal so ein buntes Hintergrundbildchen einstellen und dick und fett daraufschreiben: IHR MÜSST ORIGINELLER WERDEN!

Wie Sie merken, es macht mich wahnsinnig. Langeweile hat in unserer Sprache nichts zu suchen, finde ich. Also, ob Sie sich gerade in den sozialen Netzwerken herumtreiben,  Gummidichtungen verkaufen, Schlüsseltechnologien entwickeln oder Freunde zu Besuch haben: Seien Sie ungewöhnlich! Trauen Sie sich etwas! Werden Sie origineller! Und bewerben Sie sich dann in einer Marketingabteilung! Am besten in der meiner zukünftigen Gummidichtungsfabrik.

Die Rechtschreibprüfung

Ich stelle immer wieder fest, dass die meisten Menschen nur wenige Vorstellungen davon haben, wie der Berufsalltag einer Übersetzerin aussieht. Und tatsächlich gibt es ja von Fall zu Fall auch kleine Unterschiede. Gemeinsam ist uns allen aber, dass wir unsere Tage vor dem Computerbildschirm verbringen, von dem uns ein Text nach dem anderen zulächelt und in aller Stille auf seine Übersetzung wartet. Bei manchen macht er es sich dabei in einer Word-Datei bequem, wenn er nicht von tabellenfanatischen Technikern in ein Excel-Format gezwungen wurde, das ihn – und den Menschen vor dem Monitor – irgendwie traurig aussehen lässt. Bei mir hockt er oft in einer speziellen Software, die allen Formaten ein Einheitsdress verpasst, weswegen ich niemals traurig aussehe, wenn ich meinen nächsten Text begrüße. Meine Software wurde speziell für Übersetzer erdacht, deswegen legt sie Wert auf Qualitätssicherung – nun, zumindest im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Sie bietet mir also unter anderem eine Rechtschreibprüfung an, so wie man das aus Word eigentlich auch kennt. Das ist manchmal auch wirklich nützlich. Manchmal. Dann, wenn man die Mitarbeiter beim schnellen Tippen einmal wieder zu Mitarbeitieren gemacht hat, das zehnte (wahlweise hochwertige, herausragende, einzigartige, einmalige oder ganz besondere) Design zum Desing mutiert und das Management ohne zweites a zum mysteriösen, französisch klingenden Mangement verkommen ist. Dann ist sie nützlich. Also in etwa zehn Prozent der Fälle. Zu neunzig Prozent ist die Rechtschreibprüfung dagegen eine sehr beschränkte, ungebildete, altmodische und kompositafeindliche Funktion, die mich wahlweise auf die Palme oder zum Lachen bringt. Denn wenn sie ein Wort nicht kennt, begnügt sie sich nicht mit roten Schlängeln unter dem Wort, nein, sie gibt doch nicht einfach auf – das naseweise Ding macht mir Vorschläge. Ein Beispiel: Ich schreibe Lastkraftwagen. Kennt die Prüfung nicht, ist nicht im Wörterbuch. Stattdessen also der absolut naheliegende Vorschlag: Lustkraftwagen. Wieso der im Wörterbuch steht – und wozu der dienen soll – ist mir bis heute ein Rätsel. Nicht das einzige. Vor allem, weil überraschenderweise, als es in einem Wirtschaftstext letztens über den Börsenkurs eines Sexshops ging, das Wort Sexshop zu Seeshop korrigiert werden sollte. Nanu, plötzlich so prüde?
Tja, die liebe Rechtschreibprüfung kennt meine Wörter zwar nicht, vom originellen Seeshop und Lustkraftwagen abgesehen kenne ich ihre aber in der Regel schon. Sie ist nur eben einfach nicht auf dem neuesten Stand. Von Hedgefonds hat sie nie gehört, in ihrer Welt heißt das handgeführt. Statt der Playstation schlägt sie Stationssignal oder alternativ Verpflegungsstation vor. Nun ja … Snacks bietet die Konsole meines Wissens noch nicht an, aber vielleicht eine gute Idee für eine nützliche Zusatzfunktion? Oxfam findet sie offroad und Nintendo zu datenintensiv.
Ganz offensichtlich ist diese Prüffunktion nicht so seelenlos, wie ich dachte. Sie möchte mir etwas sagen. Sie macht sogar Produktverbesserungsvorschläge. Und sie möchte ein Leben ohne Hedgefonds und Lastkraftwagen. Sie möchte nicht über Nintendo, sondern über Honigernten, Integratoren und Opernintendanten sprechen (das waren die Alternativvorschläge zu datenintensiv). Sie mag Harry Potter nicht, denn Quidditch und den Schnatz will sie gnadenlos ersetzen durch Fluiddichtungen und den Schatz, Schmatz oder Schwatz. Gefräßig scheint sie auch zu sein, denn sie will lieber Fastfood statt Fashion. Und sie wünscht sich eine Welt, in der der man nicht auf Franchise, sondern auf Branchenwissen oder alternativ auf Frischkäse vertraut. Und sie kritisiert mich, also meine Ausdrucksweise. Affin – wer drückt sich schon so aus, das ist doch affig. So so.
Diese Rechtschreibprüfung hat offensichtlich ihre ganz eigene Meinung zu meinen Texten. Ein bisschen viel Meinung, wenn Sie mich fragen. Zum Glück bin von uns beiden ich diejenige, die hinter dem Bildschirm sitzt. Die sie milde lächelnd mit einem Klick auf „Hinzu“ zwingen kann, meine Wörter zu lernen, das störrische Biest. Klick. Klick. KLICK!

Wir haben nur eine Erde? Schön wär’s!

Im vergangenen Frühjahr habe ich etwas höchst Ungewöhnliches an mir entdeckt, das weder ich noch sonst jemand, der mich kennt, mir bisher zugetraut hatte: einen grünen Daumen. Gut, sagen wir einen hellgrünen. Zumindest hellgrün anmutend. Ins Hellgrün changierende. Quasi einen, der gern grün wäre. In anderen Worten: Ich entdeckte die Liebe zum Gärtnern. Wohlgemerkt: Liebe. Nicht Erfolg. Nach ausreichend langer Liebe kommt der vielleicht noch, aber im Augenblick kann und soll davon nicht die Rede sein. Meiner Begeisterung tut das allerdings keinen Abbruch.
Alles begann mit einem saisonweise anmietbaren Gemüsegarten, in dem ich den Großteil meiner Sommersonntage verbrachte und selig zwischen Reihen von Mangold und Karotten hockend Unkraut rupfte. Es war die wahre Freude. Und meine ganz persönliche Form der Meditation. Recht schnell beschloss ich, dass sich auch der heimische Balkon meiner neugefundenen Passion nicht länger entziehen sollte. Rundherum gemessen 5,55 m Geländer – das hieß 5,55 m ungenutztes Potenzial. Nichts wie ab in mein neues Shopping-Paradies: das Gartencenter!

Erster Punkt auf der Einkaufsliste: Balkonkästen. Was Schickes, nicht so ein Plastik-Billigzeugs. Soll ja was hermachen. Diese stabilen da vorne im Landhaus-Stil, romantisch-verspielt, in Weiß oder Gelb vielleicht, oder da hinten, die hübschen aus Zinn, schwärmend rief ich dem wunderbaren Mann an meiner Seite zu: „Schau mal hier, sind die nicht …“ – Oh. Ein Preisschild stellte sich zwischen mich und das Objekt meiner Begierde. Nun, bei genauer Betrachtung sind die dünnen Kunststoffkästen für den Anfang ja vollkommen ausreichend. In den erstaunlich gleichgültigen Blick des wunderbaren Mannes an meiner Seite schien sich Erleichterung zu mischen.

Punkt zwei: Balkonkasten-Inhalt. Schön oder nützlich? Schön und nützlich. 2 Kästen Küchenkräuter, 2 Kästen Blumen. Na, das ging ja flott. Prima, dann kann ich das Entscheidungszentrum meines Hirns ja schon mal in den Feierabend schicken.
Nur noch schnell Erde holen. Also einen kurzen Abstecher aufs Außengelände, wo es gerüchteweise in großen Plastiksäcken auf uns warten soll, das torfige Glück. Zielsicher schreiten wir durch die Tür und bleiben verdutzt gleich wieder stehen. Uff. Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet. Reihenweise Paletten, auf denen sich Säcke unterschiedlicher Größe und Couleur türmen. Etwas verunsichert laufen wir von Stapel zu Stapel und lesen uns durch den Schilderwald und Preisdschungel. Schnell ist klar, dass hier gar nichts „nur noch schnell“ gehen wird. Das Entscheidungszentrum wird Überstunden machen müssen.
In der nächsten Viertelstunde lernen wir, dass Erde aktiv, torffrei, leicht oder extra-leicht sein kann und dass es unterschiedliche Erdsorten für Gärtnerblumen, Zimmerpflanzen, Grünpflanzen, Bonsai, Kakteen und Hortensien gibt. Erstaunlicherweise hat sogar jede Hortensienfarbe (rot-weiß oder blau) ihre eigene Erde. Fast packt es mich, und angesichts der Absurditäten, die auf den nächsten Paletten auf uns warten, als da wären Rhododendronerde, Buxbaumerde, Tomatenerde und Spezialerde für Knospenheide sowie – bitte ganz langsam und genüsslich lesen – Kübel- und Dachgartenpflanzenerde, will ich mir einen Sack Blaue-Hortensien-Erde schnappen, um darin, im Geiste ganz Rebellin, rote oder weiße Hortensien zu pflanzen. Ha! Dann fällt mir ein, dass Hortensien eher selten auf Balkonen wachsen. Na gut, dann nicht. Sowieso viel zu teuer. Obwohl, die „Spezialerde für fleischfressende Pflanzen – 3 l, 3,99 €“ auf dem nächsten Schild kann das noch toppen. Irre. Ich frage mich, was wohl jemand kauft, der von all diesen Pflanzen ein Exemplar im Garten hat. Erschöpft schleichen wir durch die vorletzte Reihe. Teicherde und Komposterde geben mir den Rest. Und da heißt es immer: „Wir haben nur eine Erde“. Schön wär’s! Müde blicke ich in die inzwischen vollkommen leeren Augen des wunderbaren Manns an meiner Seite: „Und nu?“ Mit letzter Kraft deutet er mit dem Kopf auf einen Stapel links vor mir. „Balkonblumenerde“ lese ich laut vor. Puh. Gerade noch einmal Glück gehabt. Wir packen den Sack Expertenerde auf unseren Wagen. Ich fühle mich erleichtert. Geradezu … geerdet.

Seltsam

Hierzulande ist manches seltsam. Das Wetter, das Verhalten von Politikern oder dass man immer an der falschen Kasse ansteht. Und manchmal auch unsere Sprache. Ein verwundertes Kopfkratzen lösen bei mir zum Beispiel oft Ortsnamen aus. Ortsnamen wie Weiterstadt oder Neindorf. Da fragt man sich ja schon, wie diese Namen entstanden sind. Wie schrecklich muss ein Landstrich sein, dass man ihn Hassloch nennt? Und gibt es wirklich geile Kirchen in Geilenkirchen?
Im Vergleich dazu wirft der Name der Stadt, in der ich aufgewachsen bin – Leverkusen – wenige Fragen auf und ist geradezu langweilig normal. Zu lang dafür, zu unmelodisch, unansehnlich irgendwie und wenig attraktiv, was Klang und Reimfähigkeit betrifft (genauer betrachtet also eine absolut treffende Benennung), aber seltsam ist an dieser Stadt nicht der Name. Seltsam ist der Geschmack seiner Einwohner. Und damit meine ich ausnahmsweise nicht das, nun, sagen wir, eigenwillige Stadtbild. Damit meine ich die seltsame Vorliebe der Leverkusener für Wortspiele (ein Paradies für Friseure, könnte man sagen). Als vor vielen, vielen Monden der Komplettumbau eines städtischen Schwimmbads anstand, wurden die Bürger gebeten, Namensvorschläge für das neue Nassparadies einzureichen. Tja, seitdem heißt das Bad CaLEVornia. Ich kommentiere das lieber nicht weiter. Und nein, das war kein einmaliger Ausrutscher. Jahre später wurde eine neu mit Geschäften und Cafés gestaltete Brücke in der Innenstadt Rialto BouLEVard getauft. Bleibt nur zu hoffen, dass damit das Potenzial für ähnlich kreative Ergüsse mit dem Kürzel LEV erschöpft ist.

Es geht aber noch viel seltsamer. Das Seltsamste, das ich in meinem Leben bisher je gehört habe, war ein Satz, den eine Frau in einem kleinen Drogeriemarkt irgendwo in den Weiten Berlins von der anderen Kasse in meine Richtung herüberrief. „Ich sammle tote Ameisen!“, rief sie. Ah ja. Ich weiß noch, wie ich auf das soeben gekaufte Ameisengift in meiner Hand hinabblickte, und wie sie dann, herübereilend, in einer vollkommen unnötigen Ausführlichkeit erläuterte, dass sie Schmuck aus toten Ameisen herstelle. Und fragte, ob ich ihr nicht welche schicken könne. „Klar“, sagte ich. Habe ich dann aber doch nicht gemacht. Ganz ehrlich, das war mir einfach doch zu …. seltsam.

 

 

Mitten ins Herz

Für jeden von uns gibt es ganz subjektiv das, was Gustave Flaubert, der französische Romancier aus dem 19. Jahrhundert, das mot juste nannte, also das genaue, das treffende Wort. Er war überzeugt davon, dass gute Literatur nur durch vollkommene Präzision und Sorgfalt bei der Formulierung entstehen könne. Genauer betrachtet ein Rat, den man so manchem Schreiberling heute gerne wieder ans Herz legen würde…

Doch auch außerhalb der schreibenden Zunft ist das ein interessantes Konzept. Jedes Wort hat nicht nur eine ganz bestimmte Aussage, sondern auch eine Wirkung. Genau genommen sogar zwei. Die generelle Wirkung, die es im Zusammenspiel mit seinen jeweiligen Textabschnittsgefährten (Deckname Kontext) ausübt und die individuelle Wirkung, die es in jedem von uns entfalten kann, sozusagen die Glocke, die in unserem Inneren klingelt, wenn wir etwas ganz Bestimmtes mit diesem Wort oder Ausdruck verbinden.

Mit wohl gewählten Worten lässt sich daher viel erreichen. Das wissen nicht nur Politiker (die es allerdings zu meinem Leidwesen oft genug nur noch im Umkehrschluss beherzigen, also statt die richtigen Worte zu suchen sich ausschließlich auf die Vermeidung der falschen konzentrieren – drohenden Medienstürmen sei Dank), Sektenführer, Dichter und begabte Redner. Eigentlich kennen wir das doch alle. Diesen Moment, in dem es uns erwischt. Da reicht eine Textzeile in einem Lied, der Kommentar eines Freundes, ein Satz aus einem Buch oder ein Wort im Radio, und es trifft uns mitten ins Herz. Die Worte lösen etwas in uns aus. Simples Entzücken ob ihrer Schönheit, warmen Zuspruch ob ihrer Wahrheit, stille Sehnsucht ob ihrer Weisheit, sanfte Wehmut ob der Erinnerungen, die sie in uns aufsteigen lassen oder tiefe Erleichterung ob der urplötzlich glasklaren Erkenntnisse über die Welt, über das Leben oder uns selbst.

Die richtigen Worte im richtigen Moment sind wichtiger, als so mancher heute glaubt. Eine Prise Flaubert könnte unserer modernen Gesellschaft da nicht schaden. (Übrigens, angesichts des drohenden Valentinstags, auch so mancher Partnerschaft nicht.)
Ganz klar: Man kann sie nicht immer treffen, die richtigen Worte – aber man kann immer jemanden treffen, mit seinen Worten. So oder so. Bedenkenswert, finden Sie nicht?

Wahnsinn, das gibt es. Nicht.

Iro·ni̱e̱
Substantiv [die]

1. Der Vorgang, dass jmd. auf indirekte Weise seinen Spott zum Ausdruck bringt, indem er das Gegenteil dessen sagt, was er meint.
2. Mein zweiter (okay, dritter) Vorname

Schon Sokrates in der Antike kannte sie, wenn auch in einer etwas anderen Bedeutung. Nach ihm, der bekanntermaßen auf seinem Nichtwissen beharrte, ist mit der sokratischen Ironie auch heute noch die bewusste Verstellung eines Gesprächspartners benannt (im Prinzip das absichtliche Dummstellen), um das Gegenüber in die Falle zu locken, es sozusagen höchstselbst die Falschheit seiner Aussage aufdecken zu lassen. Perfide, aber wirkungsvoll.

Seitdem hat sie eine lange, wandlungsvolle Geschichte hinter sich, die Ironie. Was hat sie nicht alles durchmachen müssen. Wie oft wurde sie missverstanden. Wie oft benutzt und von gemeinen Zynikern missbraucht. Und dann kam das Internet.

Mit ihm kam nicht nur eine Welle von neu erwachter Begeisterung für die Rautetaste, die bis dahin ein eher ungeliebtes Dasein auf den Tastaturen dieser Welt fristete, was sich spätestens mit der Geburt von Twitter radikal änderte. Die Hashtag-Manie griff um sich, verlangte nach Originalität und machte fleißigen Gebrauch der guten alten Ironie (zugegeben: nicht immer ganz unamüsant).
Mit ihm kam auch ein Problem in unsere Welt, das die meisten vorher nicht kannten. Es wagte sich aus seiner Nische und wuchs und wuchs und wollte gar nicht mehr aufhören zu wachsen. Heute ist es so groß wie Russland. Mindestens. Sie mögen ahnen, was ich meine: Das Problem, dass ironische Bemerkungen in den (wahrscheinlich parallel zur Entwicklung unserer Aufmerksamkeitsspanne) immer kürzer werdenden Online-Aussagen nicht mehr verstanden werden. Aber der gemeine Internetnutzer ist ja erfinderisch. Und so erfand er den Zwinkersmiley, mit dem heute jeder auch noch so kleine Funke Ironie zugepflastert wird, damit der Leser ihn auch ja nicht verpassen möge.
Und dann kamen die Chatnutzer. Wer auch immer das war, irgendjemand hat sie (oder zumindest ihre Sprache) aus ihrer Ecke gezerrt und mitten in die große weite Welt geschubst. Seitdem profitiert der Leser von so wunderbaren Konstruktionen wie *Ironiemodus an*/*Ironiemodus aus*, in die Kommentare eingerahmt werden. Herrlich. Einfach herrlich.
Da offenbar nicht nur aller guten, sondern auch aller fragwürdigen Dinge drei sind, blieb es natürlich nicht dabei. Ein paar findige Anglizismen heischende Prenzlauer-Berg-Latte-Macchiato-irgendwasmitMedien-Hipster brauchten mehr. Es reichte ihnen alles nicht. Und seitdem darf ich im Internet regelmäßig Sätze lesen, die mir ob ihrer Falschheit und grauenhaft gewollten Originalität die Haare zu Berge stehen lassen. Sätze wie „Das ist wirklich, wirklich lustig. Nicht.“ oder „Einfach großartig. Nicht.“ etc. Ganz ehrlich, die Konstruktion funktioniert schon im englischen Original nur bedingt, weil so viele es so gerne falsch benutzen (warum auch immer), aber grundsätzlich erlaubt die englische Satzstellung diesen Witz durchaus. Die deutsche aber nicht! Gar nicht! Überhaupt nicht! Außer natürlich in meiner Überschrift. Da natürlich schon.

Wie unpassend!

Gestern musste ich mich wirklich wundern. Da ging ich spazieren und bog in eine Straße ein, die sich lange, meiner Meinung nach sogar sehr lange (als es zu regnen anfing eindeutig viel zu lange) einen Berg hinaufwand. Während ich mir also vorstellte, einer Bergziege gleich behände und ganz ohne Ächzen und Stöhnen die langgestreckte Anhöhe zu erklimmen und dabei versuchte, mich weder von meinen brennenden Oberschenkeln noch von meinem lauten Japsen und Schnaufen ablenken zu lassen, erblickte ich zu meiner Rechten plötzlich ein Straßenschild. Und blieb ob dieses Anblicks verdattert stehen. Flachstraße las ich da. Wie unpassend! Diese Straße war alles – lang, sehr lang, viel zu lang sogar, gewunden, steil, bergig – alles, aber nicht flach. Stadtplaner hatten wohl doch mehr Humor als ich dachte … Kopfschüttelnd und die lautstarken Einwände meiner Lunge und Beinmuskeln geflissentlich ignorierend nahm ich meinen Weg wieder auf und kletterte weiter hoch, bis zu einer Abbiegung, an der es in ein kleines Sträßchen mit dem sinnigen Namen Am Hang ging. Die Sektlaune der Stadtplaner hatte wohl ihr Ende gefunden.

Doch eigentlich gibt es sie doch immer wieder, diese Momente, in denen man denkt: „Nanu, wer bitte hat sich denn diesen Namen ausgedacht?“. Ich erlebe sie oft auf der Autobahn, wenn ich an Raststätten wie Schauinsland West oder Viehwald vorbeikomme und Abfahrtsschilder Orte wie Oed, Leer, Neindorf oder Weiterstadt ankündigen. Da kann man schon mal ins Grübeln geraten, was zur Entstehung dieser Namen geführt haben mag. Wie verdient sie sind. Und ob man sich wohl je daran gewöhnen kann, in einer Gemeinde zu leben, die Streit, Haßloch, Galgen, Geilenkirchen oder Wixhausen heißt. In meinem Heimatort gibt es einen Stadtteil mit dem Namen Fettehenne. Auch nicht schön. Wie passend der Name ist, dazu möchte ich jetzt lieber nichts sagen.
Dann doch lieber ab ins Allgäu nach Lachen, ins bayerische Feiern oder ins bergische Land nach Witzhelden.

Wie passend oder unpassend ein Name ist, ist im Grunde natürlich völlig subjektiv. Als ich das letzte Mal durch Österreich fuhr, sah ich Werbung für ein Modeunternehmen, das sich Fussl nennt. (Ein Blick aufs Impressum verrät seinen Sitz: Am Fusslplatz 26-32.) Da wünscht man sich wohl kaum, dass die Kunden „wie passend“ denken … Wenn ich ein Modeunternehmen hätte, würde ich es ja (selbst wenn es in Oberhäslich ansässig wäre) eher Edel & Elegant statt Fussl nennen, aber was weiß ich schon? Ich würde ja auch lieber in Lachen oder Feiern wohnen als in Fettehenne oder Wixhausen.

In diesem Sinne: Ob Sie in Lederhose, Kaffeekanne, Elend oder Luschendorf wohnen – machen Sie das Beste draus!

 

Denn do ben ich zohuss*

Der schönste Dialekt ist ja immer der, mit dem man aufgewachsen ist. Tja, ich bin ohne Dialekt aufgewachsen. So ist das nämlich, wenn ein Elternteil kein Muttersprachler ist und der andere sich erfolgreich bemüht, immer Hochdeutsch zu sprechen. (Verstehen Sie mich nicht falsch – dafür bin ich durchaus dankbar. Spätestens seit meinem Studium in der Pfalz, als mir zum ersten Mal Menschen begegnet sind, die Hochdeutsch offensichtlich nur für ein böses Gerücht halten (siehe auch Ein Fall für sich: Pfälzisch)). Ich kann also nicht mit Sicherheit sagen, wann meine erste Berührung mit dem Dialekt meiner Heimat stattfand. Fest steht lediglich, dass dies außerhalb der vier Wände meines Elternhauses passiert sein muss.

Ich bin in Köln geboren (von wo ich ein Jahr später in eine viel zu kleine Nachbarstadt mit einem viel zu lieblosen Stadtbild rund um ein viel zu großes Chemiewerk verschleppt wurde). Technisch gesehen bin ich also ne kölsch Mädche*. Ich sprech nur nicht so. Mein L ist kein dunkel betonter Dreifachlaut, ich kann ch hörbar von sch unterscheiden und mein Ei ist ein Ei, kein Äi. Ich lese, ich schreibe und ich laufe gerade, wenn der Rest des Rheinlands am Lesen, am Schreiben und am Laufen ist. Wenn ich mich über jemanden ärgere, bezeichne ich ihn als Idioten und nicht als fiese Möpp*. Und wenn ich fluche, wähle ich wenig originell den Ausdruck mit Sch, statt aus vollem Herzen sun Driss* zu brüllen.

Also in der Regel ist das so. Doch ming kölsches Hätz* erwacht zuverlässig, wenn jemand die richtige Musik aufdreht, also wenn et Trömmelsche jeht*, sozusagen. Da ben isch dobei* und finnde dat pri-hi-ma. Obwohl ich KEIN Karnevalsfan bin. Wirklich nicht. Aber die Lieder kann ich alle. Und wenn irgendwo die ersten Akkorde von En unserem Veedel* erklingen, reihe ich mich ohne zu zögern ein, hake mich bei Wildfremden unter, schunkele im Takt und singe mit vor Rührung feuchten Augen jede einzelne Zeile mit. Wie jeder gute Kölner eben. Mir sin evve janz schön sentimentaal.*

Ohne Musik kommt mir selten ein kölsches Wort über die Lippen. Bis auf eines, das ich einfach wunderbar finde und für das mir schlicht eine adäquate hochdeutsche Entsprechung fehlt: usselig. Usselig ist die Bezeichnung für das unangenehme nasskalt-graue Wetter, das im Rheinland den Herbst und Winter dominiert und die Entscheidung zwischen Couch und Spaziergang in der Regel zugunsten des Sitzmöbels beeinflusst. Usselig: ein Zustand irgendwo zwischen ungemütlich und ekelhaft, zu warm für die Winterjacke und zu kalt für die Herbstjacke, zu dunkel für einen ordentlichen Tag, aber zu hell, um sich mit gutem Gewissen wieder ins Bett zu legen, zu nass zum Spazieren aber nicht nass genug, um lästige Einkäufe aufzuschieben. Eine überaus praktische Vokabel, wie Sie sehen. Und universell, denn neben dem Wetter lässt sich damit im Prinzip jede Lebenssituation beschreiben (Ähnliches gilt übrigens für das gegenteilige lecker). Und jeder Gegenstand.

Natürlich birgt der kölsche Dialekt noch unzählige weitere Genialitäten, aber für heute lass ich es gut sein und verabschiede mich – wie sollte es anders sein – mit den ersten drei Paragraphen des kölschen Grundgesetzes:
§1 Et es, wie et es.*
§2 Et kütt, wie et kütt.*
§3 Et hätt noch immer jot jejange.*

 

* Kleines Kölsch-Wörterbuch:
denn do ben ich zohuss = denn da bin ich zuhause
ne kölsch Mädche = ein kölsches Mädchen
fiese Möpp = Idiot
sun Driss = so eine Scheiße
ming kölsches Hätz = mein kölsches Herz
wenn et Trömmelsche jeht = wenn die Trommel ertönt
da ben isch dobei = da bin ich dabei
en unserem Veedel = in unserem Viertel
mir sin evve janz schön sentimentaal = wir sind eben ganz schön sentimental
usselig = bäh (z. B. Wetter)
et es, wie et es = es ist, wie es ist
et kütt, wie et kütt = es kommt, wie es kommt
et hätt noch immer jot jejange = es ist noch immer gut gegangen

Winterweihnachtsworte

Winterstille Wolken wittern,
während wir warten, warten, warten,
wann Wunderwatteregen wohl
Wege wie Wiesen
weißwaschen
wird.

Wohnungen werden wohlgewärmt,
wintergewappnet, weihnachtsverziert.
Wintertanne wie Weihnachtsgans,
Würstchen, Wachteln, Wildragout
würzen wohlige Wohnzimmerluft,
widerstrahlen Weihnachtsduft.

Weihnachtstellerweise werden
weiche Wampen wohlgefüllt,
Weihnachtsplätzchen weggenascht,
Wunschzettelwünsche wahrgemacht.

Woraufhin wir weihnachtsselig
weise Weihnachtswünsche wispern,
weltweit Waffenstille wittern,
Weltenglück wie Wohlstand wähnen,
weithin Wohlsein
weithin Wonne
weithin Wahnsinnsweihnacht‘ wünschen.

Wörter, die wirken

Wörter sind viel mehr als die kleinen Puzzleteile, aus denen sich unsere Sprache zusammensetzt, viel mehr als die gewollte oder zufällige, über die Jahre gewachsene, feingeschliffene, reformierte, zurückreformierte, logische oder unlogische Zusammensetzung einzelner Buchstaben. Wörter sind (dank des Fernsehens sogar oft genug öffentliche) Verkehrsmittel. Denn sie transportieren etwas – wohlgemeinte und weniger wohlgemeinte Aussagen, Weisheiten, aber auch Dummheiten, Meinungen oder Bilder. Wörter wirken – wenn man weiß, wie man sie einsetzt. (Dass das viele heute nicht mehr zu wissen scheinen, ist ein anderes Thema…)

Wörter können Waffen sein.
Wohl jeder von uns kennt die Situation, in der ein einziges falsches Wort ausreicht, das einen genau in den wunden Punkt trifft und tiefer verletzt als jedes andere. Der Schmerz, den wir im Innern fühlen ist oft schwerer zu ertragen und zu überwinden als der, der von außen auf unseren Körper wirkt. Das sollte man nie vergessen, vor allem nicht, wenn man auf der anderen Seite des Worts steht und es an einem selbst ist, sich für das rechte oder das falsche Wort zu entscheiden. Rache mag Blutwurst sein. Doch Wörter sind Waffen. Und Waffen sind gefährlich. (Und Blutwurst ist ohnehin eine Geschmacksfrage.)

Wörter können eine Ziege sein, die an der Fußsohle leckt.
Zum Beispiel, wenn ich im Restaurant sitze. Dass korrekt geschriebene Speisekarten in etwa so häufig vorkommen wie rosafarbene Einhörner weiß ich ja. Ich bin also mental schon auf Schreibfehler eingestellt. Und dann sehe ich Bambi-Goreng – und pruste los.
Oder wenn der wunderbare Mann an meiner Seite versucht, aus meiner, ähem, sagen wir: kreativen Handschrift auf dem Einkaufszettel Sinnvolles herauszulesen und voller Freude über die Erkenntnis laut Kirrbiss sagt. Manche Wörter treffen eben direkt mein (recht großzügig proportioniertes) Humorzentrum. Das lässt andere auch schon einmal ratlos zurück, und manchmal, ein paar Stunden, Tage oder Wochen später, sogar mich selbst. Aber was soll’s? Ich habe auf jeden Fall immer viel zu lachen.

Und Wörter können Zwiebeln sein.
Wenn ich das Wort Jahresrückblick in der Fernsehzeitschrift lese, bekomme ich schon feuchte Augen. Genauso geht es mir bei dem Wort Abschied. Und als Mel Gibson damals in Braveheart kurz vor der Hinrichtung aus voller Kehle Freedom brüllte, da entleerten sich meine Augen geradezu sturzbachartig aller ihrer Tränen. Zugegeben, der Film selbst, die Bilder und die Musik hatten ihren Anteil daran – dennoch ist es letztlich dieses eine Wort, das wirkte. Hätte er an derselben Stelle, nun, sagen wir einmal: Mama gerufen, wäre die Wirkung ungleich anders gewesen.

Was ich damit sagen will? Wählen Sie Ihre Worte weise! Wirken Sie – mit Wörtern, die wirken!

Listenreich durchs Leben

Wer einen Blick in meine Schränke, Kommoden, Küchenschubladen oder tagsüber auf meinen Schreibtisch wirft, der erkennt mein wahres Ich (das sich unangekündigtem Besuch auch schon mal gleich beim Betreten der Wohnung offenbart). Das ist nämlich ziemlich unordentlich. Ordnung im Sinne eines ordentlichen Haushalts und aufgeräumten Zimmers war mir – zum Leidwesen meiner Eltern – noch nie wichtig. Ich räume aus rein ästhetischen Gründen auf, weil ich es gern schön um mich herum mag. Wo sich das Chaos gut macht (das gehört so, das ist Design!) oder wo es keiner sieht (wie in der Küchenschublade), darf es gerne bleiben.

So unwichtig mir die äußere Ordnung ist, so wichtig ist mir die innere. Ich mag es im Leben nämlich nicht nur schön, sondern auch strukturiert. Und so schlich sie sich eines schönes Tages in mein Dasein und in mein Herz, und sie sollte es nie wieder verlassen: die Liste. Ohne sie scheint mir meine schiere Existenz gleichsam hohl und leer.

Meine persönliche Nummer 1 (ja, der Listenvirus sitzt tief): To-do-Listen. Sie strukturieren jeden meiner Tage und befriedigen meine Leidenschaft für gut durchdachte Pläne. Gibt es ein schöneres Gefühl, als nach der Erledigung einer Aufgabe wieder einen Punkt durchstreichen zu können? Ein dynamischer Strich locker aus dem Handgelenk verleiht Gemüt, Hirn und Knochen neuen Schwung und hält den Motivationsmotor auf Trab. Und beim letzten Listenpunkt erst: Was für ein Moment! Da möchte man sich wie Hannibal aus dem A-Team damals eine Zigarre anzünden, in aller Ruhe den ersten Zug nehmen und zufrieden lächelnd „Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert!“ sagen. (Also minus Zigarre.)

Auf Platz 2 folgt gleich die Einkaufsliste. Ohne sie fühle ich mich im Supermarkt verloren. Und vergesslich! Beim späteren Auspacken listenlos eingekaufter Lebensmittel bestätigt sich dieses Gefühl dann in der Regel.

Aber es gibt noch so viel mehr Listenmomente in meinem Leben. Wenn ich verreise, schreibe ich vorher eine Packliste, damit ich auch bloß nichts vergesse, was ich am anderen Ende der Welt (na gut, in Italien) vermissen könnte. Einfälle und Geistesblitze für neue Artikel sammle ich in einer Ideenliste. Dinge, die in der Wohnung fehlen, weil sie noch im schwedischen Möbelhaus herumstehen oder im Baumarktregal liegen, kommen auf die Wohnungsanschaffungsliste. Eine Liste hilft mir auch, mir vor einem Vorstellungsgespräch meine Stärken und Schwächen zu vergegenwärtigen. Und wenn ich mich frage, ob mir mein Leben so gefällt, wie es ist, wohin es in der Zukunft gehen soll und was für Wünsche und Ziele ich noch habe, schreibe ich eine Lebensliste.

Listen begleiten und leiten mich. Ein Leben ohne Listen? Unmöglich. Und sinnlos!

Betonung ist alles

Letztens ist mir aufgefallen, wie ähnlich das Deutsche doch dem Chinesischen ist. Doch, wirklich! Denn in beiden Sprachen kommt es auf die richtige Betonung an. Man kennt das ja: Einmal im Chinesischen die falsche Tonhöhe erwischt – zack, schon jemanden beleidigt statt begrüßt. Das passiert im Deutschen jetzt natürlich eher selten. Aber in beiden Sprachen gilt: kleine Unterschiede in der Betonung – große Wirkung.

Auf eine simple Frage wie Warum stehen wir hier? gibt es zum Beispiel vier verschiedene mögliche Antworten und Anwendungen – je nach Betonung:

  1. Warum stehen wir hier?
    Antwort: Siehst du da ganz hinten, auf der anderen Seite vom Platz dieses kleine weiße Rechteck am Ende der Schlange? Das ist der Container mit den Damentoiletten. Ich liebe Weihnachtsmärkte…
  2. Warum stehen wir hier?
    Antwort: Weil alle Plätze in diesem Bus besetzt sind. Immer diese Rentner, die einem die Sitzplätze wegnehmen.
  3. Warum stehen wir hier?
    Antwort: Na, um ehrlich zu sein – ich habe keine Ahnung, denn ich kenne Sie gar nicht.
  4. Warum stehen wir hier?
    Antwort: Du meinst, hier an der Klippe? Ach, ich mag einfach dieses Gefühl, direkt am Abgrund zu stehen. Rückt die Prioritäten im Alltag so schön zurecht.

Und das machen wir nicht nur mit Sätzen, sondern auch mit einzelnen Wörtern:

  1. a) Ich gehe mal übersetzen. = Ich schwing mich mal an den Schreibtisch (und mache aus dem englischen Text einen deutschen).
    b) Ich gehe mal übersetzen. = Ich schwing mich mal auf die Fähre (ans andere Rheinufer oder so).
  2. a) Das wird wieder modern. = Behalt das mal, irgendwann ist das wieder Mode. (Das ockerfarbene Kleid. Jeder Trend kommt wieder. Wirklich jeder. Ob wir wollen oder nicht.)
    b) Das wird wieder modern. = Behalt das bloß nicht, sonst schimmelt das wieder alles voll. (Iiieh!!)
  3.  a) Du solltest das umfahren. = Fahr einen Umweg. (Sonst stehst du nachher noch im Stau).
    b) Du solltest das umfahren. = Fahr einfach drüber. (Ein Verkehrshütchen mehr oder weniger … Hauptsache, Parkplatz.)

Was lernen wir daraus? Immer schön auf die richtige Betonung achten. Ganz nach dem Motto: Wecke den Chinesen in dir!

Wenn Schilder sprechen könnten …

Wenn Schilder sprechen könnten, was würden sie uns wohl erzählen?

Das kleine runde würde sich wahrscheinlich beschweren, dass es so oft am Autobahnrand stehen muss, wo die Luft so schlecht ist und es nie die Aufmerksamkeit bekommt, die es verdient. Nie! Vor allem, wenn herzlose Prinzipienreiter es dazu noch mit zweistelligen Zahlencodes bemalt haben. Natürlich fühlt es sich schrecklich ungeliebt. Quasi unsichtbar. Das grenzt doch an Mobbing! Neiderfüllt blickt es auf die Erhabenheit seiner zahlenfreien Kameraden mit der schicken schwarzen 5-Linien-Schärpe. Die mag natürlich wieder jeder. Gemein!
Was soll das Baustellenschild da erst sagen? Das wird nicht nur jeden Tag von unzähligen Autofahrern aufs Wüsteste beschimpft und verflucht, sondern muss sich auch noch offiziell als Gefahrenzeichen betiteln lassen, was die Popularität nicht gerade steigert (fragen Sie mal die Verbotsschilder – die wissen genau, was ich meine). Da muss man schon eine gehörige Portion Selbstbewusstsein an den Tag legen, um das auszuhalten. Das schafft man nicht immer. Manchmal möchte man einfach losschreien. Man wünscht sich einen Mittelfinger. Und was macht man dann, wenn man ein Schild ist? Man klappt ein kleines Extrarechteck unter sich aus, mit dem kleinen Wörtchen Radarkontrolle darauf. Selbst, wenn da gar keine kommt. Ha! Rache ist Blutwurst!
Aber es gibt ja noch so viel mehr Schilder. Es gibt die in idyllischen Kastanienalleen stehenden Fußwegschilder, die gutgelaunten Fußgängerzonenschilder, die mit Sehnsucht erwarteten Radwegschilder. Und es gibt die allgegenwärtigen arroganten Halteverbotsschilder, die uns verzweifelten Parkplatzsuchern und Verkehrsrebellen kopfschüttelnd leise tse tse tse entgegenzischen möchten.
Viele Schilder fristen ein frustriertes Dasein. Diese Unbeliebtheit, der sich ein Umleitungsschild aussetzt! Diese lauten Seufzer, die sich Rollsplit-, Ölspur- und Stauwarnschilder ständig anhören dürfen! Am bedauernswertesten finde ich persönlich das Schicksal einer Schildergattung, die sich aufgrund der sich galoppierend ausbreitenden Rechtschreibschwäche (und Selbstüberschätzung) der Menschheit zwar immer häufiger in guter Gesellschaft befindet (also inzwischen so viele Leidensgenossen hat, dass sie in jeder Großstadt eine eigene Selbsthilfegruppe aufmachen könnte), die sich aber nie ernstgenommen fühlt, weil sie permanent ausgelacht wird. Auch von mir, ich gebe es zu. Die Rede ist von den vielen, von den viel zu vielen falsch geschriebenen Schildern. Wie dem, das diesen Blogbeitrag ziert. Das hängt da übrigens schon seit mehreren Jahren. Den Besitzer, der es so verunstaltet hat, scheint es nicht zu stören. Er lässt es so wie es ist da hängen, das arme Ding.
Vielleicht ist es doch ganz gut, dass Schilder nicht sprechen können.

Hessisch macht hebbi*

Ei Gude* prangte dick und fett auf dem Titel des Buchs im zeitlosen Bembel-Look, das mir die Frau im Bürgeramt überreichte. „Willkommen in Frankfurt!“ Das war vor zweieinhalb Jahren, kurz nach unserem Umzug von Berlin nach Frankfurt. Und auch wenn die Stadt am Main, die sich so gern Metropole nennt, es nie in unsere Herzen geschafft hat, die Menschen und ihre Mundart haben es auf jeden Fall. Wenn einem ein Hesse „Ei Gude, wie?“* entgegenschmettert, ist das so niedlich, dass sich meine Mundwinkel automatisch nach oben ziehen. Und ab und zu muss ich auch einfach loskichern. Wenn ich im Discounter vor dem Regal mit dem in Frankfurt leider unvermeidlichen und allgegenwärtigen Apfelwein stehe, zum Beispiel, der in Kartons steht, von denen einem recht prominent der Schriftzug Stöffche ins Auge sticht, wie die Hessen ihr, nun ja, sehr, sehr herbes Gesöff tatsächlich nennen. Sauer macht eben doch lustig. E bissi* zumindest. Wer sich so durch den Tag babbelt*, der kann gar nicht schlecht gelaunt sein. Weiche Konsonanten, stimmhafte s- und sch-Laute, angereichert mit regelmäßigen Verniedlichungen verhindern das schlicht und ergreifend. So, wie bei dem Kellner, der zum Bezahlen mit einem fröhlichen „Isch habb gehört, Sie wolle sisch finnannziell verännerre?“ an unseren Tisch kam. Oder wie der Verkäufer, der mir letztens meine Schuhe an die Kasse brachte und mit einem wohlwollenden Blick meinte „Des sind aber scheene Schühche. Die mache bestimmt e goldisch Füßche„.* (Allerdings, nebenbei bemerkt.)

Tja, so einfach ist das mit dem Glück. Man muss nur nach Hessen ziehen. Hessisch macht eben hebbi.

*Kleines Hessisch-Wörterbuch:
Hebbi = happy
Bembel = typisch hessischer graublauer Steinkrug für Apfelwein
Ei Gude = guten Tag/hallo
Ei Gude, wie? = guten Tag, wie geht’s? (wobei die Antwort auf das wie angeblich ziemlich optional ist)
Stöffche = Stöffchen, so wird hier der Apfelwein genannt
E bissi = ein bisschen
babbeln = sprechen
Des sind aber scheene Schühche. = Das sind aber schöne Schuhe.
Die mache bestimmt e goldisch Füßche. = Darin sehen Ihre Füße bestimmt großartig aus.

Haare haben auch Gefühle

Nach meinem letzten Besuch im Drogeriemarkt war ich beunruhigt. Eigentlich wollte ich mir nur ein neues Shampoo kaufen. Und da stand ich dann, vor diesem schier endlos langen Regal, in dem eine bunte Flasche neben der anderen stand und mich mit ihrem Können überzeugen wollte. Die einen lockten mit den schönsten Versprechen, wie Glanz, Spannkraft, Energie, GeschmeidigkeitHaardichte, Brillanz, Volumen, Kämmbarkeit und sogar Griff und Elastizität. Die anderen wiederum unterstellten meinen Haaren erst einmal verschiedenste Probleme, die sie dann bekämpfen wollten: für glanzloses Haar, für sprödes Haar, für brüchiges Haar, für plattes und schlaffes Haar, für kraftloses Haar, für erschöpftes Haar. Erschöpftes Haar? Ernsthaft? Da dachte ich immer, Haare seien totes Material. Falsch gedacht: Haare haben auch Gefühle. Sie fühlen sich glanzlos, brüchig, kraftlos und erschöpft. Soweit ist es also schon. Jetzt haben sogar schon unsere Haare Burn-out.

Aber die neue Sensibilität betrifft nicht nur unsere Haare. Laut den Pflegeprodukten in den nächsten Regalen ist unsere Haut gerade im Winter empfindlich, gestresst und gereizt. Zum Glück gibt es Cremes, die sie dann beruhigen und von innen wieder aufbauen. Unsere Hände fühlen sich nicht nur beansprucht und strapaziert, sondern sind, wenn man verschiedenen Herstellern von Handlotionen glauben darf, heutzutage auch sehr anspruchsvoll. Aber das ist noch nicht alles. Im ganzen Markt wimmelte es nur so von Salben, Kapseln, Pasten und Pillen, die gegen geschwächten Zahnschmelz, erholungsbedürftige Gesichtshaut, widerspenstige Wimpern, schwere Beine, müde Füße und unkomplizierte Infektionen helfen.

Wer hätte gedacht, dass sich ein Drogeriemarktbesuch als so emotional entpuppen würde. Ich bin dann übrigens ohne Shampoo wieder gegangen. Ich lasse meine Haare doch nicht von so einem dahergelaufenen Haarwaschmittel beleidigen. Erschöpft? Kraftlos? Glanzlos? Spröde? Meine Haare haben keine Probleme. Gar keine. Und damit basta!

Stau auf der A3

10 km Stau auf der A3. In anderen Worten: ein Tag wie jeder andere. „Zeitverlust hier: 30 Minuten„, sagt die Radiostimme. Zeitverlust? Jedes Mal, wenn ich das höre, bin ich verwirrt. Zeit kann man doch nicht verlieren. Zeit kann man vertrödeln, vertändeln und schinden, sie nutzen oder brauchen, sie sich lassen oder vertreiben, mit ihr gehen, sie auf irgendeine Art und Weise verbringen, man kann ihr zusehen, wie sie vergeht, warten, bis sie reif ist, finden, dass sie rast oder verfliegt, und ab und zu kann man sie sogar vergessen. Doch zu keinem Zeitpunkt besitzt man sie. Und was man nicht besitzt, kann man auch nicht verlieren. Oder?
Auf der anderen Seite behaupten wir permanent, wir hätten Zeit – bzw. keine Zeit. Wir sagen haben, als ob sie uns gehören würde. Und wir sagen auch: wir nehmen uns Zeit. Manche sind so großzügig, dass sie sie Dingen oder Personen schenken. Andere investieren sie sogar. Ganz schön anmaßend.
Die ganz Gemeinen unter uns tun ihr noch Schlimmeres an: sie schlagen sie tot! Ach du liebe Zeit! (Oder eher: du arme Zeit. Die kann doch nix dafür!) Wer sie nicht totschlägt, begnügt sich meist damit, sie – ganz dem Zeitgeist entsprechend – ständig zu bewerten und in irgendwelche Schubladen zu stecken: da wären die guten, die schlechten, die alten und neuen Zeiten, die richtige, die falsche und (für alle Anglizismen-Liebhaber) die schöne Zeit. Wenn sie nicht sogar als Unzeit diskriminiert wird.

Festzuhalten bleibt: Zeit scheint nicht nur ein essentieller Bestandteil unseres Lebens, sondern auch unseres Sprachgebrauchs zu sein. Das wollte ich nur mal würdigen. Wurde mal Zeit, oder nicht?

SINGLE! SINGLE! DA! DA!

„SINGLE! SINGLE! DA! DA!“ herrscht uns der Lautsprecher an. Die Kursleiterin versucht, ihre knappen Befehle möglichst laut ins Mikro zu sprechen, um die Musik zu übertönen, deren Takt uns unerbittlich antreibt und in Bewegung hält.
„STEP TOUCH LINKS!“ Meine erste Aerobic-Stunde seit 15 Jahren. Man soll ja schließlich mehr Sport machen. Man sitzt ja nur noch. Also: Sportverein. Jeden Dienstag ist Aerobic.

„SINGLE! SINGLE! DA! DA!“ Während sich an meiner rechten Schläfe eine Schweißperle bildet und – im Kontrast zu den hektischen Bewegungen meines Körpers – langsam, gaaanz langsam an meinem Gesicht herunterläuft, denke ich nur, dass „Da Da“ eine ziemlich merkwürdige Anweisung ist. Ob das wirklich so heißt? Gut, dass es im Prinzip reicht, die Bewegungen der Trainerin spiegelverkehrt nachzuahmen. Kompliziert genug mit einer Rechts-Links-Schwäche und ohne räumliches Vorstellungsvermögen. „UND DIE ARME!“ Oje. Genau das meinte ich.

„LÄCHELN!“ befiehlt der Lautsprecher. Das CH klingt ein bisschen nach K. Die Schweißperle ist inzwischen an meinem Schlüsselbein angekommen und hat auf ihrem Weg zahlreiche Freunde gefunden. Lächeln, echt jetzt? Unsicher blicke ich um mich. Also die Stimmung könnte schon besser sein. Na gut. Ich versuche ein zaghaftes Grinsen, während meine Blicke auf die Kursleiterin geheftet bleiben, die ihre Beine abwechselnd schwungvoll nach hinten abknickt. Sie lächelt nicht.

„BREAKBUY!“. Also ich kenn nur You break it, you buy it. Mitten im seitlichen Überkreuz-Schritt geht mir auf, dass ich den Schritt noch kenne, von damals. Er heißt Grapevine. Ach so! Tja, also entweder das Mikro ist kaputt oder meine Ohren. Ich entscheide mich für das Mikro. Und plötzlich wieder: „LÄCHELN!“ Das CH klingt sogar sehr nach K. Diesmal bin ich vorsichtig. Ich verziehe keine Miene und begnüge mich damit, meine Beine schwungvoll nach hinten zu werfen.

„SINGLE! SINGLE! DA! DA!“ Vielleicht ist das ja nicht nur eine Sportart, sondern auch eine ganz eigene Sprache, dieses Aerobic. Wahrscheinlich haben sich die Aerobic-Trainer dieser Welt irgendwann alle zusammengesetzt und beschlossen, dass sich etwas ändern muss. Sie haben im Kreis gesessen und plötzlich kam die Erleuchtung über sie und einer sagte „Da da“ und einer sagte „Breakbuy“ und einer sagte „Lächeln“ und sein ch klang dabei wie ein k. Und alle klatschten vor Begeisterung in die Hände und waren sehr, sehr glücklich.

„STEP TOUCH RECHTS!“ Na, das ist aber noch aus der alten Sprache. „V-SCHRITT!“ Das auch. Wie langweilig. Dann lenkt mich eine komplizierte Armbewegung ab, die so gar nicht zu dem passen will, was meine Beine da tun. Die Schweißperlen auf meinem Körper haben kleine Seen gebildet. Ich keuchte. „LÄCHELN! SINGLE! SINGLE! DA! DA!“

Auf dem Heimweg fällt der Groschen. Es heißt Leg Curl. Und Double Double. Schade eigentlich. Ich fand den Gedanken mit der eigenen Sprache ganz charmant.

Der Name der Farbe

Ich ziehe um. Das ist an sich nichts Schlimmes. Wenn ich nicht unbedingt ein neues Sofa wollte, das zum neuen Wohnzimmer passt. Damit fing dann das ganze Unglück an. Denn ich stecke in der Farbfalle. Wissen Sie eigentlich, wie viele Sofafarben es gibt? Ich hatte ja keine Ahnung. Es müssen an die tausend sein. Mindestens. Ein sonderbarer Zufall will es, dass alle Farben, die mir gefallen, den Namen eines Kaffeegetränks tragen: Espresso, Cappuccino, Mokka, Milchkaffee, Caffe Latte, Macchiato… Die Suche nach der Couch meiner Träume endet damit praktisch immer – Sie ahnen es – in der Küche oder im Café um die Ecke, aber nie bei meinem freundlichen Möbelfachverkäufer. Das ist weder zielführend, noch sonderlich gesund. Allerdings lecker. (Haben Sie schon einmal einen Mochaccino getrunken? Köstlich!)

Abgesehen von meiner neuen Leidenschaft für italienische Heißgetränke beschäftigt mich seitdem aber auch die Frage, wie die Farben eigentlich zu ihren Namen gekommen sind. Was ist da passiert? Wer hat sich das ausgedacht? Ein Farbdesigner, der, Obelix gleich, nach der Geburt in einen großen Topf (hoffentlich kalten) Kaffees gefallen ist? Und gilt dann dasselbe für den Schöpfer der Farben Champagner und Cognac, die Wände und Boden in meiner neuen Wohnung bestimmen? Oder steckt am Ende eine Verschwörung dahinter? Kartellrechtlich fragwürdige Absprachen zwischen Möbelhäusern und Gastronomiebetrieben etwa, die das Unterbewusstsein von so verführbaren Seelen wie mir darauf programmieren sollen, nach dem Möbelkauf gleich an den Besuch im Café und die nächste Getränkebestellung zu denken? Und wenn ja, wie soll das weitergehen? Was, wenn große Restaurantketten in das Geschäft einsteigen und es demnächst auch noch Sofas in den Farben Schnitzel, Lasagne und Chicken Wings gibt?

Fragen über Fragen. Darauf erst einmal einen kleinen Espresso. (Schlürf. Deliziös, wirklich. Die Italiener können’s einfach.) Aber zurück zur Sitzmöbelproblematik. In puncto Farbwahl bin ich keinen Schritt weiter. Doch ob Cappuccino oder Macchiato – Hauptsache bequem, oder nicht?

Als der Vorteil laufen lernte

Letztens kam mal wieder Fußball. Champions League. Ein tolles Spiel, wenn man dem wunderbaren Mann an meiner Seite glauben darf. (Tue ich unbesehen.) Davon habe ich allerdings nicht viel mitbekommen, weil mich das sprachliche Unwesen, das der Kommentator trieb, gänzlich vom Spielgeschehen ablenkte. Es begann mit dem Satz: „Er lässt den Vorteil laufen“. Im Grunde bin ich an den Fußballjargon und dessen Merkwürdigkeiten ja gewöhnt, aber hier musste ich doch die Stirn runzeln und verfiel im Geiste in eine hitzige Diskussion mit mir selbst. Denn muss es nicht „Er lässt Vorteil laufen“ heißen? Ohne „den“? An sich natürlich ohnehin ein unsinniger Ausdruck, aber wie gesagt, damit hatte ich mich ja abgefunden. Nur jetzt auch noch ein „den“ vor den Vorteil zu setzen – machte das aus dem Vorteil nicht etwas, das er gar nicht war? Unwillkürlich tauchte vor meinem inneren Auge ein kleines, süßes Etwas im Fußballtrikot auf, der kleine Vorteil, der fröhlich über den Rasen hüpft und den der Schiedsrichter netterweise unbeschwert laufen lässt. Ich musste schmunzeln.

Als meine Euphorie gerade abgeebbt war ertönte auch schon der Schlusspfiff. Zeit für die Interviews. Nachdem drei Spieler drei Journalistenfragen mit der praktisch selben nichtssagenden Äußerung nicht beantwortet hatten, kamen die sogenannten Experten ins Bild, um den Trainer der Siegermannschaft zu befragen. Und der gab dann zu: „Wir wussten, Atleticó ist schwer zu bespielen“. Hm… Sollte man sich nicht damit zufriedengeben, den Rasen zu bespielen, statt auch gleich noch den Gegner? Vor meinem inneren Auge verschwand der grüne Rasen und wurde durch einen Teppich aus gegnerischen Spielern ersetzt, auf dem die anderen Fußballer munter mit ihren Stollenschuhen herumliefen, -sprangen und Fallrückzieher machten. Aua!

Doch dann kam Oliver Kahn und zauberte mir völlig unerwartet das dritte Schmunzeln ins Gesicht. Mit einer (grammatisch übrigens völlig richtigen) Anmerkung über einen Fußballer, die komplett aus dem üblichen langweiligen (Entschuldigung, liebe Fußballfans, aber ich stehe dazu: ich finde Expertengespräche langweilig, in Worten: L-A-N-G-W-E-I-L-I-G) Blabla herausfiel. Als er nämlich einen Spieler aus den beiden international immerhin recht erfolgreichen und bekannten Mannschaften, der auch mir während des Spiels dank seiner breiten und überaus kantigen Statur aufgefallen war und dem man eine gewisse Ähnlichkeit mit einem gewissen Möbelstück kaum absprechen konnte, mit folgenden Worten beschrieb: „Fußballerisch kann man über den sicher diskutieren, aber diese Körpersprache! Also, wenn man den auf dem Feld hat, das hat eben eine Wirkung…“. Kurzes Kichern beider Experten, schneller Themawechsel und weiter ging’s. Nur ich saß da und dachte: „Wie bitte??? Hat der gerade im Ernst gesagt, der Mann kann zwar nicht spielen, aber es kann nie schaden, einen Schrank auf dem Spielfeld zu haben?“ Ja, hat er. Lustig.

Und was lernen wir daraus? Spannung, Spiel und sprachliche Leckerbissen – ein Fußballabend ist eben doch etwas für die ganze Familie…

Sätze, die die Welt nicht braucht

Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass in Filmen und Serien permanent Sätze fallen wie „Jetzt reiß‘ dich einmal zusammen, du bist schließlich eine Lahnstein!“ oder „Wir Wagners lassen uns nicht unterkriegen!“ oder auch „Du bist ein Lehmann, und die Lehmanns kämpfen immer für ihre Ziele!“. Jedesmal, wenn ein solcher Satz fällt, muss ich stutzen. So spricht doch keiner! Also in meiner Familie bezeichnen wir uns in der Regel nicht als „die Kunzens“ und wir sprechen uns auch keine Ermutigungen à la „Du bist schließlich eine Kunz!“ zu. Ich fände das auch äußerst befremdlich. Man stelle sich vor, man sitzt friedlich beim Familienessen und erzählt meinetwegen von einer beruflichen Krux – und dann steht mein Vater aus heiterem Himmel auf (denn diese Sätze fallen IMMER im Stehen, meist auf einer großzügig angelegten Terrasse oder im Garten), klopft mir auf die Schulter und sagt: „Na komm, das kriegst du schon hin, du bist schließlich eine Kunz!“? Ähm… nein. Alles, was ich hinkriege, ist allein auf meinen Charakter und damit natürlich schon irgendwie auf die familiäre Prägung zurückzuführen, aber sicher nicht auf meinen Nachnamen. Das würde ja auch implizieren, dass sämtliche Familienmitglieder, die den Namen Kunz tragen (und das sind viele, sehr viele sogar), immer eine Art Vorbildrolle erfüllt hätten (sonst gäbe es schließlich keinen Grund, stolz auf diesen Namen zu sein). Und einmal ganz ehrlich – in welcher deutschen Familie ist das bitte der Fall?

Es gibt noch eine andere Formulierung, die mir vor allem in eher, sagen wir… günstig produzierten Serien auffällt und die nicht nur wahnsinnig gestelzt und unecht klingt, sondern die ich im echten Leben auch noch nie gehört habe:
„Ich werde Wuppertal [wahlweise auch Düsseldorf, Köln, Augsburg, Stuttgart, …] verlassen!“.
Ich bin ja schon ein paar Mal umgezogen, habe zu meinen Freunden und Verwandten aber noch nie gesagt: „Ihr Lieben, ich muss euch etwas sagen. Ich werde Leverkusen verlassen.“ oder „Es gibt Neuigkeiten! Ich werde Germersheim verlassen.“ oder auch „Überraschung! Wir werden Berlin verlassen.“. Auch wenn es das Vorstellungsvermögen sämtlicher Drehbuchautoren Deutschlands offensichtlich übersteigt: Ich habe es jedes Mal geschafft, bei der Ankündigung meiner Umzüge nicht davon zu sprechen, eine Stadt zu verlassen. Wenn man schon vom Verlassen spricht, meint man in der Regel Menschen, nicht Städte. Ich bin jedes Mal einfach „weggezogen“, „umgezogen“ oder „nach XYZ gezogen“. Aber das wäre für einen Fernsehdialog wohl zu naheliegend  – und zu undramatisch.

Tja, es gibt (sprachlich gesehen) eben einen entscheidenden Unterschied zwischen Serie und Wirklichkeit. Das Fernsehen braucht dramatische Sätze für banale Ereignisse, die Wirklichkeit aber banale Sätze für dramatische Ereignisse. Und das ist auch gut so, finden Sie nicht?

Freuen Sie sich auch so?

Die Freude ist groß. Und sie wird ganz offensichtlich immer größer. Denn in den letzten Jahren beobachte ich bei mir wie auch bei anderen den Trend, sich verstärkt zu freuen. Schriftlich, meine ich. „Ich freue mich auf Ihre Antwort!“„Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie unter den ausgewählten Kandidaten sind!“„Wir würden uns sehr freuen, wenn es mit einem Termin klappt!“„Ich freue mich auf die Chance zu einem Vorstellungsgespräch!“„Bis morgen, wir freuen uns!!!“

Ob im offiziellen Schreiben, bei Bewerbungen oder in der privaten SMS – man freut sich eben. Und das ist ja auch gut so. Freuen ist schließlich etwas Schönes. Früher habe ich mich zwar auch gefreut, wenn ich eine Antwort bekommen habe, aber viel diskreter. Das habe ich in meinem Brief nicht auch schon verraten. Man freut sich ja jetzt quasi schon im Voraus. Ohne zu wissen, ob die Freude überhaupt berechtigt ist, denn vielleicht kommt ja gar keine Antwort. Hm, aber … ist die Freude überhaupt echt? Spielen wir die Freude nicht nur, weil wir das Gegenüber moralisch unter Druck setzen wollen? „Oh Mann, wenn ich jetzt nicht antworte, dann hat die sich ganz umsonst gefreut!“, soll der Andere denken. Das geht natürlich nicht. Zugzwang. Ha! Ganz schön geschickt, was? Nun ja, um ehrlich zu sein, der Gedanke mit dem Zugzwang ist nicht so richtig neu. Nur die Verpackung ist heute fröhlicher, freundlicher, freudiger eben. Früher verblieb man „in Erwartung Ihrer Antwort“. Da wurde erst einmal erwartet, freuen konnte man sich ja später immer noch (auch wenn das den Briefpartner verdammt noch einmal nichts anging! Freude ist schließlich privat!).

Also doch nur eine moderne Floskel? Oder sind wir am Ende etwa herzlicher als früher? Nun, ich gebe zu, im Brief ans Finanzamt steht die echte, wirkliche Freude jetzt nicht so im Vordergrund. In der privaten SMS oder der E-Mail an Bekannte meine ich das aber durchaus ernst. Genauso wie die „herzlichen Grüße“, die ich einfach persönlicher und schöner finde als die angestaubten „freundlichen Grüße“. Da ich ja auch der Meinung bin, heute wird viel mehr umarmt als früher, und da ich insgesamt gerne an das Gute glaube, behaupte ich jetzt, dass sich sehr wohl ein Stückchen mehr echte Herzlichkeit in all der Freude verbirgt. Und darüber – Sie ahnen es – freue ich mich einfach!

Sprechen wie ein Barkeeper

Zu meinem großen Vergnügen habe ich vor einiger Zeit an einem Cocktailkurs teilgenommen. Erst lernen, dann mixen, dann trinken. Wobei der dritte Part im Laufe des Abends zunehmend an Bedeutung gewinnt. Ein Konzept, das aufgeht. Der Abend war allerdings nicht nur lustig und lecker, sondern auch in mehrerer Hinsicht lehrreich.

Lektion 1: Kein Mensch weiß, warum die leckeren Mixgetränke Cocktails heißen. Aber viele Menschen verbreiten verschiedenste Anekdoten zur Namensentstehung. Unserem Barkeeper und Kursleiter an diesem Abend gefiel die Geschichte am besten, nach der der Begriff auf Hahnenkämpfe in den USA des 19. Jahrhunderts zurückgeht, bei denen der Sieger als Trophäe die Schwanzfeder des Siegertieres und ein Getränk an der Bar in den bunten Farben ebendieser Feder erhielt. Mit dem Drink wurde dann „on the cock’s tail“ angestoßen, also auf besagte Hahnenschwanzfeder.

Lektion 2: Barkeeper sind cool, deswegen hat alles, was ein Barkeeper so braucht, einen englischen Namen.
Geduldig hielt Lukas, der junge, sympathische, mixerfahrene Beinahe-Hipster (nur die Brille fehlte), der uns kompetent und professionell durch den Abend führte, zu Beginn die einzelnen zur Zubereitung der Getränke benötigten Teile hoch und erklärte, wie diese heißen und was sie tun. So stellte sich der kleine, umdrehbare Messbecher, der seit Jahr und Tag bei meinen Eltern in der Vitrine stand, als äußerst nützlich heraus – und vor allem nicht als Messbecher, sondern als Jigger.
Das merkwürdige Ding, das in der elterlichen Vitrine dekorativ aber scheinbar sinnlos daneben herumlag, entpuppte sich als Strainer. Im Prinzip ein Sieb, das auf den Shaker aufgelegt wird, um den Cocktail nach dem Schütteln ohne Eis oder sonstige Festbestandteile ins Glas zu kippen. Sinnvoll, wie wir beim späteren Mixen feststellten.
Dann hielt Lukas etwas hoch, was wirklich jeder kannte. Er nannte es Fine Strainer. Der wird aufs Glas aufgelegt, um feine Cocktailrückstände wie kleine Minzblättchen o. ä. auszufiltern. Ansonsten ist das Einzige, was an dem Teil cool ist, sein englischer Name. Denn fünf Minuten vor Lukas‘ Erklärung hätte ich dasselbe Ding noch als Teesieb bezeichnet. Tat er dann übrigens auch. Aber nur einmal. Ganz kurz. Schließlich wollte er sich seinen Ruf als cooler Barkeeper nicht versauen.
Anschließend lernten wir, dass man zur Herstellung der gewünschten Getränke noch einen Löffel mit einem merkwürdig langen Stiel und kleinen Stößel am Ende benötigt, der aber natürlich nicht Löffel, sondern Barspoon heißt sowie ein kleines Messer, ähm, Verzeihung Barknife, mit dem man zum Beispiel Limetten halbiert, einen Muddler, der sich als Holzstößel zum Zerstoßen von Früchten erwies und das coolste und wichtigste Utensil überhaupt, den Boston Shaker, der aus einem Glas und einem Metallbecher besteht und für den es tatsächlich gar keinen deutschen Namen gibt.

Lektion 3: Nach der Zubereitung von zehn verschiedenen Cocktails ist einem herzlich egal, wie was warum heißt. Aber lecker war’s.

 

 

 

Mein ganz persönlicher Fehlerengel

Seit ich vor ein paar Monaten begonnen habe, diesen Blog zu schreiben, habe ich von sehr vielen Menschen Unterstützung und Anerkennung erfahren. Das ist nicht nur ermutigend, sondern tut auch einfach gut. Noch schöner ist aber, dass darunter eine liebe Freundin ist, die mich als unfassbar treue Leserin nicht nur moralisch, sondern bei jedem Beitrag auch ganz praktisch unterstützt. Denn immer, wenn kurz nach dem Veröffentlichen eines Beitrags mein Handy summt, ahne ich schon: oje, da ist wohl mal wieder der fiese Fehlerteufel über die Tastatur gerutscht, hat einen Buchstaben oder ein Wort mitgehen lassen oder eine andere Gemeinheit angestellt. Ein Blick auf die – übrigens immer überaus charmant formulierte – Nachricht auf dem Telefon bestätigt in der Regel: Im ersten Absatz fehlt ein R! Gehört da nicht ein „nie“ hinter das „noch“? Ich glaub, dir ist ein „N“ abhanden gekommen… Das gibt’s doch nicht! Kurz in Panik verfallen, die eigene Unfähigkeit (wahlweise auch den furchtbaren Tag, den dummen Texteditor, die kleine Schrift, die verflixte Tastatur oder im Zweifel einfach das eklige Wetter, bei dem kein Mensch vernünftig denken kann) verfluchen, dann schnell den Artikel aufrufen, Fehler korrigieren, Beitrag aktualisieren, Schweiß abwischen. Uff. Dankbar sein: Fehlerengel schlägt Fehlerteufel! Und schließlich glücklich zurücklehnen: Was für ein Luxus – so ein ganz persönlicher Fehlerengel!

Danke, meine Liebe! Gibt jedes Mal ein Bienchen.

(Allen Lesern, die jetzt fragend die Augenbrauen hochziehen, verspreche ich Aufklärung in einem der nächsten Beiträge. Einem über Bienchen. Die Blümchen lass‘ ich dafür weg.)

Ich seh‘ nur noch Sternchen…

Es ist ein sensibles Thema. Und ein gefährliches, weil man das Risiko eingeht, den Jubel von der falschen Seite zu bekommen. Deshalb sei eins gleich klargestellt: Ich glaube an den Sinn von Diplomatie und Rücksichtnahme, im ganz alltäglichen menschlichen Miteinander genauso wie in der großen Politik. Trotzdem ereilt mich immer wieder das Gefühl, dass gerade wir Deutschen es auch schon einmal übertreiben…

Denn Diplomatie ist das eine, Political Correctness das andere. Wie gesagt: ein streitbares Thema – aber wenn es um die Anrede geht, fällt es mir nicht schwer, eine klare Position zu beziehen. „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger … liebe Genossinnen und Genossen … liebe Zuschauerinnen und Zuschauer … liebe Wählerinnen und Wähler … sehr geehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer … liebe Kolleginnen und Kollegen“ – diese Gender-Scheiße, entfuhr es Jürgen von der Lippe vor ein paar Monaten, und er sprach mir aus der Seele. Ich persönlich fühle mich auch als Frau mit Mitbürger, Zuschauer, Leser und Kollege angesprochen. Aber aus Angst vor dem Sturm, (aus Gründen der Ästhetik verzichte ich hier auf das heute üblichere Modewort aus der digitalen Welt), der heute beim kleinsten Fehler losbricht traut sich ja kaum noch einer, normal zu sprechen. Doch weg von der gekünstelten Doppelanrede bewegt sich der Trend inzwischen hin zur geschlechtsneutralen Anrede. Wie schön. Da fühle ich mich gleich auch geschlechtsneutral. Nur ob das wirklich ein erstrebenswerter Fortschritt ist?

Gut, dass ich heute nicht mehr studiere, kann ich da nur sagen, denn Vorreiter dieser Denkbewegungen sind die Universitäten. Die in meinen Augen noch sinnigste Idee stammt von der Uni Leipzig, wo die männliche Anrede ersatzlos gestrichen wurde, was heißt, dass mit „Professorinnen“, „Studentinnen“ usw. immer Frauen und Männer gemeint sind. Ein ziemlich feministischer Ansatz, der nach Jahrhunderten der umgekehrten Anrde schon etwas für sich hat. Aber mangels Gewohnheit auch ziemlich albern klingt. An der Humboldt-Uni in Berlin, an der es ein Zentrum für Transdisziplinäre Geschlechterstudien gibt, schlug eine (in Leipzig müsste ich jetzt wohl weibliche hinzufügen) Professorin aber etwas noch viel Alberneres vor, sie möchte nämlich alle geschlechtsspezifischen Endungen durch ein „x“ ersetzen, weil sich angebliche viele Studenten durch die Anrede diskriminiert fühlen. „Professx“ statt „Professor/Professorin“ und „Studierx“ statt „Student/Studentin“. Super Idee! Gar nicht umständlich. Besonders bei der Aussprache. Ihre Idee wird in der FAZ folgendermaßen begründet: „Die neutralen Endungen entfernten den Zwang, sich einem Geschlecht zuordnen zu müssen.“ Wie schön. Ob die gute Frau (äh, müsste ich jetzt X sagen? Der, die oder das X? Herrje!) auch eine Lösung für Menschen wie mich parat hat, die sich durch die geschlechtsneutrale Anrede diskrimiert fühlen?

Auch in der Schweiz befasst man sich mit der Gender-Sch…, ähm ich meine mit dem Thema „antidiskriminierende Sprachhandlung“. Germanistik-Studenten der Uni Zürich haben eine ganz eigene, natürlich revolutionäre geschlechtsneutrale Alternative entwickelt: Sternchen statt Endungen! Also „Lese*“ statt „Leser“ (für den Plural dann mit zwei Sternchen: „Lese**“). Und „Studier*“ statt „Student/Studentin“, „Profess*“ statt „Professor/Professorin“. (Bin ich eigentlich die Einzige, die sich fragt: schreiben die alle nur, spricht da keiner?) Am schönsten ist aber, dass sich auch unschuldige Fragepronomen heute schon der Diskrimierung schuldig machen. Die Züricher Germanisten fragen also jetzt nicht mehr „Wer war das?“ sondern „We* war das?“. Absurd! Da kann man ja nur noch Sternchen sehen…

 

Über den Sinn und Unsinn von Füllwörtern

Deutschunterricht, 5. Klasse. Interpretation einer zuvor gelesenen Geschichte. Frau Hannebach (Name von der Redaktion geändert) blickt erwartungsvoll in den Raum. Schüler meldet sich und kommt dran: „Also, ich würde sagen, dass der Erzähler damit…“ – „Wieso sagst du also am Satzanfang?“ – „Äh… ok… Ich würde sagen, dass der Erzähler damit ausdrücken…“ – „Würdest du sagen oder sagst du?“ – „Ich sage“ – „Aber das merken wir ja, das musst du nicht extra dazusagen.“ – „Ok… also, ach Quatsch, … ähm… was wollte ich sagen???“ So lief das quasi in jeder Unterrichtsstunde. Denn Frau Hannebach hatte eine Mission! Sie befand sich im Kreuzzug – gegen Füllwörter. Bis schließlich auch der letzte Schüler die Lust verlor, überhaupt noch etwas zu sagen…

Der Duden gibt Frau Hannebach prinzipiell recht: „Wort mit geringem Aussagewert“ findet sich dort als Definition. Das ist unbestreitbar, aber kann man daraus auch schließen, sie hätten keinen Sinn? Also abgesehen davon, dass sie Schülern Zeit geben, sich Antworten zu überlegen, während sich unerbittliche Lehrerblicke in die eigenen leeren Augen bohren? Und abgesehen davon, dass sie in meinen Blogbeiträgen aufgrund ihrer Masse wahre Feste feiern? Auf keinen Fall!

Erstens: Ihr Aussagewert mag gering sein, aber er ist da. Sie geben uns die Möglichkeit, auch in geschriebenen Texten bestimmte Nuancen auszudrücken, die mündlich durch eine starke oder schwache Betonung deutlich werden (z. B. in: „also ich sehe das ganz anders, Frau Hannebach). Auch Ironie lässt sich kaum besser verstärken als mit einem kleinen, an der richtigen Stelle eingeschobenen „ja“, „eigentlich“, „wohl“, „überhaupt“ oder „also“.

Zweitens: Sie verschaffen Simultandolmetschern Zeit. Nämlich dann, wenn englische, französische oder sonstige Sprecher sich in fiesen Schachtelsätzen verstricken oder von einem Halbsatz in den nächsten stolpern, sodass der Sinn der Aussage sich erst später erschließt und der Dolmetscher solange warten muss, bis er weiterübersetzen kann, aber nicht gänzlich in Schweigen verfallen möchte, um die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer nicht völlig zu verlieren.

Drittens: Sie verschaffen langweiligen Sätzen Wohlklang, kalten Sätzen Emotionen und harten Sätzen Milde. „Das hast du schon gesagt“ klingt kurz und hart, während „Das hast du, glaube ich, schon gesagt“ sich gleich viel weicher liest. Und manche Sätze werden eben auch erst bei einer bestimmten Länge oder Wortabfolge rund. So wie mein letzter Satz, der – zumindest in meinen eigenen Augen und Ohren – ohne sein „eben“ und „auch“ einiges an Schönheit einbüßt. Ja, ja, ich weiß – Schönheit liegt im Auge des Betrachters…

Viertens: Sie verschaffen allen, die deutsche Texte in eine andere Sprache übersetzen, arge Probleme.  Denn im Deutschen werden in der Regel deutlich häufiger und mehr Füllwörter verwendet als in anderen Sprachen wie beispielsweise Englisch.

In diesem Sinne: Es lebe das Füllwort! Also wirklich. Echt jetzt. Sowas von. Oder nicht?

Gute Anglizismen, schlechte Anglizismen

Mit der Sprache ist es wie mit uns Menschen – solange sie lebt, verändert sie sich. Sie lernt dazu, entwickelt sich weiter, schaut sich woanders ab, was gut ist, was nützlich oder schlicht und einfach praktisch ist. Sie ist offen für Einflüsse von außen, nimmt fremde Wörter auf, integriert sie, bis sie sich wohlfühlen und ein Eigenleben entwickeln, sich wiederum verändern, zusammensetzen und ganz wie die Einheimischen konjugieren oder deklinieren lassen. Im Deutschen gibt es unendlich viele Beispiele dafür: „Konjugieren“ und „deklinieren“ gehen auf das Lateinische zurück, „Appetit“ und „Kantine“ kommen aus Frankreich , „Dalli“ ist aus dem Polnischen entlehnt, „Sauna“ aus dem Finnischen, „Steppe“ aus dem Russischen. Die deutsche Sprache hat also viele Spielkameraden, spielt heute allerdings vornehmlich mit einem Gefährten: dem Englischen. Das kann man gut finden (wie offensichtlich die meisten Werbetexter) oder schlecht, nur ändern kann man daran wenig. Interessant ist aber, dass die englischen Lehnwörter, besser bekannt unter dem Namen Anglizismen, in verschiedenen Formen auftreten.

Da wären zunächst die praktischen Anglizismen. To-Do-Liste ist kurz, treffend und schließt eine Lücke – denn ein griffiges deutsches Pendant gibt es nicht. Für Listenfreaks wie mich einfach nicht mehr aus dem aktiven Wortschatz wegzudenken. Der Download hilft dagegen allen aus der Bredouille, die nach einem handlichen Substantiv für herunterladen suchen.

Dann gibt es auch noch ganz unauffällige Anglizismen. Die haben sich schon so eingebürgert, dass sie niemand mehr bemerkt. Oder hätten Sie das Quiz auf Anhieb als Anglizismus identifiziert? Auch Layout, Marketing und Popcorn haben sich wirklich gut integriert. Und wer bitte sagt tatsächlich Haarwaschmittel statt Shampoo?

Es gibt aber ebenfalls unnötige Anglizismen. Man hat sich inzwischen ja daran gewöhnt, dass überall Kaffee to go angeboten wird (wahrscheinlich nur, weil es seiner Kürze wegen einfach besser auf die mit Kreide beschriebenen Aussteller passt), allerdings gibt es auf Deutsch den völlig gleichwertigen Kaffee zum Mitnehmen. Und da sich das Gegenstück to stay im Deutschen nie durchgesetzt hat, verliert der Angliszismus spätestens dann seinen Sinn, wenn die Frau an der Kaffeetheke fragt, in welcher Form man sein Heißgetränk denn nun zu sich nehmen möchte: „Zum Hiertrinken oder … ?“ (ergänzen Sie hier die sinnvollste Lösung). Beim Essen nimmt ein ähnliches Übel allmählich seinen Lauf, denn immer mehr Imbisslokale werben mit Take Away. Das entbehrt wiederum nicht einer gewissen Komik, wenn der Berliner vor mir bei der Bestellung das W so richtig schön deutsch ausspricht. Täikawwäi. Na, prima.

Und zuletzt sind da noch die merkwürdigen Anglizismen. Merkwürdig finde ich zum Beispiel ein Wort, das ich bis jetzt ausschließlich in der Generation der heute 60- bis 70-Jährigen höre: roundabout. Zum Beispiel in: „Ja, wie alt wird der gewesen sein? So roundabout 65, würd ich sagen.“ Ähnlich verhält es sich übrigens mit dem Wörtchen Rushhour. Während in meiner Kindheit früher alle Erwachsenen immer stöhnten, dass sie viel länger gebraucht hätten als sonst, weil sie mitten in die Rushhour geraten wären, höre ich diesen Ausdruck heute kaum noch. (Das kann natürlich auch daran liegen, dass wir uns an die Verkehrssituation schon so gewöhnt haben, dass sie einfach niemand mehr beklagens-, geschweige denn erwähnenswert findet.) Anglizismen, die aussterben? Äußerst merkwürdig!

Wahrscheinlich könnte man die Liste noch ewig fortführen. Aber das mache ich ein andermal. Für heute ist es erst einmal okay.

Sätze, die sitzen

Verwendet nie ein neues Wort, sofern es nicht
drei Eigenschaften besitzt: Es muß notwendig,
es muß verständlich und es muß wohlklingend sein.
(Voltaire)

Als geborener Ästhet umgebe ich mich am liebsten mit allem, was schön ist. Das betrifft nicht nur den wunderbaren Mann an meiner Seite, sondern auch Kleidung, Schuhe, Deko, Möbel, … und natürlich auch Sprachen, Wörter und Sätze. Schlecht formulierte Sätze finde ich nur schwer zu ertragen. Von besonders gelungenen Sätzen bin ich dagegen regelrecht hingerissen. Natürlich ist das vollkommen subjektiv und nicht jeder wird meine Abneigung oder Begeisterung verstehen oder gar teilen können. Aber ich habe so meine Lieblingssätze. Letztens las ich in einem Buch (Trügerisches Licht der Nacht von Juan Manuel de Prada): „Mein Bauch war fast genauso unförmig und schwabbelig wie meine Lebenserfahrung.“ Was für ein Bild – grandios, dieser Satz!

Sehr enttäuscht war ich dagegen vom letzten Satz in Vom Winde verweht, der in der deutschen Übersetzung lautet: „Schließlich,  morgen ist auch ein Tag.“ Das Buch habe ich mit 15 leidenschaftlich verschlungen, und ich habe über alle 1038 Seiten des Taschenbuchs mit Scarlett mitgelitten. Dementsprechend hoch waren meine Erwartungen an den letzten Satz. Der war mir dann viel zu unspektakulär. Ich mag letzte Sätze, die zitierfähig sind. Dazu war der hier doch viel zu banal. Und er klingt auch einfach nicht rund. Abgesehen davon, dass ich „Ja, morgen ist ein neuer Tag.“ wohlklingender gefunden hätte erinnert mich das „schließlich“ am Satzanfang viel zu sehr an einen englischen Satzbau, und jedes Mal stolpere ich über das fehlende „noch“ vor dem „ein“ (so sehr, dass mein Hirn es beim Abtippen vorhin schon automatisch ergänzen wollte).

Besser gemacht hat es Hermann Röhl in seiner Übersetzung von Tolstois Anna Karenina. Dort heißt der letzte Satz: „Denn das liegt jetzt in meiner Macht: meinem Leben die Richtung auf das Gute zu geben!“ Hach, einfach schön, oder? Eine Meisterin schöner Sätze ist Hertha Müller, Literaturnobelpreisträgerin von 2009. In Herztier heißt es auf Seite 161: „Ich wollte, daß die Liebe nachwächst, wie das gemähte Gras.“ Und der letzte Satz im selben Buch (der übrigens zugleich der erste ist) lautet: „Wenn wir schweigen, werden wir unangenehm, sagte Edgar, wenn wir reden, werden wir lächerlich.“ Sätze, die sitzen.

 

Ungarisch für Anfänger und Verzweifelte, Teil 4: Verkehrte Welt

Die Ungarn machen alles anders. 1. Niemand beeilt sich, um pünktlich zu einem privaten Termin zu erscheinen (und auch sonst beeilt man sich sehr selten). 2. Der Namenstag ist wichtiger als der Geburtstag. Jeder weiß, wann der andere Namenstag hat. (Da es in jeder Familie allerdings mindestens drei Lászlós gibt, ist das wahrscheinlich auch weniger kompliziert als man jetzt denkt.) 3. Fremdwörter, die wir hinten betonen, betonen die Ungarn vorne: Hotel statt Hotel, Büfe statt Büffet (wobei hier die Schreibweise abweicht, und  nicht nur die, denn ein Büfe ist in Ungarn das, was bei uns ein Imbisslokal ist).

Und was in Ungarn noch ganz anders ist: die Namen. Im Gegensatz zu wohl allen anderen westlichen Ländern (mit Ausnahme eines gewissen „Freistaats“ im Südwesten Deutschlands) wird dort nämlich der Nachname immer vor dem Vornamen genannt. Zum ersten Mal fiel mir dies auf, als ich dem wunderbaren Mann an meiner Seite, der zufällig – na wie wohl – László heißt, beim Unterschreiben über die Schulter sah. Abgesehen davon, dass ich vor lauter Schwärmerei über seine perfekt geschwungene Signatur, die jedes Mal, aber auch wirklich jedes Mal identisch aussieht, in helle Begeisterung ausbrach, stutzte ich plötzlich, weil auf dem Papier tatsächlich nicht László Nachname, sondern eben Nachname László stand. Das kannte ich bisher wirklich nur von den Bayern, und auch nur mündlich. (Die hatten mich allerdings noch nie in helle Begeisterung versetzt.) Von meinem damaligen Chef zum Beispiel, der sich gerne als Lohmeyer Schorsch (Name geändert) vorstellte und auch von externen Mitarbeitern gerne so sprach: „Frau Kunz, fragen Sie doch mal die Muster Erika (Name frei erfunden)!“ In Ungarn ist diese verkehrte Welt allerdings kein regionales Phänomen, sondern korrekter Sprachgebrauch. Was dann in Deutschland schon mal zu leicht skurrilen Situationen führen kann. Nämlich genau dann, wenn der wunderbare Mann an meiner Seite bei meinen Eltern von einem früheren ungarischen Nachbarn erzählt und merkwürdig fröhlich mehrfach einen gewissen Tóth Attila erwähnt. „Was für ein toter Attila denn?“ meinte ich auf den krausgezogenen Stirnen meiner Eltern ablesen zu können. Es machte sich spürbare Erleichterung im Raum breit, als ich aufklärte, dass Tóth einer der häufigsten Nachnamen in Ungarn und der Genannte noch quicklebendig ist, nur eben Attila Tóth heißt. Quasi der ungarische Peter Müller. Nur anders.

Sie haben Ihr Ziel erreicht!

Wissen Sie noch, wie das war? Damals, als noch jeder einen Autoatlas im Wagen liegen hatte und jeder Beifahrer sich mit der meines Erachtens unnötig verherrlichten Klappfaltung herumschlagen durfte, bis die Landkarte einen Riss bekam oder man sich verfranzte und doch einen Taxifahrer oder Tankstellenwart nach dem Weg fragen musste… Als man sich Weganweisungen noch aufschrieb und Menschen ohne Orientierungssinn (wie ich) jedes Mal den Rückweg verfluchten, weil man da aber auch wirklich immer irgendwo falsch abbog und plötzlich ganz woanders landete. Und dann kamen zum Glück die Navigationsgeräte. Was für eine Erleichterung! Zumindest, solange das Gerät keinen Kartenfehler hat und man sich im Niemandsland zwischen zwei Weizenfeldern wiederfindet statt am Standesamt drei Dörfer weiter, wo die Freundin in 20 Minuten heiratet. Sie haben Ihr Ziel erreicht! – Ähm, nein. Aber Schwamm drüber, nobody’s perfect. Ohne Kartenfehler kann das der schönste Satz der Welt sein, zum Beispiel wenn man nach einer 2.300 Kilometer langen Fahrt von Madrid nach Berlin vor dem eigenen Zuhause vorfährt.

Aber so ein Navigationsgerät kennt noch viele weitere schöne Sätze. Wir hatten einmal eines, das nur Entfernungen im zweistelligen Bereich aussprechen konnte und größere Distanzen daher folgendermaßen ankündigte: Folgen Sie dieser Straße noch sehr lange. Für diese kreative Lösung mussten wir es einfach gernhaben. Hat es nicht irgendwie auch etwas Beruhigendes, dass selbst kleine Computer nicht immer ganz logisch sind? Biegen Sie im Kreisverkehr links ab! ist ein Satz, auf den vor der Erfindung der GPS-Geräte wohl keiner gekommen wäre.

Zeitweise bemitleiden wir unseren kleinen KlausKlaus (Name von der Redaktion geändert) auch. Denn oft sind wir im Ausland unterwegs, und dann muss er sich mit fremdländischen Straßennamen quälen. Das scheint er gar nicht zu mögen, was man daran merkt, dass er die Silben viel schneller spricht als bei deutschen Straßennamen. Manchmal klingt er dann, als würde er stottern. Urkomisch! Fahren Sie weiter auf Naggikowazziutt sagte er letztens in Budapest (statt Nodjkoowaatschi uut). Spanisch liegt ihm auch nicht so. Die Calle Calderón de la Barca haben wir nur am Schriftbild identifizieren können, KlausKlaus machte daraus so etwas wie ein sehr schnell gesprochenes kallekalleronndellabaka. Wenn man sich dabei noch aufs Fahren konzentriert, versteht man eigentlich nur noch kallekalleka.

Im Moment ist KlausKlaus nicht gut auf uns zu sprechen. Beim Weihnachtsurlaub in Ungarn war er regelrecht einsilbig. In Österreich sagte er nur noch Fahren Sie Richtung H bzw. auf dem Rückweg Fahren Sie Richtung D. Selbst auf den Autobahnschildern waren die Landesnamen ausgeschrieben. Nun ja, vielleicht war ihm einfach zu kalt. Versteh‘ ich doch. Unser Ziel haben wir schließlich trotzdem erreicht, und gelacht haben wir auch viel. Mehr kann man von so einem Gerät nun wirklich nicht verlangen!

Zitieren Sie ruhig

„Das Wichtigste im Leben finden wir nicht durch intensive Suche, sondern so, wie man eine Muschel am Strand findet – im Grunde findet es uns.“ Dieser Sinnspruch stand auf einer Postkarte, die mir eine enge Freundin vor vielen Jahren schenkte und er traf mich – mitten ins Herz und mitten in mein schon immer sehr ausgeprägtes Pathos-Zentrum. Als Sprachliebhaberin fasziniert es mich, wie man mit nur einem Satz eine Wahrheit auf den Punkt bringen kann, und zwar genau auf den Punkt, der mich erst vor Rührung dahinschmelzen („Ach, wie schön!“), dann vor Weisheit erleuchten („Ach, wie wahr!“), vor Ehrfurcht vor der Erleuchtung des Zitierten erschaudern („Ach, wie klug!“) und schließlich im vollkommenen Verständnis des Lebenssinns zustimmend nicken lässt („Ach, genau so!“). Richtig, ich bin eine von denen, die im Schreibwarengeschäft versonnen lächelnd die Kartenständer drehen. Die wie Goethe glaubt, dass man auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, etwas Schönes bauen kann, die wie Kierkegaard einsieht, dass man das Leben nur rückwärts verstehen kann, aber vorwärts leben muss, die wie Gandhi meint, dass wir selbst die Veränderung sein müssen, die wir in der Welt sehen wollen und die Georg Christoph Lichtenberg eifrig zustimmt, wenn er sinniert: „Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen: es muss anders werden, wenn es gut werden soll.“

Meine geliebten Weisheiten sind im Grunde nicht mehr als ein paar wohlklingend aneinandergereihte Wörter. Ein paar kleine Wörter, mit einer großen Wirkung (zumindest bei so emotional bis sentimental-pathetisch veranlagten Menschen wie mir). Sie spenden Trost, zeigen den Weg, geben guten Rat oder bringen einen einfach zum Lachen. Sie lassen sich in fast jeder Lebenssituation anbringen, eignen sich ideal als letztes Wort, machen sich hervorragend auf Geburtstagskarten und lassen sich gut verwenden, um den ein oder anderen gutgemeinten Ratschlag elegant zu verpacken. Überhaupt finde ich, dass Zitate einen viel größeren Platz in unserem Alltag einnehmen sollten. (Gut, wohl bedingt durch meine frühkindliche Peter-Alexander-Film-Prägung finde ich auch, wir sollten alle statt einer normalen Antwort im Alltag viel öfter mal spontan lossingen – aber das ist ein anderes Thema.)

In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern ein zitatreiches und glückliches neues Jahr! Und halte es dabei mit Goethe: „Das neue Jahr sieht mich freundlich an, und ich lasse das alte mit seinem Sonnenschein und Wolken ruhig hinter mir.“

 

Alle Jahre wieder… oder: Nein, das schreibt man nicht so!

Alle Jahre wieder verschickt man Weihnachtsgrüße an Bekannte, Verwandte, Geschäftspartner und Freunde. Und dabei geht, aus sprachlicher Sicht, erstaunlich viel schief (wahrscheinlich kommt Weihnachten und der damit verbundene Wunsch danach, Grüße in die Welt zu schicken, jedes Jahr genauso überraschend wie der Winter, auf den außer den Bayern ja auch nie jemand vorbereitet ist. Vielleicht sollte ich bei der ARD mal einen Brennpunkt zum Thema Weihnachtsgrüße einfordern).

1. Es fängt schon beim Gruß selbst an. Gerne wird ignoriert, dass das neue Jahr aus orthografischer Sicht genau das Gleiche ist wie das alte, weil bei beiden das Adjektiv kleingeschrieben wird. Auch wenn man auf unzähligen Karten den Schriftzug Frohes Neues Jahr liest – richtig hieße es Frohes neues Jahr. Wer auch immer da versucht hat, die Grußkartenindustrie zu unterwandern und allen Grußkartenschreibern eine Gehirnwäsche zu verpassen, hat wirklich gründliche Arbeit geleistet…

2. Das nächste Problem lauert am Briefanfang. Hinter dem sehr verbreiteten Fehler, nach Lieber Freund/Liebe Freundin (o. ä.) in der nächsten Zeile großzuschreiben, vermute ich das allbekannte Unternehmen, dessen Markenzeichen bei täglichem Verzehr angeblich die Gesundheit erhält. Denn die Autokorrektur seiner Handys ist dort seit jeher so eingestellt, dass es heißt:
Liebe Freundin/lieber Freund,
Ich wünsche dir…
In Amerika, wo das Unternehmen herkommt, ist das auch richtig. Im Englischen eben. Wie auch in vielen anderen Sprachen (wie z. B. Französisch). Aber nicht im Deutschen. NICHT IM DEUTSCHEN! Da muss es heißen:
Liebe Freundin/lieber Freund,
ich wünsche dir…

3. Für alle, die getippte Weihnachtsgrüße versenden: Immer schön aufpassen, dass Weihnachten seine bewährte Buchstabenformation beibehält. Schneller als man glaubt hat man seinen Geschäftskontakten Frohe Weichnachten oder Ein erholsames Weinachtsfest gewünscht…

4. Die letzte Tücke verbirgt sich in der Abschiedsformel (natürlich nicht nur bei Weihnachtsgrüßen, sondern generell in jedem Schreiben). Vermutlich aus dem Englischen haben wir uns abgeschaut, zwischen den lieben, freundlichen, herzlichen oder besten Grüßen und unserem Namen ein Komma zu setzen, das da aber gar nicht hingehört. Also im Englischen schon. Aber NICHT… Sie wissen schon. Allerdings weiß mindestens die Hälfte der deutschen Bevölkerung nichts davon (auch ich war da als junger Mensch viel zu beeinflussbar, man gerät in Sachen Interpunktion ja so leicht auf die schiefe Bahn!). Vorsichtshalber noch einmal langsam und zum Mitschreiben für alle:
Es heißt
Herzliche Grüße
Astrid
Ganz ohne Komma oder sonstiges Satzzeichengedöns.

So, jetzt aber mal ganz schnell zurück in die besinnliche Vorweihnachtsstimmung, die ich dazu nutzen möchte, all meinen lieben Lesern nun erholsame Feiertage, ein wunderschönes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr wünschen, bevor ich mich in einen ganz kurzen, klitzekleinen Jahresendurlaub verabschiede. Ab dem 5. Januar geht es mit frischen Blogbeiträgen weiter. Versprochen!

Ungarisch für Anfänger und Verzweifelte, Teil 3: Lang, länger, am längsten

Ungarisch gehört zu den agglutinierenden Sprachen. So nennt die Linguistik Sprachen, die „die grammatischen Funktionen durch das Anfügen von Affixen an den Wortstamm ausdrücken“ (Duden). Im Klartext: Aus kleinen, unschuldigen Wörtchen werden im Laufe ihres grammatischen Lebens immer längere und längere Gebilde, bis irgendwann wahre Wortungetüme entstehen. Personalpronomen, Possessivpronomen, Präpositionen – alles wird einfach hinten angehängt.

Zunächst ein harmloses Beispiel, um Ihnen das Prinzip zu verdeutlichen:

ház heißt Haus
házám heißt mein Haus
házáim heißt meine Häuser
házaimban heißt in meinen Häusern

Das sieht doch gar nicht so schlimm aus, werden Sie sagen. Stimmt, schafft man noch. Aber es gibt viel, viel schlimmere Beispiele. Vor allem, wenn Komposita ins Spiel kommen. Wollen Sie mal sehen? Kein Problem!
Hier kommt also schlimmes Beispiel Nummer 1:

köszönet heißt Dank
köszönni heißt danken
köszönetnyilvánítás heißt Danksagung/Dankesbezeigung
köszönetnyilvánításotokként heißt als Dankesbezeigung von euch

Und gleich noch schlimmes Beispiel Nummer 2:

közlekedés heißt Verkehr
biztonság
heißt Sicherheit
közlekedésbiztonság heißt Verkehrssicherheit
Beszéljünk a közlekedésbiztonságotokról! heißt Sprechen wir von eurer Verkehrssicherheit!

Und weil aller schlimmen Dinge drei sind, hier schließlich schlimmes Beispiel Nummer 3:

labda heißt Ball
labdarúgás heißt Fußball
labdarúgó-válogatott heißt Fußballauswahl
a labdarúgó-válogatottotokként heißt als eure Fußballauswahl

Selbstredend ist das alles eine Frage der Perspektive. Der wunderbare Mann an meiner Seite findet das gar nicht schlimm. Seine komplette Familie auch nicht. Sie alle jonglieren fröhlich mit Pronomen, Fällen und anderen grammatischen Finessen umher. Und nein, es handelt sich nicht um eine Horde von Inselbegabten – die einzigen, denen ich das ansonsten noch zutrauen würde. Sie sind schlicht und ergreifend Muttersprachler.

Ist das nicht einfach unvergleichlich, also összehasonlíthatatlan (das ist gesprochen noch viel lustiger, in etwa: ‚össehoschoonliehottottlonn)?

Also, ich bleibe am labda und sammele weitere Erkenntnisse zu dieser gyönyörű Sprache (siehe Teil 1).
Bis bald, liebe Leser – bzw. hamarosan találkozunk, tisztelt olvasók!

 

 

Kurz und würzig

Liegt in der Kürze wirklich die Würze? Damals, zu Schulzeiten, war das noch mein Leitmotiv, nicht nur in meinen spärlich gesäten mündlichen Unterrichtsbeiträgen, sondern vor allem in sämtlichen Klausuren. Während sich meine Nebensitzerinnen regelmäßig die Finger wundschrieben und anschließend stolz und erschöpft berichteten, sie hätten 24 Seiten geschafft, fragte ich mich nur, was um Himmels Willen man auf so vielen Seiten wohl hätte schreiben können. Meine Aufsätze nahmen selten mehr als zwei bis vier Seiten ein und meiner Meinung nach reichte das auch vollkommen. Eine Aussage ist eine Aussage ist eine Aussage – vom Labern habe ich nie viel gehalten.

Seitdem sind zwanzig Jahre ins Land gegangen und die Frage stellt sich mir ganz neu. Frei von allen Zwängen kann ich heute in meinem Blog schreiben, was mir in den Sinn kommt und plötzlich macht es mir Spaß, Dinge in aller Länge und Breite auszuwalzen, unter die Lupe zu nehmen, hin- und herzuwenden. Plötzlich kann mein Kreativzentrum etwas, das ich früher gar nicht kannte: es sprudelt Wörter wie ein Wasserfall aus mir heraus. Geradewegs in diesen Blog hinein. Und ich muss mich geradezu zusammenreißen, die Beiträge nicht zu lang werden zu lassen.

Denn: Wer hat heute noch die Zeit, zu lesen? Oder besser: Wer nimmt sich heute noch die Zeit, zu lesen? Ich kenne immer mehr Leute, die Texte nur noch querlesen. Der wunderbare Mann an meiner Seite zum Beispiel, der all die Bücher, die ich geliebt habe, nur als Filme kennt. Und Texte, die sich nicht um Hardware, Fußball oder Wirtschaft drehen, spätestens ab 300 Wörtern unmöglich lang findet. Aber er ist bei weitem nicht der Einzige. Ungeduld ist heute ein verbreitetes Phänomen. Schuld ist wohl die Schnelllebigkeit unserer Zeit, in der Druck und Eile stete Begleiter sind und in der moderne Kommunikationswege kurze, schnelle Reaktionen einfordern. Beim Chatten ist zu viel Aufmerksamkeit, also zu genaues Lesen weder erwünscht noch förderlich – weswegen ich es übrigens ganz grässlich finde, weil ich viel zu langsam dafür bin. Aber auch in der geschäftlichen Kommunikation siegt die Hektik über das genaue Lesen. Seit Langem versuche ich mich in den E-Mails an meine Kunden schon auf so wenige Sätze wie möglich zu beschränken und meine Kernbotschaft spätestens im zweiten Satz unterzubringen, da sie ansonsten geflissentlich überlesen wird. Und das, obwohl es dabei ja um Übersetzungen, also Texte geht…

Wir haben eben keine Zeit mehr. Stattdessen haben wir Support-Chats, Kurznachrichtendienste und Emoticons. Und dafür mit 404 Wörtern heute einen viel zu langen Blogeintrag.

Chinesisches vom Italiener

Haben Sie auch ständig Prospekte von Lieferdiensten im Briefkasten? Meistens schmeiße ich die ja einfach weg, aber manchmal blättere ich sie auch durch. Und ab und zu lohnt sich das sogar – in der Regel nicht für meinen Magen, dafür umso mehr für mein an sprachlichen Kuriositäten immer interessiertes Linguistenherz und mein Humorzentrum.

Laut loslachen musste ich, als ich zum ersten Mal den Flyer vom Dolce Vita China Express in der Hand hielt (und nicht wegen des fehlenden Bindestrichs, der ist eher zum Weinen). Ob da ein Italiener mit chinesischem Migrationshintergrund kocht? Oder einfach nur ein Unentschlossener? Denn weiter unten wird mit 8 Küchen unter einem Dach geworben. Es ist übrigens ein sehr kleines Dach, ich kenne das Gebäude zufällig. Mhm… da wird bestimmt noch mit Liebe und Hingabe gekocht. Und ein besonderes Schmankerl sind sicher die Fritti, die im ganzen Prospekt als Beilage angeboten werden, z. B. bei der Nr. 158: Fischstäbchen mit Fritti & Salat.

Die anderen Lieferdienste waren entscheidungsfreudiger und haben sich auf eine Küchenrichtung festgelegt – allerdings leider nicht auf eine korrekte, ja nicht einmal auf eine einheitliche Rechtschreibung. Groß- und Kleinschreibung wechseln sich bei sushi LIVE munter ohne erkennbares Muster ab (z. B. Frisches Sushi, aber see tang salat, Unser Top-Angebot, aber sushi zur freien auswahl). Dafür gibt es hier etwas ganz Exquisites, man möchte fast sagen Durchdachtes: überdachtes Essen! Wie die harmony rolls – 4 stück avocado, ebi tempura, salat mit shake überdacht.
Beim Pizzadienst Pizza Pasta Fabricata könnte ich mir dagegen einen Salat mit Corner Dressing nach Wahl bestellen – was das wohl ist? Eckiges Dressing? Oder Dressing in eckiger Verpackung? Oder Dressing nur an den Ecken vom Salat? Rätselhaft.
Verlockend ist aber auch das Angebot vom Bambus Haus (das auch nichts von Bindestrichen hält), das verspricht: Alle Gerichte enthalten Geschmacksverstärker, Glutamat und Scharf. Prima! Wer will schon Essen ohne Geschmacksverstärker? Hier offensichtlich niemand, daher gibt es sie gleich mal in doppelter Menge. Und wie clever, das Adjektiv scharf zum Substantiv zu befördern. Macht doch alles viel einfacher.

Schön ist auch diese Vielfalt. Man kann ja heute nicht mehr nur Essen beim Lieferdienst bestellen. Das italienische Restaurant La Stalla bietet Täglich wechselndes Mittagsmenü mit Gartenterasse (sic) an. Ob die Gartenterrasse wohl auch bei uns in den dritten Stock passt? Kostet die extra? Und wie die wohl geliefert wird? Fragen über Fragen…

In diesem Sinne: Guten Appetit!

Ein N macht den Unterschied

In der elften Klasse hatten wir einen großartigen Biologielehrer, der nicht nur sehr viel wusste, sondern dieses Wissen auch mit Spaß und Kompetenz an den Schüler bringen konnte. Er hat es innerhalb von wenigen Monaten geschafft, mich so für das Fach zu begeistern (und das war damals nicht leicht), dass ich es als Leistungskurs wählte. Zu Beginn des Schuljahres gab er uns ein kleines Heftchen, dass er schon seit vielen Jahren an seine Schüler verteilte, das sogenannte „Chemie-Skript“. Es handelte sich um ein paar DIN-A4-Blätter, die quer in zwei Spalten mit Schreibmaschine beschrieben, mit Zeichnungen von Hand versehen und so in der Mitte gefaltet waren, dass ein kleines Büchlein entstand. Dieses Büchlein besitze ich heute noch. Es hat Eselsohren, Flecken und ist vergilbt, aber es ist und bleibt mein kleines Heiligtum. Es fasste praktisch alle chemischen Grundlagen,  die man als Oberstufenschüler damals für die Biologie brauchte kurz, knapp, verständlich und sogar humorvoll zusammen. Ich habe es geliebt. Unter anderem auch, weil mein Biologielehrer sich darin über eine Tatsache lustig machte, die mich schon damals (Mitte bis Ende der Neunziger) regelmäßig wahnsinnig machte – und es heute immer noch tut. Ich zitiere:

„…nämlich die KOHLENHYDRATE, welches die Dinger sind, die sich ältere, mit Phantasiehüten behauptete Damen im Café zuführen. (Herren machen das natürlich auch, nur haben die keine Phantasiehüte.) KOHLENHYDRATE sind HYDRATE des KOHLENSTOFFS und nicht Hydrate der Kohle, die sogenannten Kohlehydrate, die es nur bei Leuten gibt, die von Chemie keine Ahnung haben. Also immer dran denken: ein N macht den Unterschied aus zwischen einem naturwissenschaftlich gebildeten und ungebildeten Menschen, zumindest was die KOHLEnHYDRATE betrifft.“

Logisch, oder? Sie glauben gar nicht, wie oft ich an diesen Satz denken muss. Ständig höre ich die Leute im Radio, im Fernsehen, im Bus oder sonstwo von Kohlehydraten sprechen. Selbst Zeitungen schreiben es falsch. Bei einer Google-Suche nach Kohlehydraten findet man Artikel aus dem Stern, der FAZ, regionalen Tageszeitungen, verschiedensten Fitnessmagazinen, einen Link zu einer Seite der geobiologischen Fakultät der Uni Göttingen – und, für mich persönlich am tragischsten – sogar Artikel aus dem DUDEN. Insgesamt über 300.000 Treffer.

Leider ist besagter Biologielehrer schon vor ein paar Jahren gestorben. Doch bei jeder virtuellen oder echten Begegnung mit einem dieser naturwissenschaftlich ungebildeten Menschen wird in mir, wie in vielen seiner damaligen Schüler, jedes Mal die sehr lebendige Erinnerung daran wach, wie er, locker an das Lehrerpult gelehnt, lakonisch von Phantasiehüten und Kohlenhydraten erzählt. Naturwissenschaftliche Bildung, die ein Leben lang bleibt.

Ein kurzes Plädoyer für mehr Y

Ist Ihnen das auch schon einmal aufgefallen? Früher war mehr Y. Und ganz früher sogar sehr viel mehr. Denn es diente ursprünglich dazu, den i-Laut in bestimmten Fremdwörtern auszudrücken (weshalb es übrigens auch als Vokallaut gilt). Im Mittelalter feierte es Hochkonjunktur und hatte das i praktisch ganz verdrängt. Da gab es „Steynbrodt“, „Heymat“ und „geystliche Freyheyt“ (wirkt die Freyheyt nicht viel größer, weiter und erhabener als die Freiheit?) und man schrieb „eyn“ und „bey“ statt „ein“ und „bei“. Schön war das. Denn aus ästhetischen Gesichtspunkten ist das Y tatsächlich schön: Es ist symmetrisch und wirkt harmonisch (je nach Schriftart entsprechen seine Proportionen dem Goldenen Schnitt). Und mit seinem Stamm und den beiden Ästen sieht es aus wie ein Baum, der Ruhe ausstrahlt, uns an die Natur und das Leben erinnert. Oder wie ein Mensch, der uns von Ferne mit beiden Armen fröhlich zuwinkt. Das i dagegen ist vielleicht klein und süß, aber auch unauffällig und gewöhnlich – und groß geschrieben verwechselt man es ständig mit dem kleinen L. Den Schönheitswettbewerb mit dem i gewinnt das Y also haushoch! (Gegen das ü, wie das Y heute oft ausgesprochen wird, übrigens erst recht.)

Das Y macht sich also rar und wird damit noch interessanter. Wörter mit Y bringen ein besonderes Flair mit, so wie die Mystik, die ohne Y zu profan wäre, wie die Pyramiden, die beeindruckend und geheimnisvoll daherkommen oder die Anonymität, die mit einem ü einfach lächerlich aussehen würde. Im Zweifel gewinnen eben immer Stil und Eleganz. Das wusste auch Yves Saint Laurent (der eigentlich Yves Henri Donat Mathieu-Saint-Laurent hieß), der seine Initialen zu seiner Marke machte. Der Glückliche – ein Y im Namen! Das bringt mich auf eine Idee…
Ein schönes Wochenende allerseits!
Ihre Astryd

 

Ein Fall für sich: Pfälzisch

Ich habe in einem kleinen Ort in der Pfalz studiert, auf dessen Ortsschild Germersheim steht. Die Einheimischen ignorieren das allerdings und sagen „Germersche“. So wie sie auch ignorieren, dass das alte Kasernengebäude mitten in dem kleinen Ort den Ableger einer echten Universität beherbergt (nämlich den Fachbereich für Übersetzer und Dolmetscher der Uni Mainz) und diesen zur „Schprochschuul“ degradieren. Überhaupt ist es erstaunlich, was die Pfälzer so alles ignorieren: Grammatikregeln, Buchstaben, Wörter, die Tatsache, dass manche Wörter gar kein „sch“ enthalten und nicht zuletzt das Interesse daran, dass der Gesprächspartner einen versteht.

Glauben Sie nicht? Doch, doch, das ist wirklich so:

1. Die Grammatik: Wie die meisten Dialekte ist auch das Pfälzische recht kreativ in der Auslegung der Regeln. Mir ist vor allem die ungewöhnliche Partizipienbildung aufgefallen. Es heißt „I han gedenkt„, aber „hosch du xyz (z. B. Taschentücher, äh Taschetüüscher) einstecken?“.

2. Die weggelassenen Buchstaben: Die Pfalz heißt auf Pfälzisch Palz, der Dialekt heißt Pälzisch und die Einwohner der Region sind die Pälzer. Das F scheint außer den Zugezogenen niemand zu vermissen.

3. Die Wörter: Natürlich haben die Pfälzer, äh Pälzer, auch ein paar ganz eigene Wörter. Dass jemand, der im Lokal nach einem Dringgrööhrsche fragt, einen Strohhalm möchte, verstehe ich zwar noch (die passende Antwort darauf beginnt übrigens in der Regel mit Hajoo = ja, na klar), aber bei gudsl (= Bonbon), gummre (= Gurken), gälleriewe (= Karotten) und Grummbeere (= Kartoffeln) habe ich damals wirklich kapituliert.

4. Das SCH: Das SCH ist praktisch allgegenwärtig. Zumindest kommt es hochdeutschen Sprechern so vor. Man sagt dischbediere statt diskutieren, Schees statt Kinderwagen, Schell statt Klingel, duschter statt dunkel, kummschd statt kommst und Keschde statt Kastanien.

5. Die Verständlichkeit: Ist vielen Dialektsprechern vollkommen egal. Als ich nach einem Auslandssemester zurück nach Germersheim kam und in ein neues Zimmer zog, begegnete ich bei der Schlüsselübergabe zum ersten Mal dem pfälzischen Vermieter, der mir 10 Minuten lang alles Mögliche erklärte. Ich starrte ihn an und versuchte verzweifelt, von seinen Lippen zu lesen, denn alles, was bei mir ankam war: „sch….schsch…. schschsch….“ ab und zu unterbrochen von einigen nichtssagenden Vokalen. Da ich dachte, es könnte ja doch wichtig sein, was er sagte, tat ich das Erstbeste, das mir einfiel. Ich sagte ganz laut: „Stopp!“ Er unterbrach sich und blickte mich verdattert an. „Entschuldigen Sie, aber ich habe überhaupt nichts verstanden. Ich kann leider kein Pfälzisch.“ Er lächelte nachsichtig und fing noch einmal von vorne an. Diesmal sprach er langsam und laut. Und unverändert pfälzisch.

 

 

 

Eine bunte Tüte voller Dialekte

Wenn Dialekte aufeinandertreffen, kann es schon einmal lustig werden. Als ich mein Übersetzerstudium in einem kleinen Ort in der Pfalz antrat, zog ich zuerst in eine WG mit einer Unbekannten, die sich als sehr nette Norddeutsche aus der Nähe von Hamburg entpuppte. Als sie nach der ersten Woche meinte, wir müssten jetzt aber einmal feudeln, schaute ich sie nur verwirrt an. Sie fragte: „Hast du einen Feudel?“ – „Äh… einen was???“ Sie überlegte recht angestrengt nach einem Synonym. „Hmmm, na so ein Tuch, für den Boden, zum Wischen.“ Da fiel bei mir der Groschen: „Ach so, ein Aufnehmer! Du meinst, wir sollen feucht durchwischen? Ja, das wär in der Tat mal fällig!“ Nach und nach erweiterte sich so nicht nur mein norddeutsches Vokabular. Meine WG-Genossin sagte Wurzeln statt Möhren und nicht dafür, wenn ich mich bei ihr bedankte (beim ersten Mal wollte ich schon antworten: „doch, doch, genau dafür!“, aber ich war schon vorsichtig geworden, und bald erkannte ich dann auch das Muster dahinter). Und erst durch sie wurde mir bewusst, dass ich, obwohl ich hochdeutsch spreche, doch ein paar Eigenheiten aus dem Rheinland mitgebracht hatte und zum Beispiel andauernd was statt ein bisschen sagte. „Gibst du mir mal was Wasser?“ war für mich eine völlig selbstverständliche Formulierung.

In der Uni kamen die Leute von überallher. Nicht nur aus aller Herren Länder (man konnte 12 Sprachen bei uns studieren, und Deutsch war als Muttersprache keine Bedingung), sondern auch aus allen möglichen Regionen Deutschlands. Eine Kommilitonin aus Thüringen machte immer los, wenn ich einfach nur losging. Eine andere Mitstudentin aus Süddeutschland antwortete mir auf mein gutgelauntes „Na?“, das ich ihr im Flur im Vorbeigehen entgegenrief und das bei mir zu Hause, im Rheinland, einfach ein Füllwort ist, das schlicht als Äquivalent zu „Hallo“ bzw. als allzwecktauglicher Gesprächseinstieg dient und außer einem „Na!“ keine weitere Antwort erfordert, irritierenderweise mit einem „Gut, danke! Und dir?“. Zum „Wie geht’s?“ war ich doch noch gar nicht gekommen! Die Süddeutschen waren mir offensichtlich einen Schritt voraus. Was für ein merkwürdiges Völkchen. Das sollte ich noch bei vielen Gelegenheiten denken. Ich lernte, dass Schwaben und Pfälzer statt halten immer heben benutzen (was lustigerweise auch im metaphorischen Sinne  – „ach, die Wurst hebt noch“ – und für manche Verbindungen mit halten gilt, wie festhalten = festheben) und die meisten Süddeutschen Foto statt Fotoapparat sagen. Wer hätte gedacht, dass man eine einfache Frage wie „Wo ist mein Foto?“ so unterschiedlich interpretieren kann.

Und so könnte ich noch ewig weitermachen. Neben Französisch und Englisch (und einem bisschen Italienisch) studierte ich also zugleich noch die Dialekte Deutschlands. Ein faszinierendes Thema. Und eins zum Schmunzeln. Und eins, das mich auch schon mal an meine Grenzen gebracht hat (viele Grüße in die Pfalz). Aber davon ein andermal…

 

 

Ungarisch für Anfänger und Verzweifelte – Teil 2: Aussprache

Ungarisch gehört zur finno-ugrischen Sprachfamilie, die im Wesentlichen aus Finnisch, Estnisch und Ungarisch besteht und hat rein gar nichts mit den germanischen oder romanischen Sprachen zu tun. Bis auf ein paar wenige Lehnwörter, die aber auch recht eigen ausgesprochen werden, erkennt man einfach nichts wieder. Alleine, um mir das Wort für „ja“ zu merken, habe ich ewig gebraucht. „Igen“ (sprich: ‚i|gän) liegt einem nicht gerade auf der Zunge. So muss man sich nicht wundern, dass auch die Aussprache etwas… sagen wir gewöhnungsbedürftig klingt.

Regel Nummer 1: Alle Wörter werden auf der ersten Silbe betont. Auch Wörter mit fünf oder mehr Silben (und glauben Sie mir, davon gibt es mehr, als Sie denken). Und auch Lehnwörter (also Wörtern, die sich eine Sprache von einer anderen abgeguckt hat). Was zu so lustigen Wörtern wie „Muuseum“ oder „Hootel“ führt. Als Nicht-Schwabe (da heißt es doch auch „rrrro“ und „BeeHaa“) kommt man sich echt albern vor, wenn man das sagt.
Es gibt übrigens eine Ausnahme: Pizzeria wird nicht auf der ersten Silbe betont. Allerdings auch nicht auf der dritten, wie wir es tun. Stattdessen heißt es: Pizzeeeria.

Regel Nummer 2: Alles wird ausgesprochen. „Ach, wie im Deutschen?“ werden Sie sagen. Nein. Die Ungarn sind sehr, sehr viel gründlicher als wir. Sie murmeln nicht, sie verschlucken nichts. Wenn ein Deutscher Hammer sagt, klingt es im Grunde mehr wie Hamma. Wenn ein Ungar Hammer sagt, klingt es dagegen wie Hammeeerrrr. (Was natürlich ein schlechtes Beispiel ist, weil Hammer ja gar kein ungarisches Wort ist.) Der wunderbare Mann an meiner Seite war es, der mich vor Jahren darüber aufklärte, dass wir Deutschen unser R ja gar nicht ordentlich aussprechen würden. Wie zum Beispiel in gar oder in ordentlich. Da würde der arme kleine Buchstabe ja fast untergehen. Also aus der ungarischen Perspektive betrachtet. In Ungarn geht gar nichts unter, da wird jeder Buchstabe gehegt, gepflegt und gefälligst ausgesprochen. Viszontlátásra spricht sich demnach ‚Wisssontlaataaschrroo. Übrigens: Dieses niedliche Wortungetüm ist kein seltenes Relikt, sondern wird täglich benutzt und steht sogar in vielen Geschäften auf einem Schild an der Tür. Was es heißt?
Auf Wiedersehen!

Ach du liebe… Suchmaschine!

„Ich hab’s versucht,
ich komme ohne dich nicht aus.
Wozu auch
Du gefällst mir ja.
Kein Mensch hört mir so gut zu wie du.
Und Google
Du lachst mich auch nie aus!“

Frei nach Marius-Müller Westernhagen, der mit diesen Worten 1978 eine Whiskeysorte besang. Für Whiskey habe ich nicht viel übrig, aber die Art der Abhängigkeit kenne ich – in meinem Fall allerdings von der großen Such(t)maschine, die wir alle kennen. In meinem Beruf ist ein Leben offline heute nicht mehr denkbar. Als Übersetzer verbringt man praktisch seine gesamte Zeit vor dem Bildschirm. Neben meinem zu übersetzenden Text und etwa zehn weiteren Browsertabs, in denen ich parallel Wörterbücher, Online-Glossare etc. geöffnet habe (zusammen mit Online-Zeitungen und anderen Zeitvertreibsseiten für die kleine Pause zwischendurch können da schon einmal zwanzig bis dreißig offene Tabs zusammenkommen – worüber der wunderbare Mann an meiner Seite nur noch den Kopf schütteln kann), neben also all diesem ist mein erster (zugegeben, nicht immer mein wichtigster oder bester, aber immerhin mein erster) Ansprechpartner, um Verständnisfragen zum Text zu klären oder den richtigen Fachausdruck in der Zielsprache zu finden: google.

Ob zur normalen Arbeitszeit oder bei einer immer mal wieder eingelegten Nachtschicht, die Suchmaschine ist immer für mich da. Und meistens verstehen wir uns auch wirklich gut. Zumindest solange ich meine Suchbegriffe in Anführungszeichen setze und Störenfriede (wie gewisse chinesische Händlerplattformen zum Beispiel) mit einem Minuszeichen verbanne. Manchmal streiten wir aber auch. Da wirft mir die Suchmaschine vor, ich würde mich nicht genug an der Masse orientieren und fragt mich: „Meinten Sie (angeblich sinnvollere Suchbegriffe)„? Leider meine ich fast immer, was ich sage und tue dies mit einem energischen Klick auf meine ursprünglichen Suchbegriffe kund. Dafür rächt die Suchmaschine sich dann wohl, wenn sie mich von Zeit zu Zeit ermahnt, maßvoller und langsamer zu sein (ob sie Buddhistin ist?). Denn wenn ich mehrere Fachausdrücke ganz schnell hintereinander in verschiedensten Varianten probiere, denkt sie wohl, dass sei unmenschlich und bremst mich mit einem Fenster, in dem ich einen Captcha-Code bestätigen muss. Da stellt sie meine Geduld regelmäßig auf die Probe. Und irgendwie bekommt sie immer ihren Willen. Die kleine Zicke.

Nanu? Wieso kann ich meine Website plötzlich nicht mehr googeln??

Der Frauencode

Ich bin eine ganz typische Frau. So eine mit einem Sinn fürs Schöne, die regelmäßig die Möbel umstellt, weil der Raum danach einfach besser aussieht. Eine, die gerne dekoriert, die den Kauf eines Laptops von der richtigen Farbe abhängig macht und bei einem Geschenk auch auf die Verpackung achtet. Was den meisten Männern, auch meinem, oft nicht klar ist: das hat auch Auswirkungen darauf, wie ich spreche. Wieso sollte ich direkt und geradeheraus sagen, was ich will, wenn ich meinen Wunsch oder meine Bitte in einem hübschen, kleinen, unauffälligen Satz verpacken kann?

Das klassische Beispiel: Ich sage „Uh, ganz schön kalt hier drin, oder?“ und meine „Kannst du bitte das Fenster zumachen?“. Frauen verstehen das. Männer nicht. Was unweigerlich zu Stufe 2 führt, der Steigerungsform „Mannmannmann, das ist echt sooo K-A-L-T hier!!!“. Im Männer-Klartext: „Jetzt mach endlich das Fenster zu!!!!“.

Besonders vor Weihnachten und Geburtstagen sollten Männer aufhorchen. Ultimative Geschenktipps verstecken sich gern in geseuftzen Sätzen und tauchen gehäuft in der Nähe von Schaufenstern oder beim Katalogblättern auf. Achten Sie auf Signalsätze wie „Ach, guck mal da“, „Die sind ja schön!“, „Also das würde mir hervorragend stehen“, gerne begleitet von einem schmachtenden Blick und besonders strahlenden Lächeln.

Eine gute Möglichkeit, seine Äußerungen hübsch zu verpacken, bieten auch Fragen: „Findest du es nicht plötzlich auch wahnsinnig kalt hier drin?“ oder „Wie schmecken deine Pommes denn so?“ (Übersetzung: „Biiiittte, ich will unbedingt ein paar, also ganz viele von deinen Pommes!“).

Nur im Ernstfall lassen wir Frauen vom Code ab. Kurz vorm Ausgehen zum Beispiel. „Du willst doch nicht ernsthaft dieses Hemd zu der Hose anziehen?“ (bei Ausbleiben der gewünschten Reaktion gefolgt von „Nein, willst du nicht! Nimm das weiße! Vertrau mir!“) meinen wir tatsächlich genau so, wie wir es sagen. Sicher ist sicher.

Mein Name ist Astrid und ich bin Wortoholiker

Ich oute mich heute – als Fan von veralteten, aus der Mode gekommenen deutschen Wörtern. Ja, auch ich gehöre zu der kleinen Gruppe von Sprachliebhabern, die sich tapfer der großen Entwicklung entgegenstemmen und versuchen, im Alltag Wörter vor dem Aussterben zu retten, indem sie sie fleißig und beständig bei jeder sich bietenden Gelegenheit unterbringen. Manche Wörter sind einfach zu schön. Und fast genauso schön ist dann manchmal auch der Gesichtsausdruck des jeweiligen Gesprächspartners…

Hier einmal ein paar meiner Lieblinge:

1. Schleierhaft. Ich bin ein großer Verfechter des Ausdrucks „Das ist mir vollkommen schleierhaft!“ und finde, er passt praktisch in jedes Gespräch. „Keine Ahnung“ oder „Weiß ich doch nicht“ kann schließlich jeder.

2. Erquicklich. Warum sagt das heute keiner mehr? Ein ganz wunderbares Synonym für „klasse“, „prima“, „erfrischend“ oder „supergeil“. Finden Sie nicht?

3. Ohnehin. Das kleine Wörtchen wird immer mehr vom „sowieso“ verdrängt, daher benutze ich es quasi täglich.

4. Himmel, Arsch und Zwirn. Das ist doch mal ein Fluch! Nicht immer dieses ewige, langweilige SCH-Wort. Ich war ganz entzückt, als der wunderbare Mann an meiner Seite mir erzählte, dass sein Chef genau diese Worte tatsächlich im Büro benutzt hatte. Wie erquicklich! Meine Begeisterung stieß allerdings mehr auf Unverständnis…

5. Betrüblich. Betrüblich klingt in meinen Ohren unendlich viel eleganter als „traurig“. Aber es ist ein Wort für besondere Anlässe. Das hebe ich mir auf, für Menschen, die es zu schätzen wissen. Ich will schließlich nicht, dass es ausgelacht wird, mein kleines, feines schönes Wort.

6. Blümerant. Ich gebe zu, dieses Wort lässt sich eher selten im Alltag anbringen. Zumal man ja auch eher vermeiden möchte, dass einem blümerant zumute ist (für alle, die es nicht wissen: das ist beispielsweise der Zustand kurz vor einer Ohnmacht). Aber es ließe sich ja auch im Rahmen einer Beschwerde ein „Da wird einem ja ganz blümerant!“ denken. Jetzt muss also nur noch ein Grund zur Beschwerde her!

Soweit meine Top 6 (Top 5 kann ja jeder). Famos, nicht wahr?

 

Der kleine Lektor in meinem Kopf

Erinnern Sie sich noch an den kleinen Übersetzer in meinem Kopf? Ich habe ja schon angedeutet, dass er nicht alleine lebt. Er teilt sich den Platz mit einem gewissen kleinen Lektor. Leider ist dieser kleine Lektor ein ziemlich anstrengender Mitbewohner – er ist laut, manchmal sogar sehr laut, nervt permanent und ignoriert die Tatsache, dass er klein ist, geflissentlich. Miete zahlt er auch nicht. Auf dem Frankfurter Wohnungsmarkt hätte er nicht die geringste Chance. Aber er wohnt ja in meinem Kopf – gut für ihn. Schlecht für mich. Denn wenn der kleine Lektor das Ruder übernimmt, macht er aus mir einen Sprachtaliban. Einen Grammatiknazi. Den Pingel vom Dienst. Die Person, die in Ungarn die „deutsche“ Version der Speisekarte liest (ja, die Anführungszeichen sind in dem Fall wirklich gerechtfertigt) und als einzige lachend unter dem Tisch liegt, als der Kellner die Bestellung aufnehmen will. Nicht falsch verstehen – ich hatte Spaß, aber meiner Schwiegerfamilie, die mit mir am Tisch saß, war das ziemlich peinlich. Sprachbanausen – die haben wohl alle keinen kleinen Lektor. Zumindest hat meiner Humor.

Zuhause mache ich mich, äh, macht der kleine Lektor mich übrigens ständig unbeliebt. Denn selbst mitten im leidenschaftlichsten Streit höre ich mich plötzlich sagen: „dem, es heißt dem, nicht den. Dativ!!“ Der ansonsten wirklich immer ganz wunderbare Mann an meiner Seite starrt mich verzweifelt an: „Jetzt hör mir doch mal zu!“ Tue ich ja. Leider ein bisschen zu gut.

Apropos Speisekarten – die sind für den kleinen Lektor wirklich ein Hauptnahrungsmittel. Denn ich habe auch in Deutschland noch nie eine fehlerfreie Speisekarte gesehen. Noch nie! Auch in deutschen Restaurants nicht. Selbst wenn die Karte auf alle anderen einen guten Eindruck macht, entdecke ich den Tippfehler. Den Grammatikfehler. Den falschen Zeilenumbruch. Soweit, so gut. Das wirklich Schlimme daran ist aber, dass der kleine Lektor, dieser Terrorist, mich jedes Mal zwingt, alle anderen am Tisch auch darauf hinzuweisen. „Haha, habt Ihr den Fehler gesehen?“ – „Welchen Fehler?“ – „Na, der lustige Tippfehler bei der Suppe. Da steht Zucchini Suppe, statt Zucchinisuppe. Sogar der Bindestrich fehlt. Hahaha.“ – Betretenes Schweigen. Hm. Man muss wohl in meinem Kopf wohnen, um das lustig zu finden.

Spätblüher

Meine Freundin beschwerte sich letztens, ihr etwas über zweijähriger Sohn würde immer noch kaum sprechen. Er hätte stattdessen eine äußerst lebendige Gestik und Mimik entwickelt, um sich zu verständigen und käme ansonsten mit drei Wörtern durchs Leben. Der Gedanke hat – besonders angesichts des unglaublich niedlichen Gesichts, das der kleine Kerl machen kann (was ich als Patentante natürlich vollkommen neutral und von außen beurteilen kann – dieses Kind ist einfach objektiv das Hübscheste überhaupt) – durchaus eine komische Komponente. Allerdings weniger aus Sicht meiner Freundin. Ihr war es dann doch unangenehm, wie ihr Sohn der Arzthelferin mit wilden Schlägen auf den Arm klarmachen wollte, dass er sich woanders grade sehr viel besser fühlen würde als beim Arzt. Nachdem meine Freundin dann noch eine demütigend lange Liste mit Wörtern in die Hand gedrückt bekam, in der sie verschämt zwei Kreuzchen setzte, bei den Wörtern, derer ihr kleiner Sonnenschein schon mächtig ist, fällte der (halbe, ganze, geviertelte?) Gott in Weiß schnell das Urteil: Late Talker. (Ja, diesen wunderschönen logopädischen Fachbegriff gibt es wirklich und die große Suchmaschine spuckt erstaunlich viele Treffer dazu aus.) „Ihr Sohn ist ein Late Talker!“ Ach, was! Ehrlich? Das wär ja ohne diese Untersuchung NIE aufgefallen. Es ist ja nicht so, als hätte man schon einmal versucht, mit seinem Kind zu sprechen. Wer will das auch? So eine Einbahnkommunikation hat schließlich viel für sich. Also, es sei denn, das Late-Talker-Kind kommt plötzlich auf die Idee, seinen Widerspruch darin zu äußern, praktisch alles, was nicht niet- und nagelfest ist, zu greifen und mit voller Wucht auf den Boden zu schmeißen. Aber das ist dann eben Pech. Bleibt nur zu hoffen, dass aus dem „Late Talker“ bald ein „Late Bloomer“ (quasi ein „spätblühendes“ Kind) wird. Das sind dann Kinder, die den Rückstand mit drei Jahren aufgeholt haben.